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      Kirin zuckte zusammen und blickte auf; auf einem Baum zu seiner Rechten saß ein Vogel und starrte in der immer tiefer werdenden Finsternis auf ihn herab.

       Kraa.

      ›Ein Rabe‹, dachte Kirin, ›oder eine Krähe‹.

      Instinktiv wich er zurück. Er konnte nur die Silhouette des Tieres vor dem etwas helleren Abendhimmel sehen, doch er war sicher, dass der Vogel ihn beobachtete.

       Kraa.

      Ein leises Kribbeln breitete sich in seiner Schulter aus, und ein zweites, viel stärkeres in seiner linken Hand.

       Kraa. Kraaa … rin.

       Kraaa … rin.

      Der Vogel sagte seinen Namen.

      Ohne dass es ihm bewusst war, schloss sich seine Hand um das Schwert über seiner linken Schulter. Er zog sich langsam weiter zurück, einen Schritt, dann noch einen.

       Kraaa … rin. Kraaa … rin.

       Kroon.

       Kraaoot.

       Kron kraaoot.

       Kron gekraooot.

       Geklaooot.

      Kirins Fuß berührte eine steinerne Stufe, und er fuhr zusammen. Er warf einen Blick über die Schulter und stellte fest, dass er wieder bei der Treppe zur Terrasse angekommen war. Unwillkürlich musste er lachen.

      ›Idiot!‹, schalt er sich selbst. ›Du durchwanderst den halben Kontinent, siehst Blut und Tod und Schlachten und hast Angst vor einem albernen Vogel!‹

      Langsam ließ er die Hand sinken und suchte mit zusammengekniffenen Augen nach der Krähe im Baum. Sie war noch da und beobachtete ihn mit schräg geneigtem Kopf.

      »Na, du?«, brachte er halbherzig hervor. »Hast du dich verflogen?«

      Kraaa … rin, machte der Vogel unbeirrt. Kraarin Ard. Bas … taaard.

      Ein eiskalter Schauer lief Kirin über den Rücken. Er wünschte, er hätte einen Bogen, mit dem er das blöde Vieh von seinem Ast herunterschießen könnte, aber in diesem Augenblick flog der Vogel auf und flatterte über die Baumwipfel davon, in einen dunkleren Teil der Nacht.

      Kirin sah ihm noch einen Augenblick lang nach, dann eilte er die Treppe hinauf auf seinen Balkon. Er kam sich lächerlich vor, wie er einen letzten, prüfenden Blick zurück ins Dunkel warf, beinahe sicher, dass die Krähe noch immer irgendwo auf ihn lauerte. Dennoch konnte er einen weiteren Schauer nicht unterdrücken.

      ›Es war nur ein Traum‹, sagte er sich, ›ein dämlicher Albtraum. Er bedeutet nichts.‹

      Und trotzdem, so sehr er sich auch bemühte, er schaffte es nicht, sich einzureden, dass die Worte, die er gehört hatte, nur eingebildet gewesen waren. Der Vogel hatte ihn einen Bastard genannt, und einen, der die Krone gestohlen hatte.

      Er wich in den Schutz der Säulen zurück, in dem Moment, als eine Windböe die Blüten in den Kletterpflanzen zum Rascheln brachte. Eine davon löste sich und trieb auf dem kalten Wind davon wie ein dem Untergang geweihtes Boot auf dem stürmischen Ozean.

      Verärgert schüttelte er den Kopf, wie um sich aufzuwecken. »Das ist doch idiotisch!«, murmelte er in der Hoffnung, dass niemand außer ihm es hörte. »Ich werde mich doch von einem bisschen Wind und Nacht nicht einschüchtern lassen! Und von einem dummen alten Vogel, der …«

      ›… die Wahrheit sagt.‹

      Die Stimme drang harsch und ungefragt in seinen Kopf und ließ ihn einen Moment die Fäuste ballen. Kirin durchmaß den Vorraum und stieß seine Schlafzimmertür auf, wobei er feststellte, dass einer der Diener … der Sklaven die Lampen darin angezündet hatte. Dankbar näherte er sich den tröstlichen Lichtern und ließ sich an seinem Schreibtisch nieder.

      Die Wahrheit.

      Er war ein Bastard, ja, aber das war bei weitem nicht das Schlimmste. Was nur er und Megan Dwayne wussten, war, dass er nach Recht und Gesetz niemals den Thron von Aracanon hätte besteigen dürfen. Ihnen beiden hatte Limrian An’Bry, ein Vertreter des Hohen Rates von Semja und der Drahtzieher um die ganze Geschichte mit Kirin, die Wahrheit um seine Geburt offenbart: Limrian hatte Galihls Kind zwar kurz nach seiner Geburt aufgespürt und versucht, es zu retten, aber der Junge war an Entkräftung gestorben. Der Bauer, der Galihls Sprössling gefunden hatte, hatte allerdings ebenfalls einen Sohn gehabt, den Limrian daraufhin mitgenommen und als den von Galihl ausgegeben hatte. Der Bauer und seine Frau waren bei einem auf Limrians Befehl hin gelegten Feuer umgekommen, und da die Sklavin Szarell nach ihrer Ergreifung spurlos verschwunden war, war niemand in der Lage gewesen, den Schwindel aufzuklären. Limrian wiederum hatte Kirin in einem kleinen Dorf in Yorenin versteckt und mit sechzehn in die Große Bibliothek bringen lassen, um ihn als Galihls Bastardsohn zu präsentieren. Mit ihm als Zögling, so hatte Limrian geplant, wollte er seinen eigenen Einfluss unter den ostländischen Adeligen und Kriegsherren vergrößern. Allerdings war Limrian bei der Schlacht um Nardéz tödlich verwundet worden, sodass seine ganzen schönen Pläne sich in nichts aufgelöst hatten. Im Sterben liegend, hatte er Kirin und Megan die ganze Geschichte erzählt.

      Kirin erinnerte sich an sein Entsetzen in diesem Augenblick, an seine Entschlossenheit, alles aufzuklären und den Thron Aracanons anderen zu überlassen. Megan war es gewesen, die ihn davon abgehalten hatte mit der Begründung, dass ein weiterer Krieg die Folge wäre und man Kirin möglicherweise wegen Verrats festnehmen würde. Er hatte lange und gründlich darüber nachgedacht (so versuchte er jeweils, sich zu trösten, wenn die Gewissensbisse ihn plagten) und sich schließlich dafür entschieden, die Lüge aufrecht zu erhalten. Das Problem war nur gewesen, dass eine Berührung Nàrdarells ihn getötet hätte, da in seinen Adern kein Tropfen Phalaér-Blut floss. Also hatte Megan Kirins Hand mit einem speziell von ihr entwickelten Gebräu behandelt, das sie auch für Verätzungen verwendete, die von ihr, das hieß von Halbblütern, zugefügt worden waren. Und dann hatte sie die Haut von der linken Hand des toten Galihl abgezogen und sie Kirin übergestreift wie die grauenhafte Karikatur eines Handschuhs. Kirin hatte das Schwarze Schwert ziehen können, allerdings hegte er die Befürchtung, dass, auch wenn es ihn nicht getötet und ihm keine sichtbaren Verletzungen zugefügt hatte, er auf eine Art und Weise versehrt worden war, die er nicht näher beschreiben konnte. Allein das Schwert sicher in seiner Scheide verwahrt auf dem Rücken zu tragen, war ihm seither unerträglich geworden. Die Nähe zu Nàrdarell verursachte ihm körperliche Schmerzen, sodass er seine ursprüngliche Entscheidung, das Schwert irgendwo in die dunklen Tiefen der Kerker wegsperren zu lassen, mehr als gerne eingehalten hatte. Glücklicherweise hatte bisher niemand diesen Entschluss infrage gestellt, sodass Kirin sich einigermaßen sicher wähnte. Jedermann fürchtete das Schwarze Schwert, das außerhalb Aracanons noch immer vielerorts für einen weiteren furchtbaren Mythos gehalten wurde, und keiner am Hof bedauerte es, nicht unmittelbar seiner Bedrohung ausgesetzt zu sein. Allerdings, so dachte Kirin verbittert, erlaubte das Leuten wie diesem Tumàsz, anmaßende Forderungen zu stellen, ohne fürchten zu müssen, dass Kirin sie im nächsten Moment in einen Haufen Asche verwandelte.

      »Kein Wunder, dass ich langsam Gespenster sehe«, murmelte er der nächststehenden Kerze zu und drückte mit den Fingern den Docht aus.

      In diesem Augenblick klopfte es, und Kirins Herz machte einen Satz. »Ja?«, fragte er heiser; wütend auf sich selbst stand er auf und rieb sich die Brust.

      Larniax trat ein. »Verzeiht die Störung, Exzellenz, ich wollte nur nachsehen, ob Ihr noch irgendetwas braucht?«

      »Eine meiner Wurfmaschinen vielleicht und eine genaue Angabe, in welchem Haus in Nardéz Nàszuk Tumàsz untergebracht ist.«

      Larniax feixte. »Damit kann ich leider nicht dienen, aber ich dachte mir, ein Becher Wein würde Euch ebenfalls guttun?«

      Kirin zuckte die Schultern. »Die Freude wird zwar nicht die gleiche sein, aber es hört sich trotzdem nicht übel

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