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ist. Jetzt, wo ich weiß, daß mein Testament aufs Neue gemacht werden muß, schreibe ich augenblicklich. Um Gottes Willen kommen Sie an dem Tage, wo Sie Dieses erhalten – kommen Sie und erlösen Sie mich von dem schrecklichen Gedanken, daß meine beiden geliebten Töchter in diesem Augenblicke unversorgt sind. Wenn mir etwas zustoßen sollte und wenn mein Wunsch, ihrer Mutter zu gerecht werden, wegen meiner kläglichen Rechtsunkenntniß damit endigte, Nora und Magdalene ohne Erbe zu hinterlassen, so würde ich keine Ruhe im Grabe haben! Kommen Sie, koste es, was es wolle,

      zu Ihrem allezeit getreuen

A. V.

      – Sonnabend früh, begann Mr. Pendril aufs Neue, fanden mich diese Zeilen. Ich ließ auf der Stelle alle anderen Geschäfte stehen und liegen und fuhr zur Eisenbahn. Auf dem Londoner Bahnhof hörte ich das erste Wort von dem Unglücksfalle vom Freitag, hörte es aber mit sich widersprechenden Angaben von Zahl und Namen der getödteten Reisenden. Zu Bristol war man besser unterrichtet, und die entsetzliche Wahrheit betreffs Mr. Vanstone wurde bestätigt. Ich hatte Zeit, mich von dem Schrecke zu erholen, ehe ich Ihre Station erreichte und Mr. Clares Sohn fand, der mich erwartete. Er nahm mich mit nach seines Vaters Hause, und dort entwarf ich, ohne einen Augenblick zu verlieren, Mrs. Vanstones Testament. Meine Absicht war, in der einzig möglichen Weise für ihre Töchter zu sorgen. Da Mr. Vanstone ab intestato ohne Testament, gestorben ist, so würde ein Drittel seines Vermögens auf seine Gattin fallen, der Rest würde unter seine nächsten Anverwandten vertheilt werden. Es ist die grausame Eigenthümlichkeit der englischen Gesetzgebung, daß die Vermälung der Aeltern die vor der Hochzeit geborenen Kinder nicht legitim macht. Mr Vanstones Töchter hatten unter den Umständen, wie ihr Vater gestorben war, nicht mehr Anspruch auf einen Antheil an seinem Eigenthume, als die Töchter eines seiner Arbeiter im Dorfe. Die einzige Aussicht war die, daß sich ihre Mutter hinreichend erholen möchte, um ihnen für den Fall ihres Hintritts ihr Drittel zum Theilen letztwillig zu hinterlassen. Nun wissen Sie, warum ich an Sie schrieb in der ängstlichen Hoffnung, in das Haus gerufen zu werden. Ich bedauerte aufrichtig, Ihnen auf Ihre Anfrage eine solche Antwort senden zu müssen, als ich genöthigt war, zu schreiben. Aber so lange eine Hoffnung vorhanden war, Mrs. Vanstone beim Leben zu erhalten, war das Geheimniß der Verheirathung ihr, nicht mein Eigenthum, und die Discretion verbot mir in jeder Hinsicht, es zu enthüllen.

      – Sie hatten Recht, sagte Miss Garth, ich verstehe Ihre Beweggründe und achte sie.

      – Mein letzter Versuch, die Töchter zu versorgen, fuhr Mr. Pendril fort, wurde durch den gefährlichen Charakter von Mrs. Vanstones Krankheit vereitelt. Ihr Tod ließ das Kind, welches sie um wenige Stunden überlebte – ich meine, bemerken Sie wohl, daß in gesetzlicher Ehe erzeugte Kind – nach dem ordentlichen Laufe des Gesetzes im Besitz des ganzen Vermögens von Mrs. Vanstone. Beim Tode des Kindes – wenn es die Mutter nur um wenige Augenblicke überlebt hätte, wäre der Erfolg ein und derselbe gewesen – bekam der nächste Verwandte des rechtmäßigen Nachkommen das Geld. Dieser nächste Verwandte ist nun eben des Kindes Oheim von väterlicher Seite, Michael Vanstone. Das ganze Vermögen von achtzig Tausend Pfund ist jetzt eigentlich bereits in seinen Besitz übergegangen.

      – Giebt es keine anderen Verwandten? fragte Miss Garth? Ist da keine Hoffnung auf irgend Jemand anders?

      – Es gibt keine anderen Verwandten mit solchen Ansprüchen wie Michael Vanstone, sagte der Advocat. Es gibt keine Großväter oder Großmütter des verstorbenen Kindes (auf Seiten eines der Aeltern), welche noch am Leben wären. Es war schon nicht recht wahrscheinlich, wenn man das Lebensalter von Mr. und Mrs Vanstone bedenkt, als sie starben. Allein es ist ein Unglück, das man mit vollem Recht beklagen muß, daß nämlich keine anderen Oheime oder Tanten leben. Es sind noch Vettern am Leben, ein Sohn und zwei Töchter der älteren Schwester Mr. Vanstones, welche den Archidiakonus Bartram heirathete und welche, wie ich Ihnen schon erzählte, vor einigen Jahren gestorben ist. Aber ihr Interesse ist durch das Interesse des nähern Blutes bei Seite gestellt. Nein, Miss Garth, wir müssen den Thatbestand, wie er liegt, entschlossen ins Auge fassen. Das Gesetz von England, sofern es die uneheliche Nachkommenschaft betrifft, ist ein Flecken für die Nation. Es verletzt alle Grundsätze der christlichen Liebe, indem es die Fehler der Aeltern auf die Kinder überträgt. Es ermuntert das Laster, indem es bei Vätern und Müttern das stärkste aller Motive zur gesetzlichen Vollziehung der Ehe unwirksam macht. Und dabei gibt es sich noch das Ansehen als bringe es diese zwei verdammungswerthen Wirkungen im Namen der Sittlichkeit und Religion hervor. Anders verfügt das Gesetz von Schottland, anders das Gesetz, von Frankreich, anders das Gesetz jedes andern gesitten Gemeinwesens in Europa, so viel mir bewußt ist. Ein Tag wird kommen, wo England sich dessen schämen wird, aber dieser Tag ist noch nicht angebrochen. Mr. Vanstones Töchter sind Niemandes Kinder, und das Gesetz überläßt sie ohne Hilfe der Gnade ihres Oheims.

      Er sprach diese Worte mit dem Feuer einer edlen Entrüstung und erhob sich.

      – Es ist nutzlos, länger bei der Vergangenheit und der Gegenwart zu verweilen. Der Morgen geht zu Ende, und die Zukunft nimmt unsere Gedanken schon in Anspruch. Der beste Dienst, den ich Ihnen noch leisten kann, ist, die Zeit Ihrer ängstlichen Ungewißheit abzukürzen. In weniger denn einer Stunde werde ich auf dem Wege zurück nach London sein. Unmittelbar nach meiner Ankunft will ich mich eiligst in Verkehr setzen mit Mr. Michael Vanstone und werde Sie das Ergebniß wissen lassen. Traurig wie die Lage der beiden Schwestern jetzt ist, werden wir ihr die beste Seite abzugewinnen suchen müssen. Noch dürfen wir die Hoffnung nicht sinken lassen.

      – Hoffnung? wiederholte Miss Garth. Noch Hoffnung von Michael Vanstone?!

      – Ja wohl, Hoffnung auf den Einfluß, wo nicht des Erbarmens, so doch der Zeit bei ihm. Wie ich Ihnen schon gesagt habe, ist er jetzt ein Greis, er kann nach dem Laufe der Natur nicht mehr lange zu leben hoffen. Wenn er auf die Zeit zurückblickt, wo er und sein Bruder zuerst auseinander geriethen, so muß er dreißig Jahre zurück blicken. Sind das nicht mildernde Einflüsse, denen sich kein Mensch entziehen kann? Wird nicht die Kenntniß der schrecklichen Umstände, unter welchen er in den Besitz dieses Geldes gekommen ist, bei ihm Fürsprech sein, wenn auch sonst nichts Anderes in ihm für uns spräche?

      – Ich will versuchen, so zu denken, wie Sie, Mr. Pendril, – will versuchen, das Beste zu hoffen. Sollen wir lange in Ungewißheit bleiben, ehe die Entscheidung uns findet?

      – Ich glaube nicht. Der einzige Verzug auf meiner Seite wird durch die Nothwendigkeit verursacht werden, den gegenwärtigen Aufenthaltsort Michael Vanstones auf dem Festlande ausfindig zu machen. Ich denke, ich habe Mittel in den Händen, dieser Schwierigkeit mit Erfolg zu begegnen und den Augenblick, wo ich nach London komme, werde ich diese Mittel in Anwendung bringen.

      Er setzte seinen Hut auf und kehrte dann an den Tisch zurück, auf welchem des Vaters letzter Brief und des Vaters unnützes Testament neben einander lagen. Nach einer augenblicklichen Ueberlegung legte er Beides in Miss Garths Hände.

      – Es mag Ihnen helfen, den verwaisten Schwestern die harte Wahrheit kund zu thun, sagte er in seiner ruhigen halb, zurückhaltenden Weise, wenn dieselben sehen, wie ihr Vater ihrer letztwillig gedenkt, wenn sie seinen Brief, den letzten, den er jemals geschrieben, lesen können. Lassen Sie diese Liebeszeichen ihnen aussprechen, daß der einzige Gedanke in ihres Vaters Leben der Gedanke, seinen Kindern eine Genugthuung zu geben, war.

      – Sie mögen den Makel ihrer Geburt schmerzlich beklagen —, sagte er mir zu der Zeit, als ich seinen jetzt unnützen letzten Willen aufsetzte, – aber sie sollen sich nie über mich beklagen. Ich will ihnen Nichts in den Weg legen: sie sollen nie eine Sorge kennen lernen, die ich ihnen ersparen kann, oder einen Mangel, dem ich nicht abhelfe.

      – Er ließ mich diese Worte in seinen letzten Willen setzen, um für ihn zu sprechen, wenn die Wahrheit, die er vor seinen Kindern bei Lebzeiten seiner verborgen gehalten, ihnen nach seinem Tode offenbar würde. Kein Gesetz kann seine Töchter des Erbtheils seiner Reue und seiner Liebe berauben. Ich lasse Ihnen das Testament und den Brief da, um Ihnen dadurch eine Hilfe an die Hand zu geben: ich Vertraue Beides Ihrer Sorgfalt an.

      Er sah, wie seine Milde beim Abschied sie ergriff, und kürzte daher absichtlich das Lebewohl ab. Sie faßte mit ihren beiden Händen seine Rechte und murmelte in gebrochenen Tönen einige Dankesworte.

      – Verlassen Sie sich darauf, daß ich

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