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Informationen von ihm bekommen.“

      Hans genoss den kurzen Spaziergang mit Diana. Der Mai war nach einem holprigen Start zum Ende hin endlich in Fahrt gekommen. Es war warm und überall blühte es. Vor allem aber genoss er die Blicke auf die Frauen, die nach dem langen Winter endlich wieder mehr Haut zeigten.

      „Du bist echt peinlich, Hans!“, sagte Diana, die die Blicke sehr wohl bemerkte.

      „Ich und peinlich? Warum?“

      „Starr doch die Frauen nicht so an!“

      „Warum nicht? Die kleiden sich sehr hübsch und laufen in der Öffentlichkeit herum. Ich sehe keinen Grund, warum ich das nicht anerkennen sollte.“

      „Du bist echt von vorgestern! Wir ziehen uns nicht für andere an, sondern für uns.“

      „Das sehe ich anders.“

      Leo kam nur langsam voran. Kurz nach dem Hintereingang der Stiftskirche musste er anhalten. Er hielt sich an einer Bank fest und atmete schwer. Dann hörte er sich stöhnen und schämte sich dafür. Ganz so alt und gebrechlich, wie er sich gab, war er dann doch noch nicht. Er nahm sich vor, sich zusammenzureißen. Gerade, als er weitergehen wollte, bemerkte er in einem der beiden Papierkörbe neben der Bank eine Plastiktüte, aus der ein gemusterter Stoff herauslugte. Mit einem Taschentuch zog er an dem Stoff und erkannte ein Kleid. Als er auch noch einen Damenschuh in der Tüte entdeckte, nahm er das Handy und rief Fuchs an.

      „Ich befinde mich an einer Bank vor dem Hintereingang der Stiftskirche und habe vermutlich die Kleidung der Toten gefunden“, sagte er.

      „Wir kommen.“ Fuchs reagierte sofort und drängelte sich an Tatjana Struck vorbei, die das nicht unkommentiert ließ. Frau Struck war heute sehr mies gelaunt, was ihm mehr und mehr auf die Nerven ging. Eine Abwechslung kam ihm da sehr gelegen. Er sah Leo Schwartz, wie der sich an einer Bank abstützte.

      „Sie sollten zum Arzt gehen“, sagte Fuchs zu Leo.

      „Da war ich schon.“

      Mehr wollte Fuchs zum Zustand seines Kollegen nicht sagen. Das Befinden seiner Kollegen gehörte nicht zu seinem Aufgabengebiet. Außerdem war Herr Schwartz alt genug, um sich selbst um seinen Gesundheitszustand zu kümmern.

      „Gibt es eine Handtasche, ein Handy, oder dergleichen?“ Leo hatte ohne Handschuhe nicht gewagt, die Plastiktüte zu durchsuchen.

      „Nein. Nur Kleidung und Schuhe, mehr leider nicht.“

      Fuchs hatte alles im Griff, deshalb konnte Leo endlich weitergehen. Er musste mehrere Passanten nach der nächstgelegenen Apotheke fragen, bis er endlich an seinem Ziel in der Bahnhofstraße angekommen war. Er riss sich zusammen, denn je näher er der Apotheke kam, desto größer wurden die Schmerzen.

      Eine Frau kümmerte sich um ihn und nahm ihm das Rezept ab, das er in der Hand hielt.

      „Wollen Sie sich setzen? Sie sehen nicht gut aus.“ Die Frau schien ernsthaft besorgt.

      Leo erschrak. Die Schmerzen waren tatsächlich nicht mehr ganz so schlimm. Gab er solch ein jämmerliches Bild ab?

      „Danke, aber das geht schon“, sagte er und ärgerte sich, dass er sich so gehen ließ. Leo wusste, dass er nicht sehr leidensfähig war, was er aber niemals freiwillig zugeben würde. Er lächelte die junge Frau an, die neben ihm stand und von einem Mann bedient wurde. Es schien ihr peinlich zu sein, dass sie nach Schlafmitteln verlangte, die es nur in geringer Menge gab. Schweigend hörte sie sich die Belehrungen des Apothekers an, bevor sie endlich die Schlafmittel bekam. Sie steckte sie in ihre Tasche. Dabei verhakte sich die Verpackung und fiel auf den Boden. Wenn Leo fit gewesen wäre, hätte er sie aufgehoben, aber dazu fühlte er sich nicht in der Lage. Die Frau kniete sich auf den Boden und steckte die Packung rasch in ihre Handtasche, deren Inhalt für einen kurzen Moment sichtbar wurde. Leo erschrak, denn darin befanden sich mehrere Medikamentenverpackungen. Ihm war sofort klar, dass es sich dabei auch um Schlafmittel handeln musste.

      „Dann bekomme ich von Ihnen fünf Euro neunzehn Zuzahlung“, sagte die Frau hinter dem Tresen. Leo schob ihr einen zehn Euroschein zu. Als Schwabe hätte er auf das Restgeld pochen müssen, aber er war auch Polizist. Jede Sekunde zählte, denn er musste dringend mit der Frau sprechen, die bereits die Apotheke verlassen hatte. Als er die Schmerzmittel an sich nahm, war er für einen Moment irritiert. Hatte er die nicht auch schon in diversen Werbungen gesehen? Konnte es sein, dass ihm der Arzt für die heftigen Schmerzen nur ein handelsübliches Mittel verschrieben hatte, das es an jeder Ecke zu kaufen gab? Darum musste er sich später kümmern, jetzt gab es Wichtigeres.

      „Stimmt so“, sagte er deshalb und lief der Frau hinterher. Im Gehen nahm er eine Tablette. Wie lange wohl die Wirkung auf sich warten ließ? Er biss die Zähne zusammen, denn er spürte jeden Schritt, wobei die Schmerzen seltsamerweise nicht mehr ganz so schlimm waren. Wirkten die Tabletten so schnell? Konnte das sein? Die junge Frau lief Richtung Bahnhof. Ob er es schaffte, sie zu erreichen? Zum Glück kam eine Gruppe Wallfahrer mit hunderten von Gläubigen vom Bahnhof her auf ihn zu. Diese Gruppe, die von einem Mann mit einem riesigen Kreuz angeführt wurde, blockierte die ganze Bahnhofstraße. Leo kannte das schon. Er hatte schon oft gesehen, wie rücksichtlos manche Wallfahrerzüge vorgingen, um sich den Weg zum Ziel, der Gnadenkapelle auf dem Altöttinger Kapellplatz, zu bahnen. Normalerweise würde er sich darüber aufregen, aber diesmal kam ihm die Rücksichtslosigkeit entgegen. Die junge Frau, die er schon fast verloren glaubte, musste anhalten und kam nur schrittweise vorwärts, was ihm Zeit gab, aufzuholen. Er war nur noch wenige Meter von ihr entfernt. Dann steckte auch er fest. Er wurde angerempelt und rücksichtslos zur Seite gedrängt, was seinem Rücken nicht guttat und ihn wütend machte. Am liebsten hätte er jeden einzelnen verhaftet, aber dafür war keine Zeit. Er hielt Ausschau nach der Frau, die es geschafft hatte, an dem Wallfahrerzug vorbeizugehen. Leo war sauer und drängelte nun seinerseits zurück, was von den Teilnehmern des Wallfahrerzuges mit Beschimpfungen quittiert wurde. Leo war das egal. Er hatte nur noch die Frau im Blick, die jetzt an der Fußgängerampel kurz vor dem Bahnhof stehenbleiben musste. Super, vielleicht erreichte er sie doch noch. Er versuchte, die Schmerzen zu ignorieren und konnte schneller gehen, als er sich endlich an der Gruppe vorbeigedrängelt hatte. Die Ampel schaltete auf grün und die Frau hatte bereits einen Fuß auf die Straße gesetzt, als Leo sie zurückhielt.

      „Kriminalpolizei“, keuchte er und hielt ihr seinen Ausweis vor. „Papiere!“ Mehr brachte er nicht hervor. Der kurze Fußweg von der Apotheke bis hierher war für ihn ein wahnsinniger Kraftaufwand gewesen; er war völlig fertig.

      Die Frau starrte Leo erschrocken an. Dann kramte sie umständlich in ihrer Tasche, wobei sie bemüht war, dass er den Inhalt nicht sehen konnte.

      „Regina Liebers“, las Leo laut. „Sie wohnen in Kastl?“

      „Ja. Was habe ich angestellt?“

      Leo sah sich um. Hier direkt an der Kreuzung war kein geeigneter Platz für eine Befragung. Außerdem musste er sich setzen. Der Gasthof gegenüber hatte noch zu. Dann entdeckte er auf der anderen Straßenseite neben dem Bahnhofsvorplatz den Omnibusbahnhof mit mehreren Bänken.

      „Gehen wir dort rüber, dann erkläre ich es Ihnen“, sagte Leo und versuchte ein gequältes Lächeln. Die Schritte wurden schwerer und schwerer. Als eine der Bänke des Omnibusbahnhofes in greifbare Nähe kam, konnte er es kaum erwarten, sich endlich setzen zu können. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich langsam nieder. Geschafft. Er brauchte einen Moment, um die richtigen Worte zu finden. Außerdem war er immer noch, oder schon wieder, außer Atem.

      „Geben Sie mir Ihre Tasche“, sagte Leo, auch wenn ihm klar war, dass er dazu nicht befugt war. Er hatte die erschrockenen Augen der zweiunddreißigjährigen Frau gesehen und hatte Mitleid mit ihr. Außerdem spürte er, dass sie Angst hatte.

      Wortlos übergab ihm Regina Liebers die Tasche. Leo bemerkte sehr wohl, dass sie zitterte. Waren das Tränen in ihren Augen?

      Er öffnete die Tasche und sah eine riesige Menge Medikamente. Er nahm eine Packung nach der anderen – alles Schlafmittel.

      „Das sind ganz schön viele. Was haben Sie damit vor?“

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