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zu plaudern!

      Zuweilen zog er diesen seit langer Zeit stummen Freund nicht nur aus seinem Schranke, sondern sogar aus seinem Kasten; er drückte ihn an sein Herz, preßte ihn zwischen seinen Knieen, ließ seine Finger in der ganzen Länge seines Griffbrettes hingleiten und strich in der Stille mit dem schwebenden Bogen über die Saiten.«

      Dann lächelte er, denn mit dem Ohre der Einbildungskraft hörte er Alles, was ihm das Violoncell gesagt hätte, wenn diesem zu sprechen erlaubt gewesen wäre.

      Andere Male genügte ihm dieser stumme Dialog nicht; dann« in den schönen Sommernächten, ging er sachte hinaus, zog den Riegel der Hausthüre, erreichte die Barrière, und gierig zugleich nach Geräusch, Einsamkeit, und Bewegung wandelte er durch die Ebene und recitirte dem Monde, dem nächtlichen Freunde der Liebe und des Unglücks, die schönsten Strophen der griechischen und lateinischen Dichter, welche die Liebe besungen haben.

      In einer dieser Nächte, am Jahrestage seines Zusammentreffens mit dem Mädchen, hatte er sich unter den Aehren, den Klapperrosen und den Kornblumen ausgestreckt, unter denen wir ihn am Anfange des vorigen Kapitels entdeckten.

      Dieser Abend war eine Feierlichkeit, ein Festabend; er war, wie gesagt, nur da, um dem Herrn für den Engel, den er ihm gesandt, zu danken.

      Nachdem er ein paar Stunden im Getreide zugebracht, fiel es ihm, da es halb zehn Uhr in der Kirche Saint-Jacques-du-Haut-Pas schlug, auch ein, er habe noch Zeit, nach Hause zurückzukehren und Mina, ehe sie, schlafen gegangen wäre, gute Nacht zu sagen.

      Er öffnete sogleich den Cirkel seiner großen Beine und lief in aller Eile zurück, um nach Hause zu kommen.

      Vor der Thüre fand er einen etwa zwölfjährigen Straßenjungen, welcher auf ihn wartete, einen von den Pariser Knaben, deren Portrait Barbier, der große Dichter von 1830 drei Jahre später machen sollte.

      Der Knabe hielt ihn an.

      »Mein Herr,« sagte er, »hier ist Ihr Taschentuch, das Sie verloren haben.«

      »Wie! mein Taschentuch?«

      »Ja, es ist aus Ihrer Tasche gefallen, als Sie vor zwei Stunden weggingen.«

      »Und Du hast es gefunden?«

      »Ja.«

      »Warum hast Du es nicht sogleich zurückgegeben?«

      »Ich war nicht ganz sicher, daß es Ihnen gehörte; es gingen mehrere Herren zu gleicher Zeit vorüber. Ich rief: ›Oho! wer verliert sein Taschentuch?‹ man sagte mir: ›Es gehört dem Herrn, der dort geht, dort, dort!‹ Sie waren schon eine Viertelmeile entfernt. ›Gut!‹ erwiderte ich, ›ich will lieber warten, als ihm nachlaufen . . . Wird dieser Herr zurückkommen?‹ ›Gewiß.‹ ›Wo wohnt er?‹ ›Er wohnt hier.‹ ›Wer ist er?‹ »Er ist der Liebhaber der Kleinen.‹ ›Und die Kleine, wo wohnt sie?‹ ›Sie wohnt bei ihm.‹ ›Ah! gut!‹ sagte ich, ›wenn er der Liebhaber der Kleinen ist, und die Kleine bei ihm wohnt, so wird er bald zurückkommen!‹ Und ich habe auf Sie gewartet . . . Daran habe ich wohl gethan, da Sie da sind . . . Nun Sie nehmen Ihr Taschentuch nicht?‹

      »Doch, mein kleiner Freund,« versetzte Justin, »Und hier ist etwas für Dritte Mühe.‹

      Und er gab dem Knaben zehn Sous.«

      »Gut! ein weißes Stück,« sagte dieser; »ich will es wechseln lassen: die Alte würde mir es ganz nehmen, statt daß ich ihr von zehn Sous fünf gebe und die andern fünf behalte.«

      Der Knabe machte ein paar Schritte, indeß Justin nachdenkend mit einer zitternden Hand den Schlüssel ins Schloß steckte; doch der Straßenjunge kehrte wieder um, zog ihn an seinem Rock und fragte:

      »Sagen Sie doch, mein Herr?«

      »Wenn Sie wissen wollen, ob sie Sie liebt . . . «

      »Wer?«

      »Die Kleine, Ihre Geliebte.«

      »Nun?«

      »Sie müssen die Alte in der Rue Triperet No. 11. besuchen. Sollten Sie übrigens die Nummer vergessen die Alte ist in der ganzen Straße bekannte fragen Sie nach der Brocante, und Jedermann zeigt Ihnen ihre Wohnung. Sie wird Ihnen für zwanzig Sous das große Spiel machen.«

      Justin hörte aber nicht mehr; er öffnete die Thüre und schloß sie wieder vor der Nase des Knaben, der bei einem Spezereihändler das Zehn-Sous-Stück gegen zehn Sous wechseln ließ oder vielmehr gegen neun und einen halben, denn unter dem Titel von Mäklergebühr ohne Zweifel kaufte er sich für zwei Liards Zuckersyrup.

      Dann schlug er im Galopp den Weg nach der Rue Triperet ein.

      Justin aber, statt zu den Frauen hinaufzugehen und seinen Abend vollends in Familie zuzubringen, ging in sein Zimmer, schloß sich ein, warf sich in einen Lehnstuhl und blieb hier unbeweglich und das Herz voll der finstersten Ahnungen.

      Seine Liebe gehörte nicht ihm; sein Geheimnis war in Jedermanns Händen.

      Er war für den ganzen Faubourg Saint-Jacques der Liebhaber der Kleinen!

       XXIII

      Die Moschiten

      Es gibt in Indien, besonders in Korrah, ein häßliches Insekt, eine Art von Mücke genannt Moschit, dessen Stich höchst gefährlich ist; es begnügt sich nicht damit, daß es das Blut aussaugt wie der Zinzaro, oder mit einem Stachel sticht wie die Wespe; es legt in das Loch, welches es seinem Opfer ins Fleisch gemacht hat, ein kleines Ei, das in drei Tagen auskriecht, und einen Wurm gebiert, der wiederum eine Anzahl anderer Würmer erzeugt, die Euch bei lebendigem Leibe verzehren.

      Meistens stirbt man hieran in zwölf bis dreizehn Tagen.

      Um diesem Unfall zuvorzukommen, muß man, sobald man sich gestochen fühlt auf der mit einem Bistouri losgestrammten Wunde ein Blatt Kautabak ausbreiten.

      Es gibt rings um uns her, in Europa, in Frankreich, in Paris, allerdings unter einer andern Form, aber noch gefährlichere Insekten in der Art der Maschiten von Korrah: das sind die Nachbarn.

      Gefährlicher haben wir gesagt, denn man weiß, welchen Balsam man auf die von der Mücke gemachte Wunde anzuwenden hat, während die von den Nachbarn gemachten Wunden tödtlich sind.

      Der Nachbar ist ohne Mitleid. ohne Gemüth, ohne Herz; er tritt bei Euch durch die Thüre ein, wenn Ihr die Thüre offen laßt; durch das Fenster, wenn Ihr das Fenster offen laßt; durch das Schlusseilloch, wenn Ihr das Fenster schließt. Er stiehlt Euch Euer Geheimnis mit derselben Frechheit, mit der Euch der abgefeimteste Dieb in der Nacht Euer Geld stiehlt; dabei findet in dessen ein Unterschied zwischen den Nachbarn und den Dieben zum Vortheil des Diebes statt: der Dieb setzt wenigstens sein Leben aufs Spiel, während der Nachbar das Leben der Andern aufs Spiel setzt.

      Man würde sich mit einem Seufzer begnügen und sich in diese Geißel fügen, wie sich Indien in die Cholera fügt, wie sich Aegypten in die Pest fügt, wie die Engländer sich in den Nebel fügen, wenn in der Naturgeschichte nachgewiesen wäre, das Gebrechen, das man die Nachbarschaft nennt, klebe der ganzen Gattung an; aber keines Weges; es ist dem privilegierten Lande, das man Frankreich nennt, eigenthümlich; überall, in Deutschland, in England, in Spanien, hat man die Achtung von den Andern, weil man die Selbstachtung hat.

      In unserem Frankreich allein, in sein Zimmer zurückgezogen, bei verschlossener Thüre und verschlossenen Läden fühlt man um sich her das Auge und das Ohr des Nachbars.

      Nicht als wäre er Euch gerade gehässig, nein – dann würde der Strafcodex eine Rechtfertigung für ihn zulassen; oft sogar, wenn er Euch Böses anthut, geschieht es unwillkürlich, obschon er es immer thut; nein: er will ganz einfach sehen, was bei Euch vorgeht; Ihr seid ihm Rechenschaft schuldig über das, was in Eurem Hause gesagt wird, geschieht; Ihr seid sein natürlicher Schuldner; er ist Gläubiger Eures Glückes.

      Außerdem sind alle diese Leute redlich, wenn Ihr wollt; sie beobachten die im Bulletin aufgeführten Gesetze; sie unterwerfen sich streng allen Polizeiverordnungen; sie bezahlen pünktlich ihre Steuern, fegen die Schwelle ihrer Bude im Winter, besprengen das Vordertheil ihres Magazins im Sommer, halten ein neues Brunnenfell für den Brandfall bereit,

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