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Namenlos. Уилки Коллинз
Читать онлайн.Название Namenlos
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Уилки Коллинз
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Vierzehntes Capitel
Es war fast ein Uhr vorüber, als Mr. Pendril das Haus verließ. Miss Garth saß wieder an dem Tische allein und suchte der Notwendigkeit, welche das Ereigniß des Morgens ihr jetzt auferlegte, ins Auge zu sehen.
Ihr Geist war der Anstrengung nicht gewachsen. Sie versuchte, den Druck auf denselben zu mindern, einen Augenblick das Gefühl der eigenen Lage zu verlieren, ihren Gedanken nur auf einige Minuten zu entgehen. Nach einer Weile öffnete sie Mr. Vanstones Brief und begann unwillkürlich denselben noch einmal durchzulesen.
Aber und abermals blieben ihr die letzten Worte des Verstorbenen fester und immer fester in ihren Gedanken haften. Die ungestörte Einsamkeit, die ununterbrochene Stille unterstützten den Einfluß derselben auf ihr Gemüth und machten es jenen Eindrücken der Vergangenheit und Gegenwart zugänglich, welchen sie doch eben ängstlich zu entgehen trachtete. Als sie zu den traurigen Zeilen, welche den Brief schlossen, kam, fand sie sich unbewußt und unmerklich dabei, wie sie die verhängnißvolle Verkettung der Ereignisse, Glied um Glied rückwärts verfolgte, bis sie den Anfang in der beabsichtigten Verbindung zwischen Magdalene und Francis Clare erreichte.
Diese Heirath hatte Mr. Vanstone zu seinem alten Freunde geführt mit dem Bekenntnisse auf den Lippen, welches sonst denselben nimmer entschlüpft wäre. Dann kam die Aufklärung, welche ihn nach Hause zurückgeführt hatte, um den Advocaten herzubescheiden. Diese Einladung wieder hatte die unvermeidliche Beschleunigung und Verlegung von der Sonnabendreise auf den Freitag herbeigeführt, auf den Freitag des Unglücksfalls, den Freitag, wo er in seinen Tod ging! Aus seinem Tode folgte der zweite Verlust, der das Haus in Jammer und Elend gestürzt hatte, die hilflose Lage der Töchter, deren glückliche Zukunft seine heiligste Sorge gewesen war, die Enthüllung des Geheimnisses, welche sie diesen Morgen fast erdrückt hatte, die noch schrecklichere Eröffnung, welche sie nun verurtheilt war, den Töchtern kund zu machen. Zum ersten Male sah sie die ganze Folge der Ereignisse, sah sie so deutlich, als das unbewölkte Blau des Himmelgewölbes und das grüne Farbenspiel der Bäume draußen im Sonnenschein.
Wie, wann konnte sie es ihnen sagen? Wer konnte ihnen mit der Enthüllung ihrer unehelichen Abkunft nahe treten, bevor ihr Vater und ihre Mutter eine Woche im Grabe ruhten? Wer konnte die schrecklichen Worte sprechen, wo noch die ersten Zähren ihre Wangen benetzten, wo der erste Trennungsschmerz in ihren Herzen am Heftigsten war, wo die Erinneren an die Bestattung noch nicht einen Tag alt war? Nicht ihr letzter übriger Freund, nicht die gläubige Frau, deren Herz um sie blutete Nein! für jetzt Stillschweigen um jeden Preis, Stillschweigen aus Erbarmen für manche kommende Tage!
Sie verließ das Zimmer, mit dem Testament und dem Brief in ihrer Hand, mit dem natürlichen, menschlichen Mitleid im Herzen, welches ihren Lippen ein Siegel auferlegte und ihre Augen absichtlich der Zukunft verschloß. In der Flur hielt sie an und lauschte. Nicht ein Ton war zu hören. Sie stieg leise die Treppe hinan auf dem Wege nach ihrem Zimmer und kam an der Thür von Noras Schlafgemach vorüber. Stimmen darin, die Stimmen der beiden Schwestern drangen an ihr Ohr. Nach einer augenblicklichen Ueberlegung hielt sie sich selbst zurück, kehrte um und stieg rasch die Treppe wieder herunter. Beide, Nora und Magdalene, wußten von der Unterredung zwischen ihr und Mr. Pendril: sie hatte es für ihre Schuldigkeit gehalten, denselben den Brief zu zeigen, welcher die Anmeldung desselben enthielt, konnte sie deren Verdacht erwecken, dadurch daß sie sich in ihr Zimmer einschloß, sobald der Advocat das Haus verlassen hatte? Ihre Hand zitterte auf dem Treppengeländer, sie fühlte, daß ihr Gesicht sie verrathen würde. Die sich selbst verleugnende Tapferkeit, welche sie bis auf diesen Tag nie verlassen hatte, war doch endlich zu viel auf die Probe gestellt worden: dieselbe war doch zuletzt über ihr Vermögen angespannt worden.
In der Hausthür dachte sie einen Augenblick nach und ging in den Garten; indem sie ihre Schritte zu einer ländlichen Bank mit einem Tische ungesehen vom Hause unter den Bäumen hinlenkte. In früheren Zeiten hatte sie oft dort gesessen, auf der einen Seite Mrs. Vanstone, auf der andern Nora mit Magdalenen und den auf dem Grase sich tummelnden Hunden. Jetzt saß sie allein dort, das Testament und den Brief, welchen sie nicht aus den Händen zu lassen sich getraute, vor sich auf den Tisch gelegt, ihr Haupt darüber gebeugt, ihr Gesicht in ihren Händen verborgen. Allein saß sie da und versuchte, ihren sinkenden Muth wieder aufzurichten.
Trübe Gedanken bemächtigten sich ihrer über die dunkeln Tage der Zukunft, Furcht ergriff sie vor der heimlich drohenden Gefahr, welche ihr eigenes Stillschweigen gegenüber Nora und Magdalene in naher Zukunft heraufbeschwören möchte. Ein einziger Augenblick konnte plötzlich die Warheit an den Tag bringen. Mr. Pendril konnte schreiben, konnte sich persönlich an die Schwestern wenden in der natürlichen Ueberzeugung, daß sie dieselben unterrichtet habe. Verwickelungen konnten in einem Augenblick sich rings um sie versammeln; unvorhergesehene, dringende Umstände konnten ihr sofortiges Verlassen des Hauses nothwendig machen. Sie sah alle diese Gefahren, – und doch war ihr der grausame Muth, das Schlimmste zu ergreifen und zu reden ferner als je. Es dauerte nicht lange, so drängten die auf sie einstürmenden Gedanken nach außen, um sich in Worten und Handlungen Luft zu machen. Sie erhob ihr Haupt und ließ ihre Hand in Verzweiflung auf den Tisch fallen.
– Gott stehe mir bei, was soll ich thun! rief sie aus. Wie soll ich es ihnen sagen?
– Es ist nicht nöthig, es ihnen zu sagen, sprach eine Stimme hinter ihr. Sie wissen es bereits.
Sie fuhr plötzlich in die Höhe und blickte sich um. Es war Magdalene, welche vor ihr stand, Magdalene, welche diese Worte gesprochen hatte.
Ja dort stand die reizende Gestalt in ihren Trauerkleidern, sie stand da groß und schwarz und unbeweglich anzuschauen gegenüber dem Blätterhintergrunde Es war Magdalene selbst mit einer unveränderlichen Stille auf ihrem weißen Gesichte, mit einer eisigen Ergebung in ihren festen grauen Augen.
– Wir wissen es schon, wiederholte sie in vernehmbarem, abgemessenem Tone. Mr. Vanstones Töchter sind Niemandes Kinder, und das Gesetz überläßt sie ohne Gnade dem Erbarmen ihres Oheims.
So wiederholte sie ohne eine Thräne auf ihren Wangen, ohne ein Zittern in ihrer Stimme die eigenen Worte des Advocaten, genau so, wie er sie gesprochen hatte. Miss Garth fuhr einen Schritt zurück faßte sich an der Bank an, um sich festzuhalten. Ihr Kopf schwindelte, sie schloß ihre Augen in einer augenblicklichen Schwäche. Als sie dieselben wieder an schlug, wurde sie von Magdalenens Arm unterstützt, Magdalenens Athem wehte an ihrer Wange, Magdalenens kalte Lippen küßten sie. Sie zog sich vor dem Kusse zurück, die Berührung von des Mädchens Lippen erfüllte sie mit durchbohrendem Entsetzen.
Sobald sie sprechen konnte, stellte sie die unvermeidliche Frage.
– Sie hörten uns, sagte sie. Wo?
– Unter dem offenen Fenster.
– Die ganze Zeit?
– Von Anfang bis zu Ende.
Sie hatte also, dieses Kind von achtzehn Jahren, in der ersten Woche ihrer Verwaistheit die ganze schreckliche Enthüllung belauscht, Wort für Wort, wie sie von des Advocaten Lippen fiel, und hatte sich niemals selbst verrathen! Von Anfang bis zu Ende waren die einzigen Bewegungen, die ihr entschlüpft waren, so vorsichtig und leicht genug gewesen, um mit einem Streichen der Sommerluft durch die Blätter verwechselt zu werden!
– Versuchen Sie noch nicht zu sprechen, sagte sie in sanfterem und milderem Tone. Sehen Sie mich nicht mit so ungläubigen Augen an. Was habe ich Unrechtes gethan? Als Mr. Pendril mit Ihnen über Nora und mich zu sprechen wünschte, ließ uns sein Brief nur eine Wahl, entweder bei der Unterredung zugegen zu sein oder wegzubleiben. Als meine ältere Schwester sich entschloß, wegzubleiben, wie konnte ich da kommen? Wie konnte ich meine eigene Geschichte hören, außer auf die Weise, welche ich ausfindig machte? Mein Lauschen hat kein Unheil angerichtet. Es hat Gutes gewirkt, es hat Ihnen den Schmerz erspart, mit uns zu sprechen. Sie haben schon um uns genug gelitten, es ist Zeit, daß wir unsere Leiden selbst zu tragen lernen. Ich habe es gelernt. Und Nora lernt es auch.
– Nora?!
– Ja. Ich habe Alles gethan, um Sie zu schonen. Ich habe Nora in Kenntniß gesetzt.
Sie