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während Kim an besagtem Abend sich in meiner leeren Wohnung umgeschaut hatte, war ihr eingefallen, dass ein Freund ihrer Familie die Wohnung seiner Grußmutter auflösen muss. Sie hatte sofort bei ihm angerufen, und wenig später mailte er mir Bilder des Mobiliars auf meinen Laptop. Beim deren Anblick verschlug es sogar der enthusiastischen Kim die Sprache. Klobiges, altbackenes Zeug. Sehr robust! Sessel mit schweren geschwungenen Holzlehnen und rotbraun gestreiftem Bezug. Der Wohnzimmertisch auf gedrechselten Beinen, und der Schrank — unverwüstlich! Wenn Oma noch fünfzig Jahre länger durchgehalten hätte, wäre er bestimmt wieder salonfähig geworden. Aber zwischen meiner puristischen Einrichtung. Oh je!

      „Ich glaube, wir schauen doch besser bei eBay nach“, sagte sie zerknirscht.

      Am nächsten Abend suchten wir ewig lang nach Schränken, Sesseln und Regalen. Nichts, das uns einigermaßen gefiel, passte so richtig zusammen. Klick, weg! Und noch eins — wieder nichts. Den Sessel hier könnte man vielleicht neu beziehen. Die Kommode, die wir vorher in die engere Auswahl genommen haben, ein weiteres Mal überstreichen. Wo, zum Teufel war die schon wieder?

      „Warte mal, mir fällt grade was ein!“ Aufgeregt kramte ich in meiner Tasche und fischte die Werbeblätter heraus. Da! Das Deckblatt auf dem Prospekt der Möbelfirma zierten Küchen im sogenannten Shabby Chic.

      „Wenn ich doch die Oma-Möbel von deinem Freund nehmen würde? Was meinst du?“

      „Na klar! Warum bin ich da nicht auch drauf gekommen? Wir streichen die Dinger in diesem Look“, rief sie begeistert. „Schau mal im Netz wie man das am besten hinbekommt. Ich organisiere derweil den Möbeltransport.“

      Dann hatte sich alles überschlagen. Weil der Container für die Entsorgung bereits bestellt war, musste ich gleich am nächsten Tag dorthin fahren und mir heraussuchen, was ich brauchen konnte. Kim, Emil und Lotta waren mit von der Partie, und zum Schluss hatten wir alle unsere Fundstücke in einer Ecke der Wohnung aufgetürmt. Nur wusste ich nicht, was wir mit den von den Kindern gesammelten grässlichen Nippes anfangen sollten.

      „Nehmt, was ihr wollt. Es ist alles viel zu schade zum Wegwerfen und jedes Kilo, das nicht auf dem Abfall landet, kostet mich etwas weniger.“

      Das musste Kims netter Freund den beiden nicht zweimal sagen. Was mache ich nur mit dem schauderhaft schönen, mit Brokat verzierten Pralinenschachtel-Pierrot, den Lotta mir freudestrahlend angeschleppt hatte? Soll der von nun an mein Zimmer mit bewohnen? Die Kinder stöberten zu meinem Entsetzen emsig weiter und fanden noch mehr von diesen wundervollen Stücken. Kim beantwortete meine stumme, Hilfe suchende Frage mit einem Zwinkern und flüsterte: „Da musst du durch. Meine Flohmarktkisten sind voll!“

      ***

      Auf den ausgebreiteten Plastikfolien mitten im Raum stehen nun unsere Schnäppchen. Vor der Wand, auf einem Türblatt über zwei Nachttischen, warten Kübel voller Farben, Pinsel, und Schwämmen auf ihren Einsatz. Meine Helfer sind nach einem improvisierten Imbiss verschwunden. Heute werde ich noch mit dem Abschleifen beginnen und morgen früh will ich sofort anfangen zu streichen. Obwohl morgen Sonntag ist, möchte Kim dabei sein und die Kinder bei den Großeltern parken. Ihr Mann ist voraussichtlich noch eine Woche auf Montage unterwegs. Es ist schön, sie als Freundin gefunden zu haben, mit ihr über alles Mögliche lachen zu können, nicht alleine alles meistern zu müssen.

      Müde lege ich das Schleifpapier zur Seite und beschließe, es für heute gut sein zu lassen. Ich bereite mir in der Küche eine Tasse Tee, lasse mich vom Radio auf meinem Laptop mit Kuschelrock berieseln, räume nebenher auf und werfe noch einen Blick in die Prospekte, bevor sie im Mülleimer landen. Öffne auch den weißen Umschlag. Mal sehen, was sich die durchtriebenen Werbefritzen diesmal haben einfallen lassen. Was Mensch ihrer Meinung nach unbedingt kaufen muß…

      Das darf doch nicht wahr sein. Ich habe gewonnen! Lauter grüne und goldene vierblättrige Kleeblätter umrahmen einen kurzen Text:

      Sehr verehrte Frau Werner,

      Das Glück hat an Ihre Tür geklopft!

      Unser Hauptgewinn gehört Ihnen. Bitte rufen Sie umgehend diese Nummer an: 01516...

      Na, das ist wenigstens originell. Es fällt ihnen doch immer wieder was Neues ein. Oder hat das eventuell mit der unerklärlichen Überweisung auf mein Konto zu tun? Ich kann mich aber nicht erinnern in letzter Zeit bei einem Preisausschreiben mitgemacht zu haben. Vielleicht — war da nicht mal so eine Befragung, bei der ich es nicht fertig gebracht habe, die Person abzuwimmeln? Jetzt will ich es doch wissen und suche nach meinem iPhone. Wo hat sich das blöde Teil nur wieder versteckt?

      Ich wähle die ersten Ziffern, dann überlege ich es mir anders. Zu viele Warnungen vor zu vielen Betrügereien haben mich sensibilisiert. Aber die Neugier siegt. Ich krame mein altes Handy hervor, in dem noch eine Prepaidkarte mit etwas Guthaben steckt und rufe an. Es klingelt kurz, dann höre ich eine künstliche Computerstimme: „Verehrte Frau Werner, bitte passen Sie sehr gut auf, diese Ansage wird in zehn Minuten gelöscht.“

      Was war denn das? Ein Anrufbeantworter?

      Nach einer kurzen Pause spricht die blecherne, Stimme weiter: „Frau Werner, wie wir bemerkt haben, haben Sie sich entschlossen, unser kleines Geschenk anzunehmen. Es wurde von Ihnen bisher nicht zurückgegeben. Sie dürfen es gerne behalten. Wir erwarten nun von Ihnen im Gegenzug eine kleine Gefälligkeit. Nichts Großartiges. Sie erhalten in den nächsten Tagen per Post eine SD-Speicherkarte. Diese werden Sie in den PC in ihrem Besprechungszimmer einstecken. Das ist alles. Es kommen keine weiteren Forderungen auf Sie zu. Im Gegenteil. Sie werden das gleiche Geschenk noch einmal erhalten. Wir weisen Sie jedoch freundlichst darauf hin, dass Sie nicht versuchen sollten, diese Aufforderung zu ignorieren, Sie würden sich keinen Gefallen damit tun. Das versichern wir ihnen. Die Compliance-Abteilung Ihrer Firma würde sich ansonsten sicher gerne mit Ihrem Konto beschäftigen. Korrupte Mitarbeiter aufzuspüren ist ihnen ein Vergnügen. Wir haben auch sonst noch weitere Möglichkeiten, Ihnen die größten Unannehmlichkeiten zu bereiten.

      Sie können diese Ansage noch einmal abhören. In fünf Minuten wird sie gelöscht.“

      Kapitel 5

      Brief und Handy zittern in meinen Händen. Ich kann das alles nicht begreifen.

      Gott sei Dank! Ich atme keuchend aus. Zum Glück habe ich am vergangenen Donnerstag nicht kehrt gemacht. Ich habe immer noch Herrn Bäuerles wohlwollendes Gesicht vor Augen, wie er mich das Formular zur Rückgabe dieser Fehlüberweisung ausfüllen ließ, während er für seine Unterlagen eine Kopie von meinem Kontoauszug anfertigte. Wie er unruhig auf die Uhr schaute als er mir anschließend den Disporahmen erweiterte. Ich hatte es gerade noch rechtzeitig geschafft, denn seine Kollegin schloss bereits den Schalterraum ab, und ich musste die Bank durch den Seitenausgang verlassen.

      Diese Nachricht. Mir wird schlecht. Das ist doch ungeheuerlich. Ich muss das melden! Aber die Ansage wird in ein paar Minuten nicht mehr existieren, hat die Stimme gesagt.

      Ich tippe mindestens fünfmal daneben, bis ich an meinem Laptop das Radio ausschalten und die Film-Aufnahme-Funktion aktivieren kann. Dann drücke ich mit fliegenden Fingern auf meinem Handy die Wahlwiederholung und stelle den Lautsprecher auf Mithören: „Verehrte Frau Werner, bitte passen Sie sehr gut auf...“

      Während diese unglaublichen Worte ertönen, filmt mein Laptop mich mit meinem Handy. Danach sitze ich auf meinem Stuhl und kann mich nicht rühren, denke immer wieder nur: Gott sei Dank!

      Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt habe frage ich mich: was war denn das?!!! Inzwischen muss der, wer auch immer aus mir eine Spionin machen will, hoffentlich gemerkt haben, dass ich die gesamte Summe zurückgegeben habe. Er wird mir diese verdammte Speicherkarte nicht schicken, und ich bin für ihn deshalb auch keine Gefahr. Ich habe ja nur diese seltsame Gewinnbenachrichtigung in der Hand. Er weiß nichts von meiner Aufnahme. Er muss denken, falls ich jemandem davon erzählen würde, dass niemand es ernst nähme. Ich hätte ja nicht die geringsten Beweise.

      Aber ich muss doch mit jemandem darüber sprechen. Mit wem von

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