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gemacht, um die Rechte zu studieren. Bei seinem Austritte aus dem Collége hatte der junge Colombau von Penhoël seinen Aufenthalt in diesem Zimmer des erwähnten Hauses der Rue Saint-Jacques genommen, das er seit drei Jahren, das heißt seit 1823, um welche Zeit unsere Erzählung beginnt, bewohnte.

      Sein Vater gab ihm jedes Jahr zwölfhundert Franken: der wackere Mann theilte so mit seinem Sohne Alles, was ihm von seinem Erbe blieb.

      Die Wohnung von Colombau kostete diesen nur zweihundert Franken Miethzins jährliche; es blieben also dem jungen Manne tausend Franken, das heißt ein ganzes Vermögen für einen nüchternen, sparsamen, geordneten jungen Mann, wie er es war.

      Wir täuschen uns, wenn wir sagen, es seien ihm tausend Franken jährlich geblieben; von den tausend Franken müssen wir die Miethe eines Klaviers, zehn Franken monatlich abziehen, der einzige Luxus, den sich Colombau erlaubte, ohne Zweifel, um nicht eines der politischen Axiome der alten Bretagner lügen zu machen, ein bis auf unsere Tage übergegangenes Axiom, das wie Augustin Thierry sagt, den Musiker neben den Ackerbauer und den Handwerksmann, als einen der drei Pfeiler der gesellschaftlichen Existenz, stellt.

      Man war im Monat Januar des Jahren 1823. Colombau hatte sein drittes Jahr der Rechtsstudien begonnen; es schlug zehn Uhr in der Kirche Saint-Jacques-du-Haut-Pas.

      Der junge Mann saß an der Ecke seines Kamins und war beschäftigt, den Codex Justinians zu studieren, als er plötzlich erschreckliches Weheklagen und Gestöhne hörte.

      Er öffnete die Thüre des Ruheplatzes und sah an der mit der seinen parallelen Thüre ein bleiches Mädchen mit aufgelösten Haaren, das in Thränen zerfließend und die Hände ringend um Hilfe rief.

      Die Wohnung der von Colombau gegenüber hatten ein junges Mädchen und seine Mutter inne; die Mutter war Witwe eines Kapitäns, der bei Champ Aubert im Feldzuge von 1814 getödtet worden, und lebte von einer Pension von zwölfhundert Franken und einigen Nadelarbeiten, die ihr die Weißzeughändlerinnen des Quartiers verschaffen.

      Sie wohnte seit sechs Monaten allein hier, als eines Morgens Colombau, von der Rechtsschule zurückkehrend, auf Einem Ruheplatze ein schönes, großes Mädchen erblickte, das ihm völlig unbekannt war.

      Colombau war von Natur wenig gesprächig, und erst ein Paar Tage nach dieser Erscheinung, die sich übrigens zwei oder dreimal wiederholt hatte, erfuhr er von einem seiner Nachbarn im Erdgeschosse, Mademoiselle Carmelite sei die Tochter von Madame Gerats, seiner Nachbarin; sie sei, als Tochter eines Ritters der Ehrenlegion, in der königlichen Anstalt von Saint-Denis erzogen worden, und da ihre Erziehung beendigt, so sei sie zurückgekommen, um bei ihrer Mutter zu leben.

      Dieses Begegnen des jungen Mannes und des Mädchens hatte im Monat September 1822, zur Ferienzeit stattgefunden. Colombau hatte vierzehn Tage nachher Paris verlassen, um zwei Monate im Thurme von Penhoël zuzubringen, und von seiner Rückkehr im Monat November hatte er bis zum Januar 1823 nur selten Gelegenheit gehabt, das Mädchen zu sehen; man traf sich zuweilen auf der Treppe, die Milchbüchse in der Hand haltend; man grüßte sich artig, doch ohne ein Wort zu wechseln.

      Das Mädchen war zu schüchtern; Colombau zu ehrfurchtsvoll.

      Eines Tags aber, als der junge Mann frühzeitiger als gewöhnlich, sein tägliches Frühstück tragend, die Treppe hinaufstieg, begegnete er dem Mädchen, das, um ein paar Minuten im Verzug, hinabging, um das ihrige zu holen.

      Sie hielt eröthend den jungen Mann an, der, nachdem er sie, nicht als Student, sondern als Edelmanm, – die erste Erziehung verliert sich nie, – gegrüßt hatte, weiter gehen wollte, und sagte zu ihm:

      »Ich habe eine Bitte an Sie zu richten, mein Herr; meine Mutter und ich, wir lieben ungemein die Musik, und wir bringen gewöhnlich alle Abende sehr angenehm damit zu, daß wir Sie eine Stunde zum Klavier singen hören; seit drei Tagen aber ist meine Mutter sehr unpäßlich, und obgleich sie sich nicht beklagt hat, hat uns doch der Arzt, als er uns gestern Abend-besuchte, während Sie sangen, gesagt, das Getöse des Klaviers müsse sie ermüden.«

      »Verzeihen Sie, mein Fräulein,« erwiderte der junge Mann, ebenfalls bis an die Augen erröthend, »ich wußte durchaus nichts von der Krankheit Ihrer Frau Mutter; glauben Sie mir, ich würde mir nie verzeihen, gespielt zu haben, hätte ich gewußt . . . «

      »Oh! mein Gott! mein Herr,« versetzte das Mädchen, »ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich Sie eines Vergnügens beraube, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie sich diese Entbehrung um unseretwillen auflegen wollen.«

      Die zwei jungen Leute grüßten sich, und sobald Colombau in seine Wohnung zurückkam, schloß er sein Klavier, um es nicht eher wieder zu öffnen, als bis Madame Gervais gesund wäre.

      Nur begegnete er seit dieser Stunde dem Mädchen häufiger. Die Krankheit der Mutter verschlimmerte sich; jede Minute lief Carmelite vom Arzte zur Apetheke; mehrere Male hörte sie Colombau zu einer ziemlich weit vorgerückten Stunde der Nacht hinabgehen: wohl hätte er ihr seine Dienste anzubieten gewünscht, – und nie hätte ein beklagenswertheres Mädchen die Dienste eines redlicheren und uneigennützigeren Herzens empfangen; – doch Colombau war von einer Schüchternheit, welche seiner Redlichkeit gleichkam; die Form seines Anerbietens setzte ihn übrigens noch mehr in Verlegenheit, als das Anerbieten selbst, und erst als er das Mädchen so verezweiflungsvoll um Hilfe rufen hörte, wagte er es sich ihr zur Verfügung zu stellen.

      »Leider war es zu späte nicht das Bedürfnis der Hilfe hatte das Mädchen veranlaßt, zu rufen, sondern die Angst, der Schrecken.

      Madame Gervais, die das Bett seit vier Tagen nicht verließ, auf die ernste Drohung einer bis zu ihrem höchsten Grade gelangten Pulsadergeschwulst, – was Carmelite mitzutheilen der Arzt sich wohl gehütet hatte, – Madame Gervais, um eine Beklemmung zu bekämpfen, welche sie fast des Athems beraubte, verlangte ein Glas Wassers Carmelite, die es ihr nicht nur geben wollte, ging ins Nebenzimmer, um den Trank zu bereiten; eine Art von Seufzer, der einem Rufe glich, machte, daß sie sich beeilte. Sie ging wieder hinein und fand ihre Mutter den Kopf zurückgeworfen; sie schob den Arm unter ihrem Halse durch und hob ihr den Kopf auf: die arme Frau schaute, ihr Kind auf eine seltsame Weise an; sie konnte Nicht sprechen, wie es schien, doch Ihre ganze Seele war in ihre Augen übergegangen. Bestürzt, zitternd, und dennoch stark, gerade durch ihren Schrecken, hob Carmelite fortwährend den Kopf ihrer Mutter empor, und hielt das Glas an ihre Lippen. Doch in dem Augenblicke, wo die Lippen und das Glas sich berühren sollten, gab Madame Gervais einen tiefen, gedehnten schmerzlichen Seufzer von sich; dann drückte ihr Kopf mit seiner ganzen Last auf den Arm ihrer Tochter und fiel mit ihm auf das Kissen.

      Das Mädchen machte eine Anstrengung, hob den Kopf zum zweiten Male auf, schob das Glas zwischen die Lippen von Madame Gervais und sagte:

      »Trink doch, Mutter.«

      Doch die Zähne waren an einander gepreßt, und die Kranke antwortete nicht. Carmelite lüpfte den Fuß des Glases. Das Wasser floß auf beiden Seiten der Lippen herab, drang aber nicht in den Mund ein.

      Die Augen der Kranken blieben übermäßig geöffnet und schienen sich nicht von ihrer Tochter abwenden zu können.

      Carmelite fühlte den Schweiß aus ihrer Stirne perlen.

      Diese großen, weit geöffneten Augen gaben ihr indessen Muth.

      »Aber trink doch, Mütterchen!« wiederholte sie.

      Die Kranke antwortete dies Mal ebenso wenig als das erste Mal. Da schien es Carmelite, der Hals, den sie mit ihrem Arme unterstützte;. vereise sich rasch, und diese Todeskälte ergriff auch sie. Erschrocken, ließ sie den Kopf ihrer Mutter auf das Kissen fallen, stellte das Glas auf den Tisch, warf sich auf den Leib ihrer Mutter, umschlang sie mit ihren Armen, bedeckte ihr Gesicht mit Küssen und richtete sich wieder aufs um, sie mit Augen fast so starr als die der Kranken anzuschauen. Da erst hatte die Unglückliche, der es nie eingefallen, das einzige Wesen, das sie auf der Welt besaß und liebte, könnte sterben, eine entsetzliche Ahnung! und dennoch konnte sie, die ihre Mutter erst einen Augenblick vorher hatte sprechen hören, nicht glauben, der Uebergang vom Leben zum Tode ohne eine heftige Erschütterung. ohne Geräusch, ohne Geschrei sei etwas Mögliches; sie drückte ihre Lippen auf die Stirne ihrer Mutter; doch ihre fieberglühenden Lippen wurden von einer entsetzlichen Empfindung durchschauert, als

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