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Abkürzung für ›Essley‹. Erst als er nach Westaustralien kam, machte er den Versuch, sich als Arzt niederzulassen. Seine Praxis war nicht gerade groß, aber sie brachte ihm doch etwas ein. Nach einiger Zeit verschwand er jedoch aus Coolgardie, und erst acht Jahre später tauchte er in London wieder auf.«

      Inzwischen hatten sie den Paseo del Gran Capitan erreicht. Die Straßen waren jetzt belebter.

      »Ich habe ein paar Zimmer hier gemietet«, sagte Manfred. »Komm mit und trink eine Tasse Tee bei mir.«

      Seine Wohnung lag über einem Juwelierladen in der Calle Morería. Die Räume waren schön ausgestattet.

      »Besonderen Wert habe ich auf Bequemlichkeit gelegt«, erklärte Manfred, als er aufschloß. Gleich darauf setzte er einen silbernen Kessel auf eine elektrische Kochplatte.

      »Der Tisch ist ja für zwei gedeckt?« fragte Poiccart erstaunt.

      »Ich erwarte Besuch«, erwiderte Manfred lächelnd. »Manchmal wird unserem lieben Leon das Bettlerleben lästig, dann kommt er als repräsentables Mitglied der Gesellschaft mit der Bahn in Cordova an, um den Luxus des Lebens wieder einmal zu genießen – und mir seine Geschichten zu erzählen. Aber ich möchte gern noch mehr von Essley hören, lieber Poiccart, ich interessiere mich sehr für ihn.«

      Der ›Tourist‹ setzte sich in einen tiefen und bequemen Sessel.

      »Wo war ich doch gleich stehengeblieben? Ach ja – Doktor Essley verschwand aus Coolgardie und tauchte dann acht Jahre später in London wieder auf.«

      »Unter außergewöhnlichen Umständen?«

      »Nein, das gerade nicht. Er wurde damals von einem neuen Gewaltigen der Londoner Geschäftswelt lanciert.«

      »Etwa von Oberst Black?« fragte Manfred stirnrunzelnd.

      »Ja. Diesem Mann verdankt Essley seine Praxis. Er erregte zum erstenmal meine Aufmerksamkeit –«

      Es klopfte an der Tür, und Manfred hob warnend den Finger. Er ging hin und öffnete. Der Portier stand draußen, die Mütze in der Hand. Hinter ihm, ein wenig weiter unten auf der Treppe, war ein Fremder zu sehen – anscheinend ein Engländer.

      »Señor, ein Herr möchte Sie sprechen.«

      »Ich stehe zu Ihren Diensten«, antwortete Manfred, indem er den Besucher auf spanisch anredete.

      »Ich kann leider nicht gut Spanisch«, sagte der Mann auf der Treppe.

      »Wollen Sie bitte näher treten?«

      Manfred sprach nun englisch.

      Der Fremde stieg langsam herauf.

      Er war etwa fünfzig Jahre alt, hatte langes graues Haar und buschige Augenbrauen. Sein stark hervortretender Unterkiefer machte sein Gesicht nicht gerade einnehmend. Er trug einen schwarzen Anzug und hielt einen breitkrempigen, weichen Filzhut in der behandschuhten Hand.

      Als er eingetreten war, blickte er forschend von einem zum andern.

      »Mein Name ist Essley«, stellte er sich dann vor.

      Er zögerte etwas bei dem doppelten S, so daß das Wort zischend und hart klang.

      »Essley«, sagte er noch einmal, als ob er eine besondere Genugtuung bei der Wiederholung seines Namens empfände.

      Manfred wies mit der Hand auf einen Stuhl, aber der Fremde schüttelte den Kopf.

      »Ich möchte mich nicht setzen«, sagte er schroff. »Wenn ich geschäftlich verhandle, stehe ich lieber.«

      Er sah argwöhnisch auf Poiccart.

      »Ich möchte Sie in einer privaten Angelegenheit sprechen«, sagte er mit einer gewissen Betonung.

      »Mein Freund genießt mein volles Vertrauen«, entgegnete Manfred.

      Essley nickte unwillig.

      »Ich habe gehört, daß Sie Kriminalwissenschaftler sind und auch eingehende Kenntnisse über Spanien besitzen.«

      Manfred zuckte die Schultern. In der Rolle, die er augenblicklich spielte, genoß er einiges Ansehen als wissenschaftlicher Schriftsteller. Er hatte unter dem Namen ›de la Monte‹ ein Buch ›Modernes Verbrechertum‹ veröffentlicht.

      »Als ich dies erfuhr, reiste ich nach Cordova«, erklärte Dr. Essley. »Ich habe hier zwar noch andere Dinge zu erledigen, aber die sind nicht so wichtig.«

      Er sah sich jetzt doch nach einem Sessel um. Manfred bot ihm einen an, und sein Besucher nahm Platz, indem er sich mit dem Rücken zum Fenster setzte.

      »Mr. de la Monte, Sie besitzen eine umfassende Kenntnis des Verbrechens.«

      Der Doktor lehnte sich vor und faltete seine Hände über dem Knie.

      »Ich habe ein Buch darüber geschrieben, aber das besagt noch nicht unbedingt, daß ich große Kenntnisse besitzen muß«, erwiderte Manfred.

      »Das habe ich befürchtet«, entgegnete der andere barsch. »Ich war auch besorgt, daß Sie vielleicht nicht Englisch sprächen. Nun möchte ich eine offene Frage an Sie richten, und ich erwarte von Ihnen eine ebenso offene Antwort.«

      »Soweit ich dazu imstande bin, will ich sie Ihnen gerne geben.«

      Das Gesicht des Arztes zuckte nervös.

      »Haben Sie jemals etwas von den ›Vier Gerechten‹ gehört?«

      Es trat eine kurze Pause ein.

      »Ja, ich habe von ihnen gehört.«

      »Sind sie in Spanien?« fragte der Doktor mit schriller Stimme.

      »Das weiß ich nicht genau. Warum fragen Sie?«

      »Weil ich …« Der Arzt zögerte. »Nun, ich interessiere mich für die Leute. Man sagt, daß sie Verbrechen aufspüren, die die Gerichte nicht bestrafen. Sie … sie … töten ihre Opfer auch – wie?«

      Seine Stimme war noch schärfer geworden, und er kniff die Augenlider so weit zusammen, daß er nur noch durch Schlitze zu sehen schien.

      »Es ist bekannt, daß eine solche Organisation besteht«, antwortete Manfred, »und man weiß auch, daß die ›Vier Gerechten‹ sich mit ungesühnten Verbrechen beschäftigen – und daß sie Strafen verhängen.«

      »Auch – die Todesstrafe?«

      »Sie wenden auch die Todesstrafe an«, erwiderte Manfred ernst.

      »Und dabei laufen sie frei herum?« Dr. Essley sprang erregt auf und gestikulierte heftig mit den Händen. »Sie laufen frei herum und werden nicht bestraft? Bei allen modernen Methoden der Polizei kann man sie nicht fassen? Sie wagen es, sich selbst zu Richtern aufzuwerfen und andere Leute zu verurteilen? Wer hat ihnen das Recht dazu gegeben? Es gibt doch noch Gesetze, und wenn sich jemand gegen sie vergeht –«

      Er hielt plötzlich inne, zuckte die Schultern und sank schwer in seinen Sessel zurück.

      »Soweit ich erfahren habe«, fuhr er nach einer Weile fort, »bilden sie keine Macht mehr. Sie sind in allen Ländern geächtet – alle Polizeibehörden haben Steckbriefe gegen sie erlassen.«

      Manfred nickte.

      »Das stimmt«, sagte er höflich, »aber ob sie keine Macht mehr haben, das kann nur die Zeit lehren.«

      »Es sind drei.« Der Doktor schaute bei diesen Worten schnell auf. »Für gewöhnlich finden sie noch einen vierten – einen Mann, der großen Einfluß hat.«

      Manfred nickte wieder.

      »Das habe ich auch gehört.«

      Dr. Essley rückte unruhig in seinem Sessel hin und her. Man sah deutlich, daß er nicht die gewünschte Auskunft oder Versicherung erhalten hatte und nun stark beunruhigt war.

      »Und sie sind in Spanien?« fragte er.

      »Man sagt es.«

      »Sie sind nicht

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