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Als Mr. und Mrs. Vanstone Combe-Raven im März des gegenwärtigen Jahres verließen …

      Ehe er seinen Satz vollenden konnte, unterbrach ihn eine plötzliche Bewegung von Miss Garth. Sie fuhr heftig zusammen und sah sich nach dem Fenster um.

      – Nur der Wind wars in den Blättern, sagte, sie mit schwacher Stimme. Meine Nerven sind so erschüttert, der geringste Anlaß erschreckt mich. Sprechen Sie weiter in Gottes Namen. Als Mr. und Mrs. Vanstone dieses Haus verließen,… sagen Sie mir mit klaren Worten warum gingen sie nach London?

      In klaren Worten sagte Mr. Pendril zu ihr:

      – Sie gingen nach London, um sich trauen zu lassen. Mit diesen Worten legte er einen Streifen Papier auf den Tisch. Es war der Trauschein der verstorbenen Aeltern, und das Datum, das er trug, war der zwanzigste März, achtzehn hundert und sechsundvierzig.

      Miss Garth rührte sich nicht, sprach nicht. Der Schein lag unbeachtet zwischen Beiden da. Sie saß da, Ihre Augen fest auf das Gesicht des Advocaten geheftet, ihr Geist war betäubt, ihre Stimme versagte den Dienst. Er sah, daß alle seine Bemühungen, um die Erschütterung dieser Enthüllung zu mildern, vergeblich gewesen waren. Er fühlte die dringende Wichtigkeit, sie wieder aufzurichten, und fest und deutlich vernehmbar wiederholte er die inhaltschweren Worte:

      – Sie gingen nach London, um sich trauen zu lassen, sagte er. Versuchen Sie sich zu ermannen, versuchen Sie erst die einfache Thatsache festzuhalten. Die Erklärung wird gleich hinterdrein folgen. Miss Garth, ich sage die traurige Wahrheit! Im Frühling dieses Jahres verließen sie das Haus, lebten vierzehn Tage in London in der strengsten Zurückgezogenheit und wurden nach Ablauf dieser Frist vermittelst Dispens getraut. Hier ist eine Abschrift des Trauscheines, welche ich selbst am vergangenen Montag erhielt. Lesen Sie den Tag der Trauung mit eigenen Augen. Es ist Freitag, der zwanzigste März, März dieses Jahres. —

      Als er auf den Schein zeigte, bewegte der schwache Luftzug in dem Gebüsch unter dem Fenster, welchen Miss Garth erschreckt hatte, abermals die Blätter. Er hörte es diesmal selbst und wandte das Gesicht, um den Wind über sein Gesicht fächeln zu lassen. Es kam kein Lüftchen, kein Luftzug, der stark genug war, daß er ihn fühlen konnte, strömte ins Zimmer.

      Miss Garth erhob sich nun selbst unwillkürlich und las den Schein. Er schien keinen bestimmten Eindruck auf sie zu machen, sie legte ihn bei Seite mit einem verwirrten und gedankenlosen Blicke.

      – Zwölf Jahre, sagte sie mit leiser verzweiflungsvoller Stimme…, zwölf ruhige glückliche Jahre lebte ich bei dieser Familie. Mrs. Vanstone war meine Freundin, meine theure hochgeschätzte Freundin meine Schwester, kann ich wohl sagen. Ich kann es nicht glauben. Haben sie ein wenig Geduld mit mir, mein Herr; ich kann es noch immer nicht glauben.

      – Ich werde Ihnen zu Hilfe kommen, daß Sie es glauben lernen, wenn ich Ihnen mehr erzähle, sagte Mr. Pendril. Sie werden mich besser verstehen, wenn ich Sie zu der Zeit von Mr. Vanstones früherem Leben zurückführe… Ich will aber jetzt Ihre Aufmerksamkeit nicht gleich wieder in Anspruch nehmen. Lassen Sie uns ein Weilchen warten, bis Sie sich erholt haben.

      Sie warteten einige Minuten. Der Advocat nahm einige Briefe aus der Tasche, beschäftigte sich aufmerksam mit denselben und steckte sie wieder ein.

      – Können Sie mich nun wieder anhören? fragte er freundlich.

      Sie nickte mit dem Kopfe zur Antwort.

      Mr. Pendril ging mit sich selbst einen Augenblick zu Rathe, dann sagte er:

      – Ich muß Sie in einem Puncte beruhigen. Wenn das Bild von Mr. Vanstones Charakter, welches ich im Begriff stehe Ihnen jetzt zu geben, in manchen Hinsichten nicht mit Ihren späteren Erfahrungen übereinstimmt, so beachten Sie wohl, daß, als Sie ihn vor zwölf Jahren kennen lernten, er ein Mann von vierzig Jahren war und daß, als ich ihn kennen lernte, er ein junges Blut von neunzehn war.

      Seine nächsten Worte hoben den Schleier und ließen einen Blick thun, in die unwiderrufliche Vergangenheit.—

      Dreizehntes Capitel

      – Das Vermögen, das Mr. Vanstone besaß, als Sie ihn kennen lernten, hob der Advocat an, war ein Theil und nur ein Theil der Erbschaft, welche ihm bei seines Vaters Tode zufiel Mr. Vanstone der ältere war ein Fabrikant im Norden Englands. Er heirathete früh, und die Kinder aus seiner Ehe waren entweder sechs oder sieben an der Zahl, ich weiß es nicht genau. Der erste, Michael, der älteste Sohn, noch am Leben und jetzt ein hochbejahrter Mann, ist über die Siebzig hinaus. Dann kommt Selina, die älteste Tochter, welche in späteren Jahren heirathete und nun seit zehn bis elf Jahren todt ist. Nach diesen Beiden kamen noch andere Söhne und Töchter, deren frühzeitiges Ableben es unnöthig macht, sie des Breitern auszuführen. Das letzte und um viele Jahre jüngste von den Kindern war Andreas, welchen ich zuerst kennen lernte, wie gesagt, als er neunzehn alt war. Mein eigener Vater stand damals auf dem Punkte, sich von dem Betriebe feines Berufs zurückzuziehen. Da ich sein Nachfolger wurde, so erhielt ich als solcher auch seine Kundschaft, die Vanstones, deren Sachwalter er war.

      – In jener Zeit war Andreas gerade ins Leben hinausgetreten und hatte die militärische Laufbahn erwählt. Nachdem er etwas über Jahresfrist im Vaterlande daheim gedient hatte, wurde er mit seinem Regiment nach Canada beordert. Als er England verließ, waren sein Vater und sein älterer Bruder Michael in ernstlicher Mißhelligkeit mit einander. Ich brauche Sie nicht damit aufzuhalten, daß ich auf die Ursache ihrer Zerwürfniß näher eingehe. Ich habe Ihnen nur zu sagen, daß der ältere Mr. Vanstone bei manchen trefflichen Eigenschaften ein Mann von stolzem und unnachgiebigem Charakter war. Sein ältester Sohn hatte unter Umständen, die einen Vater von weit milderem Charakter mit Recht aufgebracht haben würden, seinen Unwillen erregt, und er erklärte in den unzweideutigsten Ausdrücken, daß er niemals Michaels Antlitz wieder sehen möchte. Trotz meiner Bitten und trotz der Gegenvorstellungen seiner Gattin zerriß er in unserm Beisein den letzten Willen, welcher Michaels Antheil an dem väterlichen Erbe feststellte. Dies war die Lage der Familie, als der jüngere Sohn die Heimat verließ, um nach Canada zu rücken.

      – Einige Monate nach der Ankunft des Andreas und seines Regiments in Canada wurde er mit einer Frau von großen persönlichen Reizen bekannt, welche aus einem der Südstaaten von Nordamerika kam oder zu kommen vorgab. Sie erlangte einen unbeschränkten Einfluß über ihn und mißbrauchte solchen auf die schlechteste Art und Weise. Sie kannten den offenen, hingebenden und vertrauensvollen Charakter des Mannes in späteren Jahren: Sie können sich denken, wie er den Impulsen seiner Jugend ohne Gedanken an die Zukunft folgte. Es ist unnütz, bei diesem beklagenswerthen Theil der Geschichte länger zu verweilen. Er war eben einundzwanzig Jahre alt. Für sie, das unwürdige Weib, fühlte er eine verblendete Liebe, und sie wußte ihn mit unbarmherzigen Ränken soweit zu führen, bis es zu spät war, zurückzutreten Mit einem Worte, er beging den verhängnißvollen Mißgriff seines Lebens: er nahm sie zur Frau.

      – Sie war in ihrem eigenen Interesse schlau genug gewesen, den Einfluß seiner Kameraden, der Offiziere, zu fürchten und ihn zu überreden, ihre beabsichtigte Verbindung bis zur Zeit der Vermälungsfeier geheim zu halten. Dies vermochte sie durchzusetzen. Nicht aber konnte sie dem Wirken des Zufalls vorbeugen. Kaum drei Monate waren vorüber, als eine zufällige Entdeckung das Leben, welches sie geführt hatte, ehe sie Mann und Frau waren, ans Tageslicht brachte. Es blieb ihrem Gemahl nur eine Wahl, die Wahl, sich augenblicklich von ihr zu trennen.

      – Die Wirkung der Entdeckung auf den unglücklichen Jüngling – denn ein Jüngling war er nur noch seiner Erfahrung nach – kann man aus dem Ereignisse ersehen, welches der Enthüllung folgte. Einer von Andreas vorgesetzten Offizier fand ihn in seinem Quartier, wie er an seinem Vater ein Bekenntniß der traurigen Wahrheit schrieb, neben sich ein geladenes Pistol. Jener Offizier rettete den Jüngling vor Selbstmord und vertuschte die scandalöse Geschichte durch einen Vergleich. Da die Ehe eine ganz und gar gesetzmäßige war, und der Fehltritt des Weibes, weil vor der Trauung begangen, ihrem Gatten kein Recht gab, sich von ihr scheiden zu lassen, so war es nur möglich, sich an ihren Eigennutz zu wenden. Ein hübsches Jahrgeld wurde ihr zugesichert, unter der Bedingung, daß sie an den Ort zurückkehre, wo sie hergekommen wäre, daß sie niemals in England sich betreten lasse und daß sie aufhöre, ihres Gatten Namen zu führen. Noch andere Abkommen wurden mit ihr vereinbart. Sie nahm sie Alle an und Maßregeln

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