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riskieren, reckte sie noch ein wenig weiter vor und betrachtete die Schleifen, die keine waren, noch einmal genauer. Ja, in der Tat, da gab es kein Vertun. Schlafende aber davon nicht weniger lebendige Minifledermäuse umkrallten kopfüber hängend die Zopfenden des kleinen Mädchens. Die Rennschnecke schmatzte und konzentrierte sich wieder auf ihren Begleiter, der endlich genug Luft in seinen Lungen hatte, um erzählen zu können.

      „Nun denn“, hob er an, „die Situation eurer Stadt erinnert mich an meine Zeit in den Landen Widewestwingtons.“

      In Guinees Ohren klang die tiefe Stimme des Schneckenreiters wie sanftes Grollen, das sich tief aus dem Inneren schneebedeckter Gebirge erhob und sie wohlig frösteln ließ. Sie klang nach Abenteuer und roch nach Erfahrung. Abgestandener Erfahrung … obwohl das auch auf die Schnecke zurückzuführen sein konnte. Guinee kräuselte die Nase und schenkte dem Tier einen Seitenblick, während sie weiter den Worten des Reiters lauschte.

      „Dort erzählte man sich bald, wann immer es zu Zwistigkeiten zwischen sich streitenden Geschwistrigkeiten kam, das Geheimnis hinter dem Schutz der Heimat, später dem sogenannten Heimatschutz.“

      „Und was hat das mit uns zu tun?“, verlangte Raffnuss zu wissen.

      Guinee stampfte mit einem ihrer Stiefel auf, der nicht unähnlich derer von Weihnachtswichteln schien. „Für gewöhnlich erfährt man das am Ende einer Geschichte, Raffnuss!“

      „Genauso ungeduldig wie immer“, pflichtete Rufus ihr sofort bei. „Es ist sowieso deine Schuld, dass die Uhr steht.“ Damit stupste er Raffnuss.

      „Von wegen“, stupste der zurück. „Wenn dann, hast du sie kaputt gemacht du ungehobelter …“

      „Nananana! Das geht doch auch anders. Ihr seid schließlich Freunde. Genauso wie einst Yeti, Zwerg und Kobold. Auch wenn das nicht immer so war.“

      „Was ist passiert?“, fragte Guinee mit süßer Stimme.

      „Ja, was?“, fragte nun auch Willy Bolds Sohn und lugte hinter den Beinen seines Vaters hervor.

      „Erzähl uns die Geschichte, Schneckenreiter!“, forderten sie.

      „Ja, bitteeee“, fielen sofort sämtliche Kuhrlinge mit ein, kamen um die Beine der Erwachsenen herum und ließen sich im Schneidersitz auf den belatzten Hosenböden nieder.

      Eine echte Stachelbeere dieses Mädchen, dachte der Schneckenreiter, schmunzelte erneut und kratzte sich am Kopf. „Hmmm, wie war das noch? Ach ja, so muss es gewesen sein.“

      Er legte seinen Stab auf die knochigen Knie und beschwor mit seinen Händen die Bilder einer Erzählung herauf. „Eine meiner zahllosen Schneckenreisen führte mich in das verborgene Königreich Widewestwington und …“

      Während die erwachsenen Uhrlinge noch unruhig hin und her rutschten oder von einem Bein aufs andere traten als müssten sie dringend … ihre Sohlen wechseln, hingen die Kinder bereits mit großen Augen an den bebenden Bartzipfeln des Schneckenreiters. Bei jedem Wort, das seine Lippen formten, wippten die buschigen Enden seicht auf und ab, kitzelten leicht seine Wangen und fesselten nach und nach auch den letzten umstehenden Muhr- wie Fruhrling. Selbst Raffnuss, Rufus und Rohfuß wurden nach einem strengen Zischen Guinees still und lauschten. Globoli lächelte und bettete den Kopf auf einen – so schien es ihm – eigens dafür hervorstehenden Kopfstein. Der Name sprach da doch für sich. Er rollte die Augtakel ein und schmatzte zufrieden.

      „… dort erzählte man sich folgende Sage. Es ist ein Brauch, an dessen Entstehung ich gestehen muss, nicht ganz unschuldig gewesen zu sein.“ Der Reiter schmunzelte.

      „Es begab sich denn, dass drei Wächter eine Pforte aus purem Gold hüteten. Doch der wahre Wert jener kostbaren Tür lag nicht etwa in ihrem Material oder der glitzernden Art, in der ihre Beschläge das Sonnenlicht reflektierten, oh nein! Ihr wahrer Wert lag dahinter. In dem verborgenen Königreich, das sie beschützte.

      Unsere Geschichte handelt dessen ungeachtet nicht von diesem verblüffend königlichen Reich selbst und wie dort Zwerge, Trolle, Feen und sogar Aufmüpfe friedlich miteinander lebten, nein, weit gefehlt! Unsere Erzählung spielte sich davor ab, vor der goldenen Pforte, und begann so überhaupt nicht friedvoll.“

      Der Schneckenreiter warf unter seinen buschigen Brauen einen Blick auf die drei Raufbolde, ehe er fortfuhr.

       1.

       Der verbo(r)gene Schlüssel zum Königreich

      „Damals vor der großen Pforte Widewestwingtons fiel die Aufgabe ihrer Bewachung mehreren Wächtern zu. Ihrer Zahl drei, um genau zu sein. Man hatte sie erst kürzlich dazu auserkoren, weshalb sie einander nicht besonders gut kannten, geschweige denn leiden mochten. Umso schwerer fiel es ihnen folglich, sich auf eine Taktik der Bewachung zu verständigen. Von Einigung konnte gar nicht erst die Rede sein. Sie hätten nicht weiter davon entfernt sein können.

      ‚Ich sage, wir vergraben den Schlüssel und das Tor ist sicher.‘

      ‚Soso, und wer bist du, das zu sagen?‘

      Der angesprochene Zwerg legte die Hand aufs Herz. ‚Nimrod Scriveldish, meines Zeichens oberster Schlüsselhüter.‘ Er griff an seine Rocktaschen und ließ sie gewichtig klimpern.

      Der schnauzbärtige Kobold, der die Frage gestellt hatte, zog eine Grimasse und äffte ihn nach: ‚Oberster Blablabla. Und wenn du König Keksmeister von Marzipanien wärst, die Taschen voller Finkenfutter! Von einem Zwerg lasse ich mir gar nichts sagen! Pfeifen wir auf das krumme alte Klimperding!‘

      Er beäugte den Schlüssel, auf den sich der Zwerg stützte und der etwa die Hälfte seiner Körpergröße maß. ‚Mein Schwert wird jeden Feind längst niedergestreckt haben, bevor der auch nur daran denken kann nach deinem Schlüssel zu greifen.‘

      Das handelsübliche Kurzschwert, das er in die Luft reckte, überragte den strammen Schnauzbart um eine ganze Klingenlänge, und machte es somit bei der eigenen Körperkürze zu einem Überlangschwert. Nichtsdestotrotz wusste er es erstaunlich geschickt zu handhaben. Es fiel ihm nur ein einziges Mal herunter. Vor den folgenden zwei Malen jedenfalls.

      ‚Ach ja?‘, fragte der Zwerg und machte einen Schritt auf den Kobold zu, der seinerseits nun wieder gar nicht daran dachte zurückzuweichen. Schon standen sie einander Stirn an Stirn und Schlüssel an Schwert gegenüber.

      ‚Ja! So wahr ich Hogelgard heiße‘, grunzte Hogelgard.

      ‚Duuu!‘

      Der Erdboden erbebte, als sich den Streitbolden von hinten schwere Schritte näherten. Große, haarige Arme schlossen sich um die beiden und drückten sie so fest aneinander, dass ihnen die Luft entwich, die Rippen knacksten und ihre Köpfe kirschreifrot anliefen. Sie strampelten mit den Beinen und versuchten sich bei Leibeskräften zu wehren, um sich aufeinander stürzen zu können, doch der Erdbebenverursacher wiegte sie in aller Ruhe hin und her und summte mit sonorer Stimme eine Schlafmelodie dazu.

      Nach und nach erloschen ihre Kräfte und mit ihnen auch der Widerstand, den sie zu leisten vermochten. In dem Moment setzte sie der zottelige Yeti wieder ab. ‚Na bitte, ihr habt euch beruhigt. So ist’s recht. Seid eins mit den Krumen des Gerölls und atmet seinen Staub.‘

      Beide verdrehten die Augen, wandten einander den Rücken zu und verschränkten ihre Arme vor der Brust. Dann schielten sie aus dem Augenwinkel zu dem Riesen. Mit einem weiteren Beben ließ der sich auf sein Hinterteil plumpsen und formte mit seinem gurkenlangen Zeige- und Mittelfinger ein V. ‚Hi! Ich bin Padalupwe.‘

      ‚Pfft‘, zischte der Zwerg.

      ‚Pah, was is’n das für’n beknackter Name?‘, grummelte Hogelgard.

      Die

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