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offenen Toren zu den Höfen stehen; er schien im Zweifel zu sein, wohin er sich wenden sollte. Schließlich drehte er sich um und ging zur Calahorrabrücke hinunter, die den Fluß mit ihren sechzehn Bogen schnurgerade überspannte. Sie stammte noch aus der Zeit der Mauren und war von diesen erbaut. Als er die Mitte der Brücke erreicht hatte, lehnte er sich über das Geländer und schaute lässig auf die angeschwollenen gelben Fluten des Guadalquivir hinab.

      Heimlich aber beobachtete er, wie der Bettler auf ihn zuhumpelte. Es dauerte sehr lange, denn der Alte kam nur langsam von der Stelle. Endlich stand er an seiner Seite und hielt ihm die Hand entgegen. Seine Haltung war die eines gewöhnlichen Bettlers, aber seine Sprache die eines gebildeten Engländers.

      »Manfred«, sagte er ernst, »du mußt diesen Essley sehen. Ich bitte dich aus einem ganz bestimmten Grund darum.«

      »Wer ist denn das?« Der Bettler lächelte.

      »Ich muß mich zum größten Teil auf mein Gedächtnis verlassen. Die Bibliothek in meiner armseligen Wohnung ist etwas beschränkt. Aber ich habe die dunkle Erinnerung, daß er Arzt in einer Vorstadt Londons ist. Scheint ein kluger Kopf zu sein.«

      »Und was macht er hier?«

      Gonsalez, der sich hinter der Maske dieses unscheinbaren Bettlers verbarg, lächelte wieder.

      »Hier in Cordova lebt ein Doktor Cajalos. In die vornehme Umgebung des Paseo del Gran Capitán, wo du deine luxuriöse Wohnung hast, dringt natürlich kein Gerücht aus der Unterwelt von Cordova. Hier«, – er zeigte auf die baufälligen Dächer und die schmutzigen, schiefen Häuser am anderen Ende der Brücke – »im Campo de la Verdad, wo die Leute mit zehn Peseten die Woche zufrieden leben können, kennt man den Doktor Cajalos. Er wird in allen Häusern und Familien verehrt – ein bewunderungswürdiger Mensch, der mit seiner Kunst Wunder vollbringt. Er macht die Blinden sehend, entlarvt durch seine Macht die Schuldigen, bereitet unfehlbare Liebestränke, bespricht Warzen und Geschwüre.«

      »Selbst in der Gegend des Paseo del Gran Capitán wird er geachtet.« Manfred zwinkerte mit den Augen. »Ich habe ihn selbst aufgesucht und um Rat gefragt.«

      Der Bettler war ein wenig erstaunt.

      »Du bist tüchtiger, als ich dachte«, sagte er bewundernd. »Wann warst du bei ihm?«

      Manfred lachte leise.

      »Vor einigen Wochen stand in einer bestimmten Nacht ein Bettler vor der Haustür des Arztes auf der Straße und wartete geduldig auf das Wiedererscheinen eines geheimnisvollen Besuchers, der sich bis zur Nasenspitze in seinen Mantel eingehüllt hatte.«

      »Ja, ich kann mich besinnen.« Gonsalez nickte. »Es war ein Fremder aus Ronda, und ich war neugierig. Hast du beobachtet, daß ich ihm folgte?«

      »Ich sah dich von der Seite«, entgegnete Manfred ernst.

      »Warst denn du der Fremde?« fragte Gonsalez, aufs höchste überrascht.

      »Ja. Ich verließ damals Cordova, um nach Cordova zurückzukommen.«

      Gonsalez schwieg einen Augenblick.

      »Ich gebe mich geschlagen«, sagte er dann. »Du kennst also Doktor Cajalos. Begreifst du nun, warum ein gewöhnlicher englischer Arzt nach Cordova kommt? Essley ist auf dem schnellsten Wege und ohne Aufenthalt mit dem Algeciras-Expreß gereist. Morgen früh bei Tagesanbruch wird er Cordova auf dieselbe eilige Weise wieder verlassen. Er ist hierhergekommen, um Doktor Cajalos zu konsultieren.«

      »Poiccart ist hier; er interessiert sich auch für diesen Essley – und zwar so sehr, daß er sich, den Reiseführer in der Hand, friedlich von Fremdenführern umherführen läßt, die ihm ja doch nur ungenaue Auskunft geben können.«

      Manfred strich seinen kleinen Bart, und seine klugen Augen hatten wieder denselben ernsten, nachdenklichen Ausdruck wie vorher, als er Gonsalez von seinem Platz im ›Café del Gran Capitán‹ aus nachgesehen hatte.

      »Ohne Poiccart würde das Leben langweilig sein«, sagte er.

      »Ja, da hast du recht – o Señor, mein ganzes Leben soll Ihrem Lobe geweiht sein, und meine Gebete für Sie sollen wie Weihrauchwolken zum Throne des Allmächtigen emporsteigen.«

      Er verfiel plötzlich wieder in seinen jammernden Tonfall, denn ein Polizist der Guardia Municipal näherte sich ihnen und warf einen mißtrauischen Blick auf den Bettler, der mit ausgestreckter Hand erwartungsvoll dastand.

      Manfred schüttelte den Kopf, als der Polizist herankam.

      »Geh in Frieden.«

      »Du Hund«, rief der Polizist und packte den Bettler mit rauher Hand an der Schulter, »du Sohn eines Diebes, mach, daß du fortkommst, damit deine übelriechende Gegenwart nicht die Nase dieses hohen Herrn beleidigt!«

      Er stemmte die Arme in die Seite und sah dem davonhinkenden Krüppel nach, dann wandte er sich an Manfred.

      »Wenn ich diesen Lumpen nur eher gesehen hätte, Señor, hätte ich Sie schon längst von ihm befreit.«

      »Es ist nicht der Rede wert«, erwiderte Manfred in herkömmlicher Weise.

      Der Polizist strich sich mit der einen Hand den kleinen Schnurrbart.

      »Ich habe es nicht leicht, die reichen und freigebigen Caballeros vor diesen Kerlen zu bewahren …«

      Manfred ließ ein Geldstück in die Hand des Polizisten gleiten.

      Der Mann ging bis zum Ende der Brücke neben ihm her. Sie blieben dann plaudernd an dem Hauptportal der Kathedrale stehen.

      »Sie sind wohl nicht aus Cordova, Señor?«

      »Aus Malaga«, erwiderte Manfred ohne Zögern.

      »Meine Schwester war mit einem Fischer in Malaga verheiratet«, erzählte der Polizist. »Ihr Mann ist ertrunken. – Sind Sie schon einmal in Gibraltar gewesen?«

      Manfred nickte. Er blickte interessiert auf eine Gesellschaft von Touristen, denen die Pracht der Puerta del Perdón gezeigt wurde.

      Einer der Fremden löste sich von der Gruppe der übrigen und kam auf sie zu. Er war ein Mann von mittlerer Größe und kräftiger, untersetzter Gestalt. In seinem Wesen lag eine sonderbare Zurückhaltung, und in seinem Gesicht drückte sich eine gewisse melancholische Ruhe aus.

      »Können Sie mir den Weg zum Paseo del Gran Capitán sagen?« fragte er in schlechtem Spanisch.

      »Ich gehe selbst dorthin«, erklärte Manfred höflich. »Wenn Sie mich begleiten wollen …«

      »Ich wäre Ihnen zu großem Dank verpflichtet«, entgegnete der andere.

      Manfred dankte dem Polizisten nochmals, dann gingen die beiden Männer davon.

      Sie sprachen über die verschiedensten Dinge, über das Wetter und den schönen Anblick der Kathedrale.

      »Du mußt mitkommen und Essley sehen«, sagte der Tourist plötzlich unvermittelt in perfektem Spanisch.

      »Erzähle mir doch etwas von ihm«, erwiderte Manfred. »Im Vertrauen gesagt – du hast meine Neugierde geweckt.«

      »Es ist eine wichtige Angelegenheit«, entgegnete Poiccart ernst. »Essley ist Arzt in einer Vorstadt von London. Ich habe ihn seit Monaten beobachtet. Er hat nur eine kleine, recht unbedeutende Praxis; augenscheinlich ist das nicht sein Hauptberuf. Außerdem hat er eine merkwürdige Vergangenheit. Er hat in London studiert und ist gleich nach dem Examen mit einem gewissen Henley nach Australien gegangen. Henley war ganz heruntergekommen und im Examen durchgefallen, aber die beiden waren gute Freunde. Das erklärt wahrscheinlich auch, daß sie zusammen auswanderten, um ihr Glück in der Fremde zu suchen. Essley stand völlig allein, und Henley hatte nur einen reichen Onkel irgendwo in Kanada, den er aber niemals gesehen hatte. Sie kamen in Melbourne an und gingen ins Innere des Landes. Sie wollten in den neuen Goldfeldern ihr Heil versuchen, die damals gerade erschlossen wurden. Drei Monate später kam Essley allein dort an – sein Freund war unterwegs gestorben!

      Er scheint in den nächsten drei oder

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