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da?“

      „Papa...?“

      „Paulina, meine Große. Das ist ja lieb, dass du noch mal anrufst!“, ruft es aufgekratzt aus dem Hörer. „Stell dir mal vor, Elfi will mir so eine knallgelbe Schildmütze verpassen. Gleich hängt sie mir noch ne Trillerpfeife um, dann ist der Kanarienvogel fertig!“

      Im Hintergrund höre ich sie herumwursteln und lauthals antworten: „Sag deinem Vater, nur so komme ich mit. Erstens sieht er gut damit aus, und zweitens kann ich ihn so besser im Auge behalten! Und das mit der Pfeife ist gar keine so schlechte Idee.“

      Der Kontrast zu meiner Mutter, die mir von Fotos und Erzählungen vertraut ist, könnte nicht größer sein. Sie war so groß, so schlank und so dunkelhaarig wie ich. Und Papa hatte sie angebetet.

      „Du hast ihr Lächeln geerbt, Paulina.“

      Das hatte er aber schon lange nicht mehr zu mir gesagt.

      Elfi ist ein kleiner pummeliger Irrwisch. Dauernd in Bewegung. Klug, unkompliziert und warmherzig. Man muss sie einfach gern haben. Jetzt will sie sich mit ihm auf das Abenteuer einer außergewöhnlichen Reise einlassen. Sein kleiner Kastenwagen, mit dem er bis zu seinem Rentenbeginn, also bis vor kurzem, noch als Flaschner unterwegs gewesen war, hat einen doppelten Boden bekommen. So kann er Koffer und eine Tischgarnitur aufnehmen und obenauf eine bequeme Matratze.

      „Nur für Notfälle, oder für ein Mittagsschläfchen nach dem Picknick“, hat Elfi nach der Besichtigung dieses Gefährts kategorisch festgestellt. „Ansonsten schauen wir nach preiswerten Unterkünften. Wellnesstempel brauche ich nicht, aber ohne eine vernünftige Dusche halte ich das nicht durch.“

      Sie wollen einfach drauf losfahren, sich treiben lassen, und haben vor, mindestens ein halbes Jahr unterwegs zu sein. So lange ihr Budget es eben erlaubt. Da ist es doch bestimmt egal, ob sie etwas später loskommen. Papa ist der einzige, der mir jetzt raten und helfen kann.

      „Paulina, was ist los?“ Er spürt meine Bedrückung.

      „Ich… Ich wollte dich nur noch mal hören. Kommt gesund wieder!“

      ***

      Ich hoffe, ich muss meine einsam getroffene Entscheidung nicht bereuen. Ich schleppe mich ins Schlafzimmer. Starre zum Fenster hinaus und sehe darin gespiegelt den Designerschrank und das Designerbett, das Gerd mir neben der Designerkommode grosszügig dagelassen hatte. Wahrscheinlich passten diese Möbel nicht in Frau Müller-Oberbauers Ambiente. Alles andere, außer der Einbauküche hatte er mitgenommen. Das war das, was er unter gerechter Teilung verstand. Das Wohnzimmer ist leergeräumt bis auf den riesigen Esstisch, natürlich von edlem Design, und eine vernachlässigte Pflanze, die genauso schlaff in der Ecke steht wie ich mich fühle. Ich habe nicht mal mehr einen Fernseher, den ich einschalten kann, um mich nicht so allein und verlassen zu fühlen.

      Kapitel 2

      Mein Auto steht noch in der Werkstatt. Ich laufe mit gesenktem Kopf durch die Straßen bis zu unserer Firma, einem kleinen Ableger der Luftfahrtindustrie, in dem ich schon seit zehn Jahren schufte. Genauer gesagt ein Drittel meines Lebens. Demnächst feiere ich meinen einunddreißigsten Geburtstag, und was habe ich vorzuweisen? Eine gescheiterte Beziehung und Bauchschmerzen. Ich konzentriere mich nur noch auf die Tropfen, die den Teer dunkel sprenkeln und spüre den frischen Wind, der durch meine dünne Jacke bläst. Es ist doch erst Ende August! Aber um mich herum ist an diesem Morgen alles so kalt und grau wie meine Gedanken. Ich stecke meine Hände in die Taschen und meine Mundwinkel wandern dann doch wider Erwarten nach oben. Der Lego-Baustein, den ich darin finde, erinnert mich an den kleinen Burschen, der mir heute Morgen im Treppenhaus begegnet ist. Als ich auf dem Weg hinunter in die Tiefgarage stockte, und dann den zum Hauptausgang genommen hatte.

      „Darfst du heute auch nicht Auto fahren?“, hatte er mit seiner hellen Kinderstimme gefragt, die Nase hochgezogen und mich mit seinen verheulten Augen gemustert, in denen es schon wieder neugierig funkelte.

      „Emil!!!“ Eine halb geöffnete Wohnungstür wurde vollends aufgerissen und eine junge Frau, noch in Unterwäsche, schimpfte aufgebracht: „Wie hast du das bloß wieder geschafft? Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du nicht alleine raus darfst. Solange du so klein bist, ist das viel zu gefährlich. Und wenn du nicht spurst, dann bleiben wir eben heute Nachmittag auch drin!“

      Sie strich sich genervt die hellblonden, Locken aus dem Gesicht und meinte entschuldigend: „Tut mir leid, dass Sie unseren Kleinkrieg mitbekommen haben. Aber der Entzug seines Tretautos ist für den kleinen Fratz die effektivste Strafe. Sie zeigte auf ein knallrotes Teil, das an einem Haken unter der Decke hing. Überhaupt war alles, was ich hinter ihr erblickte, schreiend bunt: Der königsblaue Vorhang, eine Art Raumteiler, hinter dem die großen Augen eines etwa vierjährigen Mädchens hervor lugten. Das Spielzeug, das überall verteilt herumlag. Die glitzernden Ketten, die dekorativ an einer Wand hingen — außer Reichweite von Kinderhänden. Das rote Sofa und ein paar lebhafte Bilder. Alles einfach, aber durchaus geschmackvoll, und ganz anders als meine Wohnung zwei Stockwerke über ihr, bei deren Einrichtung wir ganz gewiss nicht an ein Heim für quirlige Kinder gedacht hatten.

      „Nicht so ganz einfach, wenn man alleine mit den Rabauken klarkommen muss.“ Sie seufzte und lachte gleichzeitig.

      Ich hatte sie verständnisvoll beruhigt und festgestellt, dass ich rein gar nichts über sie wusste. Dass ich keine Ahnung hatte, wie lange wir schon gemeinsam in diesem Haus wohnten. Ich konnte mich nur dunkel erinnern, dass Gerd einmal über einen Fahrradanhänger fluchte, der ihn fast zu Fall gebracht hatte.

      Ich kenne — kennen ist eigentlich schon zu viel gesagt — nur die direkten Nachbarn auf unserem Stockwerk, die Familie Küçük. Ein berufstätiges Ehepaar mittleren Alters. Ein junger, finster aussehender Mann, der öfter vorbei kommt, wahrscheinlich der Sohn. Und die Oma, immer mit langem Mantel und ordentlich gebundenem Kopftuch.

      „Dieses Türkengesindel“, hatte Gerd, als sie eingezogen waren, geschimpft. „Wie können die sich so eine Wohnung leisten?“

      Vorsichtig wies ich ihn darauf hin, dass da ein Dr. vor dem fremd klingenden Namen steht.

      Mein Ex — schon wieder spukt er in meinen Gedanken, obwohl ich seit Wochen versuche, das zu vermeiden.

      Immer noch lächelnd den Lego-Stein betrachtend, den mir Emil gerade vorher noch großzügig geschenkt hatte — „damit du nicht traurig bist!“ — stolpere ich im Büro als erstes über Gerd. Dieses Mal ist es mir leider nicht gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen.

      „Na, dir geht‘s ja gut?“

      Was soll das jetzt? Was höre ich da heraus? War das gerade Eifersucht? Hat er von seiner Bille schon genug? Will er vielleicht zu mir zurückkommen? Ist das mein Herz, das da grade umeinander stolpert? Er liebt mich also doch noch! Wir waren immerhin über fünf Jahre zusammen. Die harten Kanten des kleinen Bausteins drücken sich in meine plötzlich verkrampfte Hand, und die Hoffnung, die in mir aufkeimt, lässt mich alles andere vergessen: Die ganze Wut auf ihn, diesen Besserwisser. Diesen Alleskönner und Egoisten. Gerade noch hatte ich mir gesagt, wahrscheinlich gut für mich, dass es vorbei ist. Ich schaffe das. Was andere können, unter schwereren Umständen, das schaffe ich auch. Und nun genügt ein Blick in diese blitzenden Augen, und ich will ihn wieder zurück.

      Gerd sieht mich immer noch fragend an.

      „Ja, mir geht es hervorragend. Finanziell und auch persönlich. Ich habe erst kürzlich eine wahnsinnig interessante Bekanntschaft gemacht!“

      Meine Verblüffung über diese spontane Antwort ist mindestens so groß wie seine.

      „Er ist natürlich etwas jünger als du“, schiebe ich beim Gedanken an den kleinen Emil lächelnd nach und sehe mit Genugtuung, dass er sich hastig mit der Hand über seine gestylten Haare fährt. Es ist nicht zu übersehen, dass die sich allmählich lichten.

      ***

      Das Telefon schweigt, und obwohl zwei meiner Kollegen heute Urlaub haben, hält sich der Arbeitsanfall in unserer Abteilung

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