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abermals?« sprach das junge Mädchen voll Bangigkeit. »Oh! nein, oh! nein, lassen Sie mich in Ruhe; ich leide so sehr. Oh! mein Gott! mein Gott! ich fühlte mich vorhin so wohl.«

      »Sprechen Sie!« entgegnete Balsamo, und legte unbarmherzig das Ende seines stählernen Stäbchens auf die Brust von Andrée.

      Andrée rang die Hände, sie suchte sich der Tyrannei des Experimentenmachers zu entziehen. Der Schaum trat auf ihre Lippen, wie einst auf den Mund der auf dem heiligen Dreifuß sitzenden Pythia.

      »Oh! ich sehe, ich sehe,« rief sie mit der Verzweiflung des besiegten Willens.

      »Was sehen Sie?«

      »Eine Frau.«

      »Ah!« murmelte Balsamo mit einer wilden Freude, »die Wissenschaft ist also kein leeres Wort, wie die Tugend? Mesmer hat Brutus besiegt. Schildern Sie mir diese Frau, damit ich weiß, ob Sie richtig gesehen haben.«

      »Braun, groß, blaue Augen, schwarze Haare, nervige Arme.«

      »Was macht sie?«

      »Sie eilt, sie fliegt, sie scheint von einem herrlichen, schweißbedeckten Pferde fortgetragen zu werden.«

      »In welcher Richtung reitet sie?«

      »Dorthin, dorthin,« sprach das Mädchen, nach Westen deutend.

      »Auf der Landstraße?«

      »Ja.«

      «Nach Châlons?«

      »Es ist gut,« sagte Balsamo; »sie verfolgt den Weg, den ich machen werde. Sie geht nach Paris, wohin ich ebenfalls gehe. Es ist gut, ich werde sie in Paris wiederfinden. Ruhen Sie nun aus,« sagte er zu Andrée, während er ihr die Locke wieder abnahm, die sie nicht losgelassen hatte.

      Die Arme von Andrée fielen unbeweglich an ihrem Körper herab.

      »Nun kehren Sie zum Klavier zurück,« sprach Balsamo.

      Andrée machte einen Schritt gegen die Thüre; doch durch eine unaussprechliche Anstrengung gelähmt, weigerten sich ihre Beine, sie zu tragen: sie wankte.

      »Sammeln Sie wieder Kraft und gehen Sie weiter,« sagte Balsamo und umhüllte sie mit einer neuen Aussendung von Fluidum.

      Andrée ahmte den edeln Renner nach, der sich anstemmt, um den Willen seines Herrn zu erfüllen, und wäre dieser Willen auch ungerecht.

      Sie ging.

      Balsamo öffnete seine Thüre, und Andrée stieg, immer noch eingeschlafen, langsam die Treppe hinab.

       X.

      Nicole Legay

      Gilbert hatte die ganze Zeit, welche das Verhör von Balsamo dauerte, in unaussprechlicher Angst zugebracht.

      Unter das Treppengehäuse gekauert, weil er es nicht mehr wagte, zur Thüre hinaufzusteigen, um zu behorchen, was in dem rothen Zimmer gesprochen wurde, gerieth er am Ende in eine Verzweiflung, welche bei dem Charakter von Gilbert jeden Augenblick eine gewaltsame Entwicklung herbeizuführen drohte.

      Diese Verzweiflung vermehrte sich durch das Gefühl seiner Schwäche und seiner untergeordneten Stellung. Balsamo war nur ein Mensch; denn Gilbert, ein starker Geist, ein Philosoph im Entstehen, glaubte nur wenig an Zauberer. Aber dieser Mensch war stark, Gilbert war schwach; dieser Mensch war muthig, Gilbert war es noch nicht. Zwanzigmal erhob sich Gilbert, um wieder die Treppe hinaufzusteigen, entschlossen, im Falle der Noth dem Baron Stand zu halten. Zwanzigmal bogen sich seine zitternden Beine unter ihm, und er fiel wieder auf seine Kniee.

      Es kam ihm ein Gedanke; er wollte eine Leiter holen, der sich La Brie, welcher zugleich Koch, Kammerdiener und Gärtner war, bediente, um Jasmin und Geisblatt an der Mauer aufzubinden. Wenn er sie an der Gallerie der Treppe anlehnen und zu dieser hinaufsteigen würde, dürfte er nichts von dem verrathenden Geräusch verlieren, das er so glühend zu behorchen wünschte. Er erreichte das Vorzimmer, dann den Hof und lief an den Ort, wo er die Leiter zu finden wußte, welche am Fuße einer Mauer lag. Doch während er sich bückte, kam es ihm vor, als hörte er ein Streifen auf der Seite des Hauses; er wandte sich um.

      Da glaubte sein weit aufgerissenes Auge in der Dunkelheit durch den schwarzen Rahmen der offenen Thüre eine menschliche Form schlüpfen zu sehen, doch so rasch, so stumm, daß sie viel mehr einem Gespenste, als einem lebendigen Wesen anzugehören schien.

      Er ließ die Leiter fallen und schritt mit zitterndem Herzen auf das Schloß zu.

      Gewisse Imaginationen sind nothwendig abergläubisch; es sind gewöhnlich die reichsten und überspanntesten, sie lassen weniger gern die Vernunft, als die Fabel zu; durch ihre Instinkte zum Unmöglichen, oder wenigstens zur Idealität hingezogen, finden sie das Natürliche zu gemein. Sie gerathen außer sich vor Entzücken über einen schönen, düsteren Wald, weil die dunkeln Gewölbe mit Geistern und Gespenstern bevölkert sein müssen. Die Alten, welche so große Dichter waren, träumten von diesen Dingen am hellen Tage. Nur da ihre Sonne, ein Herd glühenden Lichtes, von dem wir so zu sagen höchstens noch den Rester haben, da ihre Sonne, sagen wir, die Idee der Larven und Gespenster verbannte, hatten sie die lachenden Dryaden und die leichten Oreaden erfunden.

      Gilbert, das Kind einer wolkigen Gegend, wo die Gedanken trauriger sind, wähnte eine Erscheinung zu erblicken. Trotz seiner Ungläubigkeit kam ihm diesmal wieder in den Kopf, was ihm fliehend die Frau von Balsamo gesagt habe; konnte der Zauberer nicht ein Gespenst heraufbeschworen haben, er, der selbst den Engel der Reinheit zum Bösen fortzureißen vermochte?

      Gilbert hatte aber immer eine zweite Bewegung, welche schlimmer war, als die erste. Er rief alle Beweissätze starker Köpfe gegen die Geister zu Hülfe, und der Artikel Gespenst des philosophischen Wörterbuchs verlieh ihm einen gewissen Muth, indem er ihm eine größere, aber mehr gegründete Angst einjagte.

      Hatte er wirklich Jemand gesehen, so mußte es eine lebendige Person sein, und diese Person mußte ein großes Interesse haben, so zu lauern.

      Seine Angst nannte ihm Herrn von Taverney, sein Gewissen blies ihm einen andern Namen ein.

      Er schaute nach dem zweiten Stocke des Pavillon. Das Licht von Nicole war, wie gesagt, erloschen und ihre Scheiben verriethen kein Leben.

      Kein Hauch, kein Geräusch, kein Schimmer im ganzen Hause, ausgenommen im Zimmer des Fremden. Er schaute, er horchte, und als er nichts mehr sah und nichts mehr hörte, nahm er wieder seine Leiter, nunmehr überzeugt, es sei eine Täuschung seiner Augen gewesen, wie dies bei einem Menschen vorkommt, dessen Herz zu schnell schlägt, und er müsse diese Vision eher als einen Nachlaß seiner Sehkraft bezeichnen, wie man technisch sagen kann, denn als einen Erfolg der Uebung seiner Fähigkeiten.

      Als er seine Leiter angelegt hatte und den Fuß auf die erste Sprosse setzte, öffnete und schloß sich die Thüre von Balsamo, der Andrée hinausgehen ließ, welche ohne Licht und ohne Geräusch hinabstieg, als ob sie von einer übernatürlichen Macht geleitet und unterstützt würde.

      So gelangte Andrée auf den Ruheplatz der Treppe, ging an Gilbert vorüber, an welchem sie im Schatten mit ihrem Kleide anstreifte, und setzte ihren Weg fort.

      Herr von Taverney war eingeschlafen, La Brie lag im Bette, Nicole befand sich im andern Pavillon, die Thüre von Balsamo hatte sich wieder geschlossen, und so sah sich der junge Mann gegen jede Ueberraschung geschützt.

      Er machte eine heftige Anstrengung gegen sich selbst und folgte Andrée, seinen Gang nach dem ihrigen richtend.

      Andrée durchschritt das Vorzimmer und trat in den Salon.

      Gilbert folgte ihr mit zerrissenem Herzen. Er stand jedoch stille, obgleich die Thüre offen geblieben war. Andrée setzte sich auf das Tabouret vor dem Klavier, auf welchem die Kerze immer noch brannte.

      Gilbert zerfleischte sich die Brust mit seinen krampfhaften Nägeln. An derselben Stelle hatte er eine halbe Stunde zuvor das Kleid und die Hand dieser Frau geküßt, ohne daß sie sich ärgerte; hier hatte er gehofft, war er glücklich gewesen! Ohne Zweifel rührte die Nachsicht des Mädchens von einer jener tiefen Verdorbenheiten her, wie sie Gilbert in den Romanen gefunden hatte, welche, den Grund der Bibliothek des Barons bildeten, oder von einer jener Verräthereien

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