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verrichten hat, so spart er Das immer bis auf den letzten Moment auf, ist Das nicht wahr, Mamma?

      Die Frage richtete ihre Mutter genau so, wie es Magdalene beabsichtigt hatte, wieder auf.

      – Nicht wenn seine Verrichtung eine Gefälligkeitssache ist, sagte Mrs. Vanstone. Er ist gegangen, um den Müller in einer sehr bedrängten Lage zu helfen…

      – Und weißt Du nicht, was er machen wird? beharrte Magdalene. Er wird sich herumtummeln mit den Kindern des Müllers, mit der Mutter Plaudern und mit dem Vater ein Gläschen trinken. Im letzten Augenblicke, wenn er nur noch fünf Minuten übrig hat, um den Zug zu erreichen, wird er sagen: Wir wollen doch in das Abrechnungszimmer gehen und in den Büchern nachsehen. Er wird die Bücher ganz entsetzlich verwickelt finden, er wird vorschlagen, einen Rechnungsführer holen zu lassen; er wird das Geschäft kurzweg abmachen, indem er mittlerweile das Geld herleiht; er wird dann in des Müllers Wägelchen bequem zurückkutschieren und uns erzählen, wie lieblich die Gäßchen sind in der Abendkühle

      Die kleine Charakterzeichnung, welche diese Worte entwarfen, war ein zu treues Bild, als daß es nicht Anerkennung hätte finden sollen. Mrs. Vanstone zeigte ihren Beifall an durch ein Lächeln.

      – Wenn Dein Vater zurückkehrt, sagte sie, so wollen wir von Deiner Rechnung die Probe machen. Ich denke – fuhr sie fort, indem sie sich langsam in ihrem Stuhle aufrichtete, ich thue am Besten wieder hinein zugehen und auf dem Sopha zu ruhen, bis er zurückkommt.

      Die kleine Gruppe unter dem Säulengange brach auf. Magdalene schlüpfte in den Garten, um Franks Bericht von seiner Unterredung mit dem Vater zu vernehmen. Die anderen drei Damen traten zusammen ins Haus. Als Mrs. Vanstone bequem auf dem Sopha untergebracht war, ließen Nora und Miss Garth sie allein, um sie ruhen zu lassen, und zogen sich in die Bibliothek zurück, die letzte Büchersendung aus London durchzusehen.

      Es war ein ruhiger wolkenloser Sommertag. Die Hitze wurde durch eine leichte Brise von Westen gemildert, die Stimmen der auf einem Felde in der Nähe beschäftigten Arbeiter klangen fröhlich zum Hause herüber; die Thurmuhr der Dorfkirche ließ sich, wenn sie die Viertel schlug, infolge der Windströmung, mit hellerem Klange, mit einem lautern Tone als gewöhnlich vernehmen. Süße Düfte vom Felde und aus dem Blumengarten drangen durch die offenen Fenster herein und füllten das Haus mit ihrem Wohlgeruch, und die Vögel in Noras Vogelhause oben sangen schmetternd ihre fröhlichen Lieder in den Sonnenschein hinaus.

      Als die Kirchenuhr ein Viertel nach vier Uhr schlug, ging die Thür des Morgenzimmers auf, und Mrs. Vanstone ging allein über die Flur. Sie hatte vergebens versucht, sich zu beruhigen. Sie war zu unruhig, als daß sie still liegen konnte. Einen Augenblick richtete sie ihre Schritte nach dem Säulengange, wandte sich dann und sah um sich, ungewiß wohin sie nun gehen, was sie thun sollte. Wie sie noch zögerte, erregte die halboffene Thür Von ihres Gatten Arbeitszimmer ihre Aufmerksamkeit. Das Zimmer schien in böser Unordnung zu sein. Schubkästen waren offen stehen geblieben, Röcke und Hüte, Rechenbücher und Papiere, Pfeifen und Angelruthen lagen durcheinander. Sie ging hinein und stieß die Thür zu, aber so, daß sie nicht zu klinckte.

      – Es wird mir Freude machen, sein Zimmer aufzuräumen, dachte sie bei sich selbst. Ich thue so gern Etwas für ihn, so lange ich noch nicht hilflos an mein Bett gefesselt bin.

      Sie fing an, die Schubkästen in Ordnung zu bringen und fand sein Banquierbuch offen in einem derselben daliegen.

      – Mein guter, lieber Alter, wie sorglos er ist. Die Dienstboten hätten alle seine Angelegenheiten sehen können, wenn ich nicht glücklicherweise ein Mal nachgesehen hätte.

      Sie machte die Schubfächer zu und wandte sich dann zu den tausend Kleinigkeiten auf einem Seitentische. Ein kleines altmodisches Notenheft kam unter den bunt durcheinander liegenden Papieren zum Vorschein, es stand in verblichener Tinte ihr Name darauf geschrieben. Sie erröthete wie ein junges Mädchen im ersten Glücke der Entdeckung.

      – Wie gut er gegen mich ist! Er denkt noch an mein armes kleines Notenbuch und hebt es um meinetwillen auf.

      Als sie sich an den Tisch setzte und das Buch aufschlug, kam die Vergangenheit mit all ihrem Glück zu ihr heraufgestiegen. – Die Uhr schlug ein Halb, schlug drei Viertel … und noch immer saß sie da, das Notenbuch auf dem Schoße, und träumte sich glücklich in die alten Gesänge hinein und dachte dankbar der goldenen Tage, wo seine Hand die Seiten für sie umgewendet, wo seine Stimme die Worte geflüstert hatte, welche das Gedächtniß einer Frau nimmer vergißt. —

      Nora erhob sich von dem Bande, den sie las und sah nach der Uhr auf dem Kamin der Bibliothek.

      – Wenn Papa mit der Eisenbahn zurückkommt, sagte sie, so muß er in zehn Minuten hier sein.

      Miss Garth fuhr zusammen und blickte schläfrig von dem Buche auf, das ihr eben aus der Hand gefallen war.

      – Ich denke nicht, daß er mit dem Zuge zurückkommen wird. Er wird, wie Magdalene scherzhaft sich ausdrückte, in dem Müllerwägelchen zurückkutschieren.

      Als sie die Worte sagte, klopfte es an der Bibliotheksthüre. Der Bediente erschien und wandte sich an Miss Garth.

      – Es wünscht Sie Jemand zu sprechen, Madame.

      – Wer ist es?

      – Ich weiß es nicht, Madame. Ein Fremder, ein anständig aussehender Mann,… und er sagte, er wünsche ganz besonders Sie zu sprechen.

      Miss Garth ging in die Flur hinaus. Der Diener machte die Thür hinter ihr zu und ging die Küchentreppe hinunter.

      Der Mann stand gerade in der Thür, auf der Matte. Seine Augen waren unruhig, sein Gesicht war bleich er sah leidend und erschrocken aus. Er spielte zitternd mit seiner Mütze und drehte dieselbe rückwärts und vorwärts, von einer Hand zur andern.

      – Sie wollten mich sprechen? sagte Miss Garth.

      – Ich bitte um Entschuldigung, Madame… Sind Sie nicht Mrs. Vanstone?

      – Keineswegs Ich bin Miss Garth Warum fragen Sie so?

      – Ich bin nämlich in der Schreibstube der Station Grailsea angestellt…

      – So?

      – Ich bin hierher geschickt…

      Er hielt wieder inne. Seine unstäten Augen sahen nieder auf die Matte und seine rastlosen Hände würgten seine Mütze immer unbarmherziger … Er machte seine Lippe aufs Neue naß und versuchte es noch einmal.

      – Ich bin hierher geschickt wegen einer eigenen sehr ernsten Sache.

      – Ernst für mich?

      – Ernst für Alle in diesem Hause.

      Miss Garth trat einen Schritt näher auf ihn zu und behielt ihre Augen fest auf sein Gesicht gerichtet. Es überlief sie kalt trotz der Sommerhitze.

      – Halten Sie inne! sagte sie mit plötzlichem Mißtrauen und sah ängstlich zur Seite nach der Thür des Morgenzimmers. Sie war fest verschlossen.

      – Sagen Sie mir das Schlimmste und sprechen Sie nicht laut. Es ist ein Unglück geschehen. Wo?

      – Auf der Bahn. Nahe bei der Station Grailsea.

      – Der auswärts gehende Londoner Zug?

      – Nein, der abwärts gehende, ein Uhr fünfzig Minuten.

      – Gott der Allmächtige stehe uns bei! Der Zug, mit dem Mr. Vanstone nach Grailsea fuhr?

      – Derselbe. Ich wurde mit dem aufwärts gehenden Zuge geschickt, die Linie war eben wieder freigemacht worden. Sie wollten nicht schreiben, sie sagten, ich müßte »Miss Garth« aufsuchen und es ihr erzählen. Es sind sieben Reisende schwer verwundet und zwei …

      Das nächste Wort blieb ihm im Munde stecken: er hob die Hand in starrem Schweigen auf. Mit Augen, welche sich vor Schrecken weit öffneten, hob er die Hand und zeigte über Miss Garths Schulter.

      Sie wandte sich ein wenig und blickte hinter sich.

      Angesicht zu Angesicht mit ihr, auf der Schwelle des Arbeitszimmers des Herrn stand die Herrin des Hauses. Sie hielt ihr altes Notenbuch mechanisch fest mit beiden Händen.

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