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Aber jetzt wollen wir uns erst mal stärken.“ Er griff in seinen Brotbeutel und holte eine Schnapsflasche heraus. „Nur Gläser hab ich keine.“

      „Macht nichts“, meinte Dudky. „Wir leiden alle an der gleichen Krankheit.“

      „So? An welcher denn?“

      „Brand, Genosse Leutnant.“

      Mergelt lächelte, öffnete den Verschluss und reichte Müller die Flasche. Der nahm einen Schluck daraus und gab sie an Dudky weiter. Ich sah, wie der schon beim Trinken genüsslich sein Gesicht verzog und hörte dann, dass er mit der Zunge schnalzte. „Bei meiner Seele“, sagte er, „solch köstlicher Tropfen hat lange nicht meinen Gaumen gekitzelt.“

      Während die Flasche reihum ging, beobachtete ich die anderen. Der Alkohol wirkte bei allen, die abgespannten Gesichter belebten sich. Ich dachte: Woher hat er bloß den Schnaps?

      Auch ich spürte, wie mir wärmer wurde.

      Als Sigi die Flasche an den Mund führte, sagte jemand hinter uns: „Mir scheint, hier wird gezecht anstatt gearbeitet!“

      Ich drehte mich um und erkannte Sawade, den Kompaniechef, der auf dem B-Krad die Einsatzstellen abfuhr. Sigi ließ seine Hand sinken.

      „Genosse Hauptmann“, meldete Mergelt, „erster Zug bei einer kurzen Rast. Die Genossen müssen ein paar Minuten verschnaufen, sie haben geschuftet wie Berserker.“

      „Die Pause geht in Ordnung“, stimmte Sawade zu, „aber nicht der Alkohol. Sie sind im Dienst!“

      „Ich weiß“, erwiderte Mergelt. „Doch extreme Bedingungen rechtfertigen Ausnahmen, meine ich. Oder soll ich zusehen, wie die Genossen Soldaten aus den Stiefeln kippen?“

      2

      „Du bist so schweigsam“, sagt Mergelt. „Überlegst wohl?“

      „Ein bisschen.“

      „Ihr Schriftsteller seid verrückte Menschen: Könnt ihr mal kein Blatt bekritzeln, müsst ihr wenigstens meditieren.“

      „So schlimm ist‘s nicht“, widerspreche ich. „Aber manchmal findet man wirklich keine Ruhe. Dann kommt einem alles Mögliche in den Sinn. Sogar Geschehnisse, die längst vergessen schienen.“

      „Was ist dir denn eingefallen?“

      „Der Einsatz an der Brücke. Erinnerst du dich?“

      „Natürlich“, entgegnet er. „Sogar sehr gut. Für mich gab es nämlich noch ein Nachspiel. Sawade hat mir gehörig die Leviten gelesen und von einer Bestrafung wohl nur mit Rücksicht auf unsere Leistung beim erfolgreichen Hochwassereinsatz an der Gottleuba Abstand genommen.“

      „Er hatte sich schon vor Ort tüchtig erregt“, sage ich. „Warum eigentlich?“

      „Bei Alkohol sah er immer rot“, erklärt Mergelt. „Er lebte völlig abstinent und glaubte, dass gleich die Kampfkraft der gesamten Kompanie untergraben würde, wenn mal jemand einen übern Durst trank. Sonst war er ein Vorgesetzter, wie man ihn sich wünscht: klug, konsequent, gerecht. In vielen Bereichen auch tolerant. Bloß bei Alkohol verstand er keinen Spaß. Und gegen Frauen hatte er was. Aber das lag an seiner Vergangenheit, vermute ich. Er hatte zwei Jahre im Maquis gekämpft. Da man ihn zu Hause für tot hielt, heiratete seine Verlobte einen anderen. Er kam wohl nie richtig darüber hinweg und blieb deshalb Junggeselle. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er diesen Status von allen Offizieren verlangt.“

      „Ich finde, er war zu rigoros“, erwidere ich. „Allerdings hatte er Erfolg damit. Du bist anders vorgegangen. Doch deine Erfolge waren nicht geringer, eher größer. Nun frage ich mich: Müssen Vorgesetzte unnachgiebig sein oder nicht?“

      Mergelt biegt in einen sandigen Weg ab. Links und rechts wachsen Büsche. Sie haben kleine, staubige Blätter. „Es kommt auf die Umstände an“, entgegnet er. „Und auf die Soldaten. Man muss wissen, wieviel man ihnen zumuten darf. Ebenso, was unter bestimmten Umständen gut für sie ist. Selbst dann, wenn einen keine Dienstvorschrift deckt.“

      „Also stehst du zu deinem Verhalten an der Brücke?“

      „Ja“, bestätigt er. „Ich habe nie zu denen gehört, die alles nach Schema F machen wollen. Es muss eine Spanne für die Individualität bleiben, meine ich. Damals hast auch du es gefordert. Siehst du‘s inzwischen anders?“

      „Nein“, antworte ich. „Nur ist es komplizierter, als ich es mir vorgestellt hatte.“

      „Bei der Armee ist‘s nie einfach“, sagt er. „Schon deshalb nicht, weil viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Das schafft immer Probleme. Als Offizier ist man dafür verantwortlich, dass sie gelöst werden. Oft ist das recht schwierig. Sicher, man kann Befehle erteilen; doch es müssen die richtigen sein. Deshalb braucht man Übersicht und Erfahrung. Auch Fingerspitzengefühl. Die Situationen sind nie gleich.“

      Damals hatte ich es nicht so gesehen. Man urteilt aus dem eigenen Blickwinkel und kann sich schwer in eine fremde Haltung versetzen. Fredi gelang es besser. Das wurde mir bewusst, als wir uns während des Einweisungslehrgangs trafen. Er war mit seiner Verlobten auf der Durchreise. „Ich fasse es kaum“, sagte er am Bahnhof von Wehlen. „Du in Uniform! Als ich deinen ersten Brief aus der Kaserne erhielt, wollte ich es fast nicht glauben.“

      „Weshalb nicht?“, fragte ich. „Man empfindet nicht immer genauso, wie es scheint. Manchmal fehlt für einen Entschluss nur der letzte Anstoß. Und den habe ich auf der Landeskrone bekommen.“

      Wir stiegen zur Elbe hinab. Die Verlobte ging zwischen uns. An der Uferpromenade setzten wir uns auf eine Bank. Fredi musterte mich. „Erzähle“, bat er. „Wie gefällt‘s dir?“

      „Teils, teils.“

      „Gibt‘s Ärger?“

      „Ein bisschen.“ Ich erwähnte Zwischenfälle mit Doblin und Rudloff.

      Fredi hörte aufmerksam zu. „Liegt es nicht auch an dir?", fragte er dann. „Jede Medaille hat zwei Seiten. Du solltest versuchen, die Leute zu begreifen. Glaub nicht, dass sie‘s leicht haben, weil sie befehlen dürfen. Sie müssen hart an sich arbeiten, um auf Dauer zu bestehen.“

      Später griff er den Gedanken noch einmal auf. Da war er bereits mit dem Mädchen verheiratet. Sie wohnten in Görlitz einige Straßen von mir entfernt, und Fredi arbeitete als Pionierleiter. Manchmal setzten wir uns auf ein Bier zusammen. „Meine Tätigkeit macht mir Spaß“, sagte er einmal. „Aber sie ist schwierig. Ohne die Zeit an der Grenze könnte ich sie sicher nicht ausüben. Selbst so habe ich Mühe. Man muss Vorgesetzter und will Kamerad sein. Darin liegt eine große Gefahr: Verwischen sich die Übergänge, verliert man seine Autorität.“

      Mergelt schaltet in den ersten Gang. „Du wirkst skeptisch“, meint er. „Hast wohl Einwände?“

      „Nicht direkt. Ich überlege nur, ob man in allem noch so handeln könnte wie damals. Es waren andere Umstände: Wir haben freiwillig gedient, unsere Kompanie bestand nur aus drei Zügen. Heute gibt‘s die Wehrplicht, die Ausbildung erfolgt in größeren Einheiten. Auch unsere Waffentechnik ist komplizierter geworden. Die angespannte Lage verlangt eine hohe Disziplin und Zuverlässigkeit. Sie verlangt sie bis in den letzten Zug, bis zur letzten Gruppe. Der Gegner zwingt uns dazu. Um ihm überlegen zu sein, dürfen wir uns keine Pannen leisten. Doch Eigenmächtigkeiten können welche auslösen. Das Risiko ist groß.“

      „Sicher“, räumt Mergelt ein. „Jede Zeit hat ihre Bedingungen. Wahrscheinlich müsste ich mich umstellen.“

      Wir schweigen. Der Weg verbreitert sich, die Büsche weichen Bäumen. Mergelt fährt auf den Parkplatz hinterm „Jagdhaus“. Er lenkt den Skoda in eine der wenigen Parklücken.

      „Meinst du, dass wir im Restaurant einen Platz kriegen?“, frage ich.

      „Abwarten“, erwidert er.

      Das Gasthaus erkenne ich kaum wieder:

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