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täglichen Spazierfahrten Karl X., allmählich depopularisirt, – nicht durch seine persönlichen Fehler, sondern durch die Irrthümer seiner Regierung, welche eine antinationale Politik angenommen hatte, – obschon bei seinen täglichen Spazierfahrten, sagen wir, Karl X. seit einem Jahre an einen ziemlich kalten Empfang gewöhnt worden war, rief er doch noch von Zeit zu Zeit durch das Lächeln und die Grüße, die er der Menge zusandte, sympathetische Acclainationen hervor.

      An diesem Tage aber war der Empfang eiskalt. Kein Feuer, keine Begeisterung; einige spärliche Rufe: »Es lebe der König!« schüchtern vorgebracht, kaum gehört, und wie unter Weges aufgehalten.

      Er musterte die Nationalgarde und verließ den Carrouselplatz, das Herz angeschwollen von einer bitteren Traurigkeit, wegen dieses Empfangs der Menge nicht sein Regierungssystem, sondern die Verleumdungen der Journale, die dumpfen Umtriebe der liberalen Partei anklagend.

      Mehrere Male hatte er sich während der Revue gegen seinen Sohn umgewendet, als wollte er ihn befragen; doch der Herr Dauphin erfreute sich des seltsamen Vorzugs, zerstreut zu sein, ohne daß sein Geist anderswo war. Der Herr Dauphin folgte maschinenmäßig seinem Vater, und in den Palast zurückkehrend hatte der Herr Dauphin wohl das Bewußtsein, einen kleinen Spazierritt gemacht zu haben, er vermuthete wohl, er habe einer Revue beigewohnt, doch es wäre ihm unmöglich gewesen, zu sagen, welche Art von Truppe vor ihm defiliert hatte.

      Also nicht an den Dauphin wandte sich der alte König, der sich vereinzelt in seiner Größe, schwach in seinem göttlichen Rechte fühlte, sondern an einen Mann von sechzig Jahren, der das doppelte Band dem St. Ludwigs-Orden und vom Heiligen-Geist-Orden trug.

      Dieser Mann war einer von den alten Glorien Frankreichs: es war der Soldat vom Regiment Médoc, es war der Bataillonschef der Freiwilligen von der Maas, es war der Oberst des Regiments Picardie, es war der Eroberer von Trier, der Held der Brücke von Mannheim, der Commandant der vereinigten Grenadiere der großen Armee , der Sieger von Ostrolenka, der Mann von Wagram, von der Beresina, von Bautzen, der Generalmajor der königlichen Garbe, der Obercommandant der Pariser Garde; es war der Verstümmelte von allen Schlachten, denen er beiwohnte; es war derjenige, dessen Körper siebenundzwanzig Wunden zählte, fünf mehr als der von Cäsar, und der seine siebenundzwanzig Wunden überlebt hatte; – es war der Marschall Qudinot, Herzog von Reggio.

      Karl X. nahm den alten Soldaten unter dem Arme, zog ihn aus dem Kreise der Höflinge, die auf seine Rückkehr warteten, und sagte zu ihm:

      »Hören Sie, Marschall, sprechen Sie offenherzig.«

      Der Marschall schaute den König mit Erstaunen an; die Stille und die Kälte der Nationalgarde waren ihm nicht entgangen.

      »Offenherzig, Sire?« fragte er.

      »Ja, ich wünsche die Wahrheit zu wissen.«

      Der Marschall lächelte.

      »Es setzt Sie in Erstaunen, daß ein König die Wahrheit zu wissen wünscht . . . Man täuscht uns also sehr, mein lieber Marschall?«

      »Ei! Sire, Jeder thut hierbei sein Bestes.«

      »Und Sie?«

      »Ich, ich lüge nie, Sire!«

      »Sie sagen also die Wahrheit?«

      »Ich erwarte, daß man sie von mir verlangt.«

      »Und dann . . . ?«

      »Sire, Eure Majestät befrage mich, und sie wird sehen.«

      »Nun wohl, Marschall , was sagen Sie von der Revue?«

      »Kalt!«

      »Man hat kaum: »»Es lebe der König!«« gerufen. Haben Sie das bemerkt, Marschall?«

      »Ich habe es bemerkt.«

      »Ich habe mich also des Vertrauens und der Liebe meines Volkes verlustig gemacht?«

      Der alte Soldat schwieg.

      »Hören Sie mich nicht, Marschall ?« fragte Karl X.

      »Doch, Sire, ich höre Sie.«

      »Nun wohl, ich frage Sie, ob ich mich, nach Ihrer Ansicht, verstehen Sie wohl, Marschall? ich frage Sie, ob ich mich, nach Ihrer Ansicht, des Vertrauens und der Liebe meines Volkes verlustig gemacht habe.«

      »Sire!«

      »Sie haben mir die Wahrheit versprochen, Marschall.«

      »Sire, nicht Sie, sondern Ihre Minister. Unglücklicher Weise begreift das Volk die Subtilitäten Ihrer constitutionellen Regierung nicht: König und Minister, es vermengt Alles.«

      »Aber was habe ich denn gethan?« rief der König.

      »Sie haben nicht gethan, Sire, Sie haben thun lassen.«

      »Marschall, ich schwöre Ihnen, daß ich voll guter Absichten bin.«

      »Sire, es gibt ein Sprichwort, das behauptet, die Hölle sei damit gepflastert.«

      »Marschall, sagen Sie mir Alles, was Sie hiervon denken.«

      »Sire, ich wäre der Güte des Königs unwürdig, wenn . . . ich . . . nicht dem Befehle, den er mir gibt, gehorchen würde.«

      »Nun?«

      »Nun wohl, Sire, ich denke, Sie sind ein guter und redlicher Fürst ; Eure Majestät ist aber umgeben und hintergangen von blinden oder unwissenden Räthen, welche nicht sehen oder schlecht sehen.«

      »Fahren Sie fort, fahren Sie fort!«

      »Die öffentliche Stimme sagt Ihnen durch, mich, Sire, Ihr Herz sei ächt französisch, und in Ihrem Herzen und nicht anderswo müsse man lesen.«

      »Man ist also unzufrieden ?«

      Der Marschall verbeugte sich.

      »Und worüber diese Unzufriedenheit?«

      »Sire: das Preßgesetz verwundet tief und tödtlich Ihre Bevölkerung.«

      »Sie glauben, diesem habe ich die heutige Kälte zu verdanken?«

      »Sire, ich bin dessen sicher.«

      »Einen Rath also, Marschall.«

      »In welcher Hinsicht?«

      »Hinsichtlich dessen, was ich zu thun habe.«

      »Sire, ich habe dem König keinen Rath zu geben.«

      »Doch, wenn ich einen verlange.«

      »Sire, Ihre hohe Weisheit . . . «

      »Was würden Sie an meiner Stelle thun, Marschall?«

      »Ich spreche auf Befehl des Königs?«

      »Besser als dies, Herzog,« erwiderte Karl X. mit einer Majestät, an der es ihm bei gewissen Gelegenheiten nicht gebrach: »auf meine Bitte.«

      »Nun wohl, Sire, lassen Sie das Gesetz zurückziehen, berufen Sie für eine andere Revue die ganze Nationalgarde, und Sie werden durch ihre einstimmigen Acclamationen sehen, was die wahre Ursache ihres heutigen Stillschweigens war.«

      »Marschall, das Gesetz soll morgen zurückgezogen werden. Bestimmen Sie selbst den Tag der Revue.«

      »Sire, will Eure Majestät, daß es der letzte Sonntag des Monats sei, das heißt der 29. April?«

      »Geben Sie selbst die Befehle; Sie sind General-Commandant der Nationalgarde.«

      An demselben Abend war der Conseil in den Tuilerien versammelt, und unerachtet des hartnäckigen Widerstandes Einiger forderte der König die unmittelbare Zurücknahme des Liebesgesetzes.

      Trotz der Glückseligkeiten, die sie sich von der Anwendung dieses Gesetzes versprochen hatten, waren die Minister genöthigt, sich der souverainen Gewalt zu unterwerfen. Die Zurücknahme des Gesetzes war übrigens nur ein Art der Klugheit, eine Vorsichtsmaßregel, die ihnen die sichere und entscheidende Niederlage vor der Pairskammer ersparte.

      Am andern Tage nach dieser ersten Revue, das heißt nach dieser ersten Manifestation der Nationalgarde, deren Wirkungen der König so richtig geschätzt, deren Ursache der Marschall Qudinot so wohl beurtheilt hatte, verlangte Herr von Peyronnet

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