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wegen deiner Faulenzerei muss ich jetzt auch noch den Krankenpfleger spielen! Tante Gerda hatte völlig Recht. Wie kann man nur….“

      „Hör schon auf! Nicht du auch noch! Ich hatte Urlaub und muss mich vor niemandem rechtfertigen, wie ich den verbracht habe. Kannst du dir vorstellen, dass ich große Schmerzen habe? Wie wäre es mit etwas Mitgefühl?“

      „Kannst du vergessen! Tatjana, Diana und ich mussten uns durch staubige Akten wühlen, was übrigens nichts gebracht hat. Diesbezüglich vermisse ich auch dein Mitgefühl!“

      „Du sprachst vorhin von einem Tatort“, lenkte Leo vom Thema ab.

      „Es gibt einen Toten in der Tilly-Gruft.“

      „Wo?“

      „In der Tilly-Gruft in der Altöttinger Stiftskirche. Der Feldherr Tilly sagt dir nichts?“

      „Nein, nicht wirklich.“

      „Arbeite gefälligst an deiner Allgemeinbildung! Tilly war ein berühmter Feldherr während des Dreißigjährigen Krieges. Er wurde zwanzig Jahre nach seinem Tod in die Altöttinger Stiftskirche überführt und ist dort in der Tilly-Gruft beigesetzt. Sein Herz ruht in der Gnadenkapelle. Hast du echt noch nie seinen gefensterten Sarg gesehen?“

      „Nein.“

      „Da hast du was verpasst! Man kann durch das kleine Fenster den Schädel von Graf Tilly sehen.“

      „Warum soll ich mir den ansehen? Was hätte ich davon?“

      „Das ist Geschichte, mein Lieber. Hast du daran kein Interesse?“

      „An Toten ganz sicher nicht. Damit muss ich mich schon von Berufs wegen herumschlagen, das tue ich mir während meiner Freizeit sicher nicht an.“

      „Ich fasse es nicht, dass du noch nie etwas von Graf Tilly gehört hast! Wie lange lebst du jetzt schon in Altötting? Das müssten doch schon fünf Jahre oder noch länger sein!“

      „Jetzt fang dich mal wieder! Es gibt sicher Dinge, die auch dir nicht geläufig sind. Wer ist das Opfer? Was ist passiert?“

      „Keine Ahnung. Statt am Tatort zu sein, muss ich dich ja zum Arzt chauffieren!“

      Die Behandlung dauerte nicht lange. Leo wurde bereits erwartet und konnte trotz des vollen Wartezimmers sofort in die Praxis durchgehen. Wie Tante Gerda das geschafft hatte, war ihm ein Rätsel. Als der Arzt das Wärmepflaster sah, entfernte er es, was nicht ohne Schmerzen möglich war. Leo schrie auf, was dem Arzt nur ein Lächeln entlockte.

      Hans flirtete in der Zwischenzeit mit der hübschen Sprechstundenhilfe, was er leider nicht auskosten konnte. Nach wenigen Minuten war Leo bereits fertig und sie konnten gehen.

      „Und?“

      „Spritzen und ein Rezept für Schmerzmittel. Außerdem muss ich zur Krankengymnastik, aber das kann der Arzt vergessen. Was soll ich dort? Es habe mir sicher nur einen Nerv eingeklemmt, das wird schon wieder. Können wir? Ich bin gespannt, was uns in dieser Tilly-Gruft erwartet.“

      Hans musste lachen. Leo ging es deutlich besser, auch wenn er immer noch etwas gebückt ging und sogar humpelte. Dass sein Freund und Kollege maßlos übertrieb, war ihm klar. Was für ein Weichei! Er hätte an dessen Stelle die Zähne zusammengebissen und den Schmerz ertragen.

      Tatjana Struck hatte den Tatort fest im Griff. Die achtunddreißigjährige Leiterin der Mordkommission hatte bereits einige Zeugen vernommen und sogar schon einen Streit mit Friedrich Fuchs vom Zaun gebrochen. Der Leiter der Spurensicherung hatte den Tatort abgesperrt und jedem verboten, auch nur einen Fuß über die Absperrung zu setzen. Der Streit war dadurch entstanden, als sich Fuchs erlaubte, Tatjana vor allen Kollegen zu maßregeln, was sich diese nicht gefallen ließ.

      „Endlich“, begrüßte Diana Nußbaumer Leo und Hans. „Ich dachte schon, ihr kommt überhaupt nicht mehr.“ Diana war neu im Team. Die achtundzwanzigjährige, sehr ehrgeizige Kollegin sah heute wieder fantastisch aus. Diana gab sich immer sehr viel Mühe mit ihrem Äußeren. Sie passte mit ihrem pinkfarbenen, kurzen Rock, dem Top und den schwarzen, hochhackigen Schuhen mit der dazu passenden riesigen Handtasche nicht zur Tilly-Kapelle in der Altöttinger Stiftskirche.

      „Sind das alles Zeugen?“, fragte Leo und zeigte auf eine große Gruppe, unter denen sich auch einige Mönche und Ordensschwestern befanden.

      „Nein. Die Putzfrau Olga Nemec hat die Tote gefunden. Nachdem ich sie befragt habe, habe ich sie nach Hause geschickt. Die arme Frau ist völlig fertig mit den Nerven, was ich durchaus verstehen kann. Frau Nemec hat die Leiche um 7.35 Uhr gefunden und sofort die Polizei gerufen. Nach ihr kamen der Hausmeister, die Mesnerin und der Kerzenlieferant. Frau Nemec hat niemanden gehört oder gesehen, die anderen auch nicht. Nach unserem Eintreffen wurden alle Ein- und Ausgänge versperrt und die Stiftskirche wurde durchsucht.“

      „Lass mich raten: Ihr habt nichts gefunden?“

      „Richtig. Die Frau, deren Identität noch nicht geklärt ist, wurde erschlagen. Die Tatwaffe ist ein Kreuz aus Metall, das neben der Leiche gefunden wurde.“

      „Wenn alle Ein- und Ausgänge versperrt wurden, frage ich mich, wie die ganzen Menschen hier reinkamen“, sagte Hans, der nicht fassen konnte, wieviel Leute hier waren. Hatten die nichts zu tun?

      „Die waren schon hier, als wir eintrafen. Wir konnten ja nicht wissen, dass die nur aus Neugier hier sind. Ich wollte sie bereits wegschicken, aber Tatjana will das persönlich übernehmen.“

      „Und warum ist das nicht schon längst geschehen?“

      „Weil Fuchs sie ständig davon abhält. Der hat heute eine Laune, die nicht zu ertragen ist. Ich habe bereits versucht, ihn zu besänftigen, was mir aber auch nicht gelang. Er und Tatjana geraten ständig aneinander, was mir so langsam peinlich ist und auch auf die Nerven geht. Ihr müsst euch den Tatort ansehen. Macht euch auf etwas gefasst, das ihr so vielleicht noch nie gesehen habt.“

      „Was ist damit?“

      „Seht es euch selbst an, sonst glaubt ihr mir nicht.“

      Leo und Hans standen vor der Absperrung, die Fuchs angebracht hatte. Beide schlüpften unter dem Band durch, was Fuchs beobachtete. Ab jetzt würde er die beiden Kriminalbeamten nicht mehr aus den Augen lassen.

      Hans ging zuerst. Die Treppe zur Tilly-Gruft hatte sehr enge Stufen, was für seine Schuhgröße eine Herausforderung war. Hans starrte auf die nackte Frauenleiche, die mit dem Gesicht nach unten auf dem Tilly-Sarg lag. Ihre roten Haare deckten das Sichtfenster des Sarges ab. Das Blut am Hinterkopf und auf dem Sarg glänzte im Schein der hellen Lampen, die Fuchs aufgestellt hatte. Hans registrierte sofort, dass das Blut noch nicht getrocknet war. Auf den beiden Särgen links und rechts des Tilly-Sarges, und auf den beiden Särgen direkt neben der Treppe, in denen Tillys Neffe Werner und dessen Familie bestattet wurden, standen mehrere Kerzen, darunter eine schwarze Kerze. Auf dem Sarg rechts lag ein großes Kreuz aus Metall - vermutlich die Tatwaffe, von der Diana sprach. Auch auf dem Boden standen viele Kerzen, unter denen sich auch zwei rote befanden.

      „Was ist das denn?“, sagte Hans erschrocken. „Eine Totenmesse in der Tilly-Gruft? Das hatten wir auch noch nie.“

      „Ich weiß nicht. Eine Totenmesse? Ist das nicht zu weit hergeholt?“ Leo war Hans gefolgt, brauchte aber sehr viel länger. Jede einzelne Treppenstufe schmerzte gewaltig. Unter normalen Umständen hätte er sich mit den Fotos zufrieden gegeben, aber seine Neugier war nach dem Gespräch mit Diana viel zu groß. Er war nicht minder geschockt von dem Anblick des Tatorts.

      Beide sahen zu, wie einer von Fuchs‘ Mitarbeitern Fotos machte. Dann nahm er das rote Haar, das das Gesicht bedeckt hatte und machte mehrere Bilder von dem Gesicht. Leo und Hans erschraken. Das Gesicht war völlig verunstaltet worden.

      „Sind das Schnitte?“, frage Hans den Kollegen Fuchs, der immer noch jede Bewegung der Kollegen registrierte. Hans hatte sich in der engen Tilly-Gruft zur Leiche vorgedrängelt und sah ihr ins Gesicht.

      „Ja. Ich vermute ein scharfes Messer oder eine Rasierklinge.“

      „Sie

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