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Das geräumige Wohnzimmer mit Küchentheke. Vorn Balkon, hinten das große Schlafzimmer, daneben das kleine Arbeitszimmer. Den winzigen Eingangsbereich. Bad und Toilette extra.

      Wenn ich ein Zimmer vermieten würde…? Das Schlafzimmer böte Platz genug. Das Wohnzimmer als Gemeinschaftsraum wäre mehr als groß. Aber mir bliebe dann nur dieser kleine, schmale Schlauch. Ein großer Kleiderschrank für meine vielen Kleider und die Schuhe, und er wäre überfüllt. Das kann ich vergessen!

      Aber — wenn ich einen leider nicht vorhandenen Schrank mit einem Meter Abstand vor die Tür stellen würde, seitlich ein dichter Vorhang, dann hätte ich als Eingang zu meinem Zimmer sogar einen begehbaren Kleiderschrank. Und dass sich Gerd mit den zwei Waschbecken im Bad durchgesetzt hatte, war wohl ein Glücksfall. Was könnte ich für dieses Zimmer an Miete verlangen? Ich google...

      ***

      Meine schwere Tasche mit dem Laptop schlägt mir dauernd in die Seite als ich nach Hause haste. Ich achte weder auf die inzwischen in der Sonne glänzenden Hecken, noch auf die erbosten Radfahrer, die mich klingelnd vom Radweg scheuchen wollen. Meine Gedanken kreisen permanent um Möbel, Mieten, Mitbewohner. Weil ich mich wirklich nicht mehr auf so was Banales wie meine Bürotätigkeit konzentrieren konnte, hatte ich mir den Rest des Tages frei genommen. Will nachmessen, eventuell mit dem Bus zu Ikea fahren und nochmals alles durchrechnen. Aber wenn ich noch richtig rechnen kann hätte ich jeden Monat das Geld von Untermiete und Auto übrig und könnte sogar etwas davon sparen.

      Zu Hause angekommen leere ich beklommen den Briefkasten. Wie immer ist er überfüllt mit Werbung von Discounter, Baumarkt, Kleider- und Möbelgeschäften. Dazwischen ein weißer Umschlag ohne jeglichen Aufdruck, der die Neugier anheizen soll. Die Masche ist auch nicht mehr neu. Aber wie ich erleichtert feststelle, ist darunter kein Brief, der nach einer Rechnung aussieht. Ich stopfe alles in meine Tasche und nehme mit Schwung die erste Treppe, da läuft mir schon wieder der kleine Emil über den Weg. Mit einem kurzen „Hallo, kleiner Mann“ will ich an ihm vorbei. Seine Mutter eilt mit einem Ballen Stoff auf den Armen hinterher. „Emil, warte! So warte doch!“ Ich bemerke wie aufgelöst sie aussieht, und als das Bündel zu weinen beginnt, sehe ich das erhitzte Köpfchen von Emils Schwester.

      „Was ist los, ist sie krank?“, frage ich erschrocken.

      „Ja. Sie hat auf einmal angefangen zu spucken. Hat Durchfall und Fieber. Ich muss unbedingt mit ihr zum Arzt.“ Sie zögert. „Ich muss das Fahrrad mit dem Anhänger aus dem Unterstand holen. Wären Sie so lieb und würden kurz auf Emil aufpassen? Dann bin ich schneller.“

      „Aber sicher.“

      Und anstatt auf Knien mit dem Metermaß in meiner Wohnung rumzurutschen, hüpfe ich nun mit dem kreischenden Emil die Treppen rauf und runter. Gott sei Dank ist in den anderen Wohnungen keiner zu Hause, denn niemand beschwert sich. Seine Mutter, die ihn gleich darauf abholen und in den Radanhänger zu seiner Schwester stecken will, schicke ich alleine los.

      „Ist sicher einfacher für Sie, wenn Sie sich nur um die Kleine kümmern müssen. Ich nehme den Jungen mit zu mir. Klingeln Sie nachher einfach.“ Ich reiche ihr die Hand. „Paulina Werner.“

      „Kim Auberg. Danke. Danke vielmals!“ Ihre Erleichterung ist regelrecht fühlbar und sie verschwindet wie der Blitz.

      Kurz darauf stehe ich ratlos in meiner halb leeren Bleibe und überlege wie ich das Kind beschäftigen soll. Es kann ja eine Weile dauern bis seine Mutter wieder zurück ist, und ich wollte doch... Ein prüfender Blick reicht immerhin, um festzustellen, dass das mit dem begehbaren Schrank klappen müsste.

      „Hast du Lust zu malen?“

      Emil schaut mir neugierig zu, wie ich aus den Tiefen meines Schlafzimmerschranks Blöcke und Farbstifte in allen Variationen hervor krame. Ich habe sie schon lange nicht mehr benutzt. Meine Bilder in den unzähligen Mappen stehen fast vergessen im Keller. Gerd hatte über meine Volkshochschulkünste stets milde gelächelt. Ich muss zugeben, in unsere gestylte Wohnung passten meine sanften Aquarelle wirklich nicht, und meine Experimente mit Acrylfarben waren im Anfangsstadium stecken geblieben. Im Wohnzimmer nervte mich dafür bis vor kurzem ein riesiger greller Druck eines bekannten Künstlers. Auch noch eine Hinterlassenschaft Gerds, der nun meinen Bildern im Keller Gesellschaft leisten darf.

      Ich sitze mit meinem Gast am Tisch und zeichne Hasen. Hasen und noch mal Hasen.

      „Was soll ich jetzt noch?“

      „Hase. Auf’m Traktor!“

      Das Blatt füllt sich mit Hasen im Feld, Hasen im Haus, Hasen im Wald; mit Blumen, mit Eiern, hüpfend, sitzend, Männchen machend. Kleine Häschen und große, mit Schlappohren und Stummelschwänzchen. Meine Hand wird immer lockerer, und ich habe richtig Spaß.

      „So“, sage ich. „Jetzt bist du dran.“

      Ich klappe meinen Laptop auf und drücke ihm gleichzeitig die Buntstifte in die Hand. „Du kannst das Bild ausmalen, und das hängst du dann in dein Zimmer. Ich muss jetzt ein bisschen arbeiten.“

      Als es klingelt schaue ich erstaunt auf meine Uhr. Schon so spät? Emil, die rotblonden Haare verstrubbelt und immer noch hellwach, läuft seiner Mutter freudestrahlend entgegen und zeigt ihr stolz unser Werk. Sie sieht müde aus, wirkt aber ruhiger, nimmt ihn in den Arm und bedankt sich herzlich bei mir.

      „Lotta schläft. Der Kinderarzt hat ihr eine Infusion gegeben und gemeint, es sei nur ein kleiner Infekt und morgen sei alles wieder gut“, antwortet sie auf meine Frage. „Ich habe keine große Lust mehr zu kochen und bestelle uns eine Pizza. Darf ich Sie dazu einladen?“

      Ich spüle den letzten Bissen des kalt gewordenen Essens mit einem Schluck Wein hinunter. Die Kinder schlafen, und ich habe inzwischen vor Kim meine ganze Misere ausgebreitet. Vor einer mir bisher wildfremden Frau. Sie wohnt anscheinend schon seit drei Monaten unter uns, aber in unserem Mehrfamilienhaus kennt man sich allenfalls vom Sehen. Nun ist sie mir so vertraut, die beiden Kinder sind zum Knuddeln, und auch sie hat mir von sich erzählt. Von ihrem Traum von einer eigenen Wohnung, von ihrem Mann, der oft auf Montage ist, damit sie sich die auch leisten können, ihrem Nebenverdienst, dem Herstellen von Modeschmuck, ihrem eigentlichen Beruf, Laborantin in der Lebensmittelbranche. Zu meiner Überraschung arbeitet ihr Mann in der gleichen Firma wie ich. Ist mir vielleicht sogar schon mal über den Weg gelaufen, aber in diesem riesengroßen Unternehmen muss das nicht unbedingt der Fall sein.

      „Nun, so sieht es aus. Ich möchte so schnell wie möglich ein Zimmer vermieten. Aus meiner Wohnung sozusagen eine WG machen. Aber so einfach ist das nicht.“ Ich seufze. „Das Zimmer zum Vermieten, unser bisheriges Schlafzimmer, wäre ja so gut wie fertig. Und in meinem Kämmerchen kann ich das Gäste-Luftbett, das Gerd mir großzügig gelassen hat, für’s erste benutzen. Aber im Wohnzimmer herrscht noch unbehagliche Leere. Und selbst das günstigste Regal vom Möbelkaufhaus, das ich mir für meinen ‚begehbaren Schrank‘ vorgestellt habe, kostet mehr als ich im Moment zur Verfügung habe.“

      „eBay Kleinanzeigen?“

      „eBay?“ Ich sehe mich bereits die soziale Leiter runter rattern. „So altes Gerümpel?“

      „Ach was, schau dich hier um. Alles gebraucht. Wir müssen uns auch nach der Decke strecken.“

      „Nein?!“ Diese gemütliche Einrichtung. Bunt und künstlerisch und luftig. Seidig glänzende Möbel, leichte Stoffe, viele Pflanzen in dekorativ bemalten Gefäßen, das alles soll aus dem „Abfallhaufen“ stammen?

      „So was schaffe ich nie! Wüsste gar nicht, wie anfangen.“

      Niedergeschlagen lasse ich die Schultern hängen.

      „Darf ich dir helfen?“ Kim springt von ihrem Stuhl auf. „Mir würde das wahnsinnig Spaß machen. Komm, ich nehm das Babyphon mit, wir gehen nach oben und sehen uns das mal an.“

      Kapitel 4

      Mike schiebt sich durch die Tür, zieht an einem schweren Sessel. Ein Freund von Kim wartet mit einer Seitenwand des

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