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es bedeuten, daß – Mr. Vanstone gestorben war, ohne ein Testament zu hinterlassen?

      Bei ihrer traurigen und verwirrten Gemüthsverfassung war Miss Garth nicht im Stande, bei sich selber zur Klarheit zu kommen, wie sie in einer glücklichern Zeit wohl gekonnt hätte. Sie eilte in das Vorzimmer von Mrs. Vanstones Gemach und übergab, nachdem sie Mr Pendrils Stellung zur Familie dargelegt hatte, seinen Brief den Händen der Aerzte. Beide antworteten, ohne sich zu besinnen, in demselben Sinne: Mrs. Vanstones Befinden mache eine solche Unterredung, wie sie der Advocat wünsche, schlechterdings zur Unmöglichkeit. Wenn sie sich von der gegenwärtigen furchtbaren Erschöpfung erholt hätte, sollte Miss Garth sofort von der Besserung in Kenntniß gesetzt werden. Mittlerweile sollte Mr. Pendril als Antwort das eine Wort mitgetheilt werden: unmöglich.

      – Sie wissen, welche Wichtigkeit Mr. Pendril der Unterredung beilegt? sagte Miss Garth.

      Ja, beide Doktoren wußten es.

      – Mein Geist ist in dieser schrecklichen Noth so wirr und rathlos, meine Herren. Kann wohl Einer von Ihnen errathen, weshalb die Unterschrift erforderlich ist? Oder was der Gegenstand der Unterredung sein mag? Ich habe Mr. Pendril nur gesehen, wenn er bei früheren Besuchen hierher kam, ich habe kein Recht, das mir gestattete, ihn zu fragen. Wollen Sie den Brief noch einmal lesen? Glauben Sie, es geht daraus hervor, daß Mr. Vanstone kein Testament gemacht hat?

      – Ich denke kaum, daß Dieses daraus hervorgeht, sagte einer von den Doktoren. Aber selbst gesetzt, Mr. Vanstone wäre ab intestato gestorben, so nimmt sich doch das Gesetz der Interessen seiner Witwe und seiner Kinder getreulich an…

      – Würde Dies auch der Fall sein, so fiel der andere Arzt ein, wenn das Vermögen in Grundbesitz besteht?

      – Das weiß ich in diesem Falle so genau nicht. Wissen Sie vielleicht zufällig, Miss Garth, ob Mr. Vanstones Vermögen in Capitalien oder in Ländereien besteht?

      – In Capitalien, erwiderte Miss Garth. Ich habe es bei mehr als einer Gelegenheit von ihm selbst gehört.

      – Dann kann ich Ihre Seele beruhigen aus meiner eigenen Erfahrung. Das Gesetz giebt, wenn er ohne Testament stirbt, ein Drittheil seines Vermögens der Witwe und theilt den Rest gleichmäßig unter die Kinder.

      – Aber wenn Mrs. Vanstone…

      – Wenn Mrs. Vanstone sterben sollte, fuhr der Doctor fort, die Frage beendigend, die Miss Garth nicht den Muth hatte, zu vollenden, glaube ich recht unterrichtet zu sein, wenn ich Ihnen sage, daß das Vermögen nach dem Gange des Rechts den Kindern zufällt. Was also auch für eine dringende Angelegenheit in der Unterredung zur Sprache kommen mag, welche Mr. Pendril verlangt, ich kann keinen Grund dafür sehen, dieselbe mit Mr. Vanstones Intestatverlassenschaft in Verbindung zu bringen. Aber auf jeden Fall richten Sie nur getrost zu Ihrer eigenen Beruhigung die Frage an Mr. Pendril selbst.

      Miss Garth ging, um, den von dem Doktor gegebenen Rath zu befolgen. Nachdem sie Mr. Pendril den ärztlichen Bescheid mitgetheilt, welcher ihm die nachgesuchte Unterredung so rund abschlug, fügte sie in kurzen Worten die Rechtsfrage hinzu, welche sie an die Doctoren gerichtet hatte, und deutete in zarter Weise auf ihre natürliche Scheu hin, nach den Beweggründen fragend, welche den Rechtsanwalt vermocht hätten, jenes Ersuchen zu stellen. Die Antwort, welche sie erhielt, war im höchsten Grade geschraubt: Sie brachte ihr durchaus keine günstige Meinung von Mr. Pendril bei. Er bestätigte nur in allgemeinen Ausdrücken die Auslegung des Gesetzes, wie sie die Doctoren ihr gegeben hatten, sprach seine Absicht aus, in dem Nachbarhause zu verweilen in der Hoffnung, daß eine Aenderung zum Bessern Mrs. Vanstone in den Stand setzen werde, ihn anzunehmen, und schloß seinen Brief ohne die geringste Erklärung seiner Gründe und ohne ein auf die Hauptfrage, das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines letzten Willens von Mr. Vanstone, bezügliches Wort der Aufklärung.

      Die absichtliche Vorsicht der Antwort des Advocaten blieb für Miss Garths Gemüth eine Quelle neuer Unruhe, bis das lange ersehnte Ereigniß des Tages alle ihre Gedanken aus ihre alles Andere bei Seite stellende Hauptsorge wegen Mrs. Vanstone zurücklenkte.

      In den ersten Abendstunden traf der Arzt von London ein. Er beobachtete lange am Bette der Leidenden, er blieb noch länger in Berathung mit seinen ärztlichen Collegen und ging dann wieder in das Krankenzimmer, bevor Miss Garth seiner habhaft werden konnte, damit er ihr die Meinung mittheile, welche er nunmehr gefaßt habe.

      Als er zum zweiten Male in das Vorzimmer heraustrat, nahm er schweigend einen Stuhl neben ihr ein. Sie sah in sein Gesicht, und die letzte schwache Hoffnung erstarb in ihr, ehe er die Lippen öffnete.

      – Ich muß die harte Wahrheit sagen, sagte er sanft, Alles was nur geschehen konnte, ist in der That geschehen. Die nächsten vierundzwanzig Stunden im höchsten Falle werden Ihrer Angst ein Ende machen. Wenn die Natur nicht eine Anstrengung macht in jener Zeit – ich bedaure es sagen zu müssen – müssen Sie sich auf das Schlimmste gefaßt machen.

      Diese Worte sagten Alles: sie verkündigten das baldige Ende.

      Die Nacht verging, und sie lebte noch. Der nächste Tag kam, und sie fristete sich hin, bis die Uhr fünf zeigte. Um diese Zeit hatte die Nachricht vom Tode ihres Gatten den tödtlichen Schlag gegen sie geführt. Als die Stunde wieder herum war, ließ sie die Gnade Gottes eingehen in eine bessere Welt. Ihre Töchter lagen auf ihren Knieen neben dem Bette, als sie ihren Geist aushauchte. Sie verließ sie ohne Bewußtsein von deren Gegenwart, in Gnaden und zum Glück bewahrt vor dem Schmerze des letzten Lebewohls.

      Ihr Kind überlebte sie, bis der Abend zu Ende ging und der Sonnenuntergang nur matt am westlichen Himmel sichtbar war. Als die Dunkelheit kam, flackerte das Licht des kleinen schwächlichen Lebens, das vom ersten Augenblick an nur zart und spärlich war, noch ein Mal auf und erlosch. Alles, was irdisch war an Mutter und Kind, lag diese Nacht auf demselben Bette. – Der Engel des Todes hatte sein schreckliches Gebot erfüllt, und die beiden Schwestern standen allein in der Welt.

      Zwölftes Capitel

      Früher als gewöhnlich am Morgen des Donnerstags, des Zweiundzwanzigsten Juli, erschien Mr. Clare in der Thür seines Häuschens und trat in den kleinen Gartenstreifen an seiner Wohnung.

      Als er ein paar Mal hin- und zurückgegangen war, trat ein magerer, ruhiger Mann mit grauen Haaren zu ihm, dessen persönliche Erscheinung vollständig ohne besondere Kennzeichen irgend welcher Art war, dessen ausdrucksloses Gesicht und höflich ruhiges Benehmen Nichts boten, was Tadel verdiente und Nichts, was Widerwillen einflößte. Dies war Mr. Pendril, Dies war der Mann, von dessen Lippen das künftige Schicksal der Waisen auf Combe-Raven abhing.

      – Die Zeit rückt heran, sagte er, indem er nach den Buschanlagen hinübersah, als er zu Mr. Clare trat. Meine Bestellung zu Miss Garth ist zu elf Uhr: es fehlen nur noch zehn Minuten an der Stunde.

      – Wollen Sie allein mit ihr sprechen? fragte Mr. Clare.

      – Ich überließ die Entscheidung Miss Garth, nachdem ich sie vor Allem zuvor in Kenntniß gesetzt hatte, daß die Umstände, welche ich ihr zu entdecken haben würde, von einer sehr ernsten Art seien.

      – Und hat sie entschieden?

      – Sie gab mir schriftlich Nachricht, daß sie den beiden Töchtern meine Bestellung mitgetheilt und die Andeutung wiederholt habe, welche ich ihr gegeben habe. Die ältere von den Beiden scheut sich – und wer kann sich darüber wundern? – vor jeder Besprechung betreffs der Zukunft, welche ihre Gegenwart in einer so kurzen Frist als der Tag nach der Beerdigung ist, erheischt. Die jüngere scheint keine Meinung darüber geäußert zu haben. Wie ich mir denke, läßt sie sich von dem Beispiele ihrer Schwester dabei passiv leiten. Meine Unterredung wird daher mit Miss Garth allein stattfinden, und es ist mir ein großer Trost, Dies zu wissen.

      Er sprach die letzten Worte mit mehr Nachdruck und Wärme, als er gewohnt zu sein schien. Mr. Clare blieb daher stehen und sah seinen Gast aufmerksam an.

      – Sie sind beinahe so alt als ich bin, mein Herr, sagte er. Hat alle Ihre langjährige Erfahrung als Anwalt Sie noch immer nicht hart gemacht?

      – Ich wußte noch nicht, wie wenig sie mich hart gemacht hat, erwiderte Mr. Pendril ruhig, bis ich gestern von London zurückkam, um bei der Beerdigung zugegen zu sein. Ich war nicht

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