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mach­ten deut­lich, dass es noch an­de­res Le­ben gab. Ich stand auf und ver­ließ das Ge­bäu­de.

      Auf dem großen Platz trai­nier­ten nun ei­ni­ge jun­ge Mön­che. Für mich sa­hen die­se Übun­gen aus wie Kung Fu, denn man­gels Er­fah­run­gen fass­te ich alle asia­ti­schen Kampf­sport­ar­ten un­ter die­sem Be­griff zu­sam­men. Die fei­nen Un­ter­schie­de kann­te ich noch nicht und in die­sem Mo­ment war mir auch nicht be­wusst, dass es die­sen Be­griff an die­sem Ort, zu die­ser Zeit nicht gab.

      Fas­zi­niert schau­te ich zu und be­wun­der­te die Be­weg­lich­keit und Schnel­lig­keit die­ser Män­ner. Nach ei­ni­ger Zeit lös­te sich mein jun­ger Füh­rer aus der Grup­pe der Üben­den und kam zu mir. Er be­deu­te­te mir, dass ich mit­ma­chen soll­te. Ich wehr­te ab und ver­such­te, ihm ver­ständ­lich zu ma­chen, dass ich nichts der­glei­chen be­herrsch­te. Aber er wie­der­hol­te die­se Auf­for­de­rung im­mer wie­der und schließ­lich be­griff ich, dass ich es von ih­nen ler­nen soll­te. Doch be­vor wir uns die­ser He­r­aus­for­de­rung zu­wand­ten, gab es noch eine an­de­re Hür­de zu über­win­den. Da ich ihre und sie mei­ne Spra­che nicht ver­stan­den, war die Ver­stän­di­gung sehr schwie­rig und der jun­ge Mönch wur­de ei­ner mei­ner ge­dul­digs­ten Sprach­leh­rer. Wir muss­ten oft la­chen, wenn ich ver­such­te ihm nach­zu­spre­chen, et­was falsch be­ton­te, oder ein Wort im falschen Zu­sam­men­hang ver­wen­de­te.

      Doch be­gon­nen hat­te das Gan­ze mit der ge­gen­sei­ti­gen Vor­stel­lung. Er deu­te­te auf sich und nann­te sei­nen Na­men:

      ›Wang Lee!‹

      Mit Ges­ten for­der­te er mich auf ihm nach­zu­spre­chen. Ich ver­such­te es, doch da­bei kam et­was ganz an­de­res he­r­aus. Die­ser Name klang in der wei­chen, sin­gen­den chi­ne­si­schen Aus­spra­che ganz an­ders und mei­ne an das har­te Deutsch ge­wohn­te Stim­me hat­te Pro­ble­me, das rich­tig wie­der­zu­ge­ben. Wang Lee konn­te ein Schmun­zeln nicht un­ter­drücken und ließ es mich mehr­fach wie­der­ho­len, bis es ei­ni­ger­ma­ßen nach ‚Wang Lee‘ klang. Er war da­bei sehr fröh­lich und mo­ti­viert, was sich wie­der­um auf mich über­trug. Nach­dem ich es ei­ni­ger­ma­ßen hin­be­kom­men hat­te, deu­te­te er auf mich und sei­nen Ges­ten ent­nahm ich, dass er nun mei­nen Na­men wis­sen woll­te. Ich nann­te ihm mei­nen vol­len Na­men und der Ge­sichts­aus­druck, den ich ern­te­te, war köst­lich.

      Als er ver­such­te es nach­zu­spre­chen, hat­te ich ge­nau­so viel Grund zum Schmun­zeln, wie er vor­her bei mir. Nach ei­ner Wei­le – sei­ne Fort­schrit­te wa­ren schon recht be­acht­lich – er­schi­en ihm ‚Gün­ter Kauf­mann‘ zum An­spre­chen oder Ru­fen doch viel zu lang und mit ei­ner re­si­gnie­ren­den Ges­te deu­te­te er auf mich und sag­te:

      ›Gü Man!‹

      Ich lach­te kurz auf und nick­te zu­stim­mend. Es war mein ers­tes un­be­fan­ge­nes La­chen seit dem Tod mei­ner Fa­mi­lie und es war rich­tig be­frei­end. Wang Lee freu­te sich an­schei­nend sehr, dass ich mit sei­ner Na­mens­ge­bung ein­ver­stan­den war, und so be­gann mein Sprach­un­ter­richt in Chi­ne­sisch, der bei je­der sich bie­ten­den Ge­le­gen­heit fort­ge­setzt wur­de. Er fand im­mer einen Weg, um einen Be­griff oder eine Be­zeich­nung zu um­schrei­ben und den­noch soll­te eine lan­ge Zeit ver­ge­hen, be­vor ich ei­ni­ger­ma­ßen ver­stand, was ge­spro­chen wur­de.

      Nach­dem wir uns nun vor­ge­stellt hat­ten, ver­such­te er he­r­aus­zu­fin­den was ich für Vor­aus­set­zun­gen mit­brach­te, um an ih­rem Trai­ning teil­neh­men zu kön­nen. Bald be­griff er, dass ich kei­ner­lei Grund­kennt­nis­se hat­te. Doch er war kei­ner, der sich gleich ent­mu­ti­gen ließ. Mit ver­schie­de­nen Übun­gen, die er mir vor­mach­te und die ich dann un­ter sei­ner Be­ob­ach­tung nach­ahm­te, be­gann er aus­zu­lo­ten, was bei mir mög­lich war und wo er an­set­zen konn­te. Als er sich für einen Au­gen­blick un­be­ob­ach­tet glaub­te sah ich, wie er ei­nem der an­de­ren an­we­sen­den Mön­che einen Blick zu­warf, der so viel be­deu­te­te wie ‚Puuh, das wird ein har­tes Stück Ar­beit!‘

      Es däm­mer­te be­reits, als ein Gong er­tön­te. Die Mön­che be­en­de­ten ihr Trai­ning und streb­ten dem Tem­pel­be­reich zu. Kei­ner sprach, al­les lief ru­hig und ent­spannt ab. Nur Wang Lee for­der­te mich mit ei­nem Wink dazu auf ih­nen zu fol­gen.

      Als der Abt mit ei­nem mo­no­to­nen Sprech­ge­sang be­gann, war der Haupt­tem­pel nicht ein­mal zu ei­nem Drit­tel ge­füllt und doch schie­nen alle, die sich zu die­sem Zeit­punkt im Klos­ter­be­reich auf­hiel­ten, an­we­send zu sein. Ich hat­te mich in der Nähe des Ein­gangs nie­der­ge­las­sen und kei­ner schi­en wei­ter No­tiz von mir zu neh­men. Da ich nicht wuss­te, was ich nun tun soll­te, mit ih­ren Ge­be­ten und Ze­re­mo­ni­en aber auch nichts an­fan­gen konn­te, schloss ich die Au­gen und kam in­ner­lich lang­sam zur Ruhe. Ich dach­te über mein bis­he­ri­ges Le­ben nach, über die letz­ten Er­eig­nis­se, über den Sinn des Gan­zen und ver­such­te mir vor­zu­stel­len wie es nun wei­ter­ge­hen soll­te.

      Nach ei­ni­ger Zeit, an­ge­regt durch mein Um­feld, be­gann ich über den Glau­ben nach­zu­den­ken. Es hat­te eine Zeit ge­ge­ben, als mein Glau­be an Gott und die christ­li­che Kir­che zwar nicht fel­sen­fest, aber be­stim­mend in mei­nem Le­ben ge­we­sen war. Doch ir­gend­wann hat­te ich im All­tagsstress den Glau­ben ver­nach­läs­sigt, hat­te nur noch ne­ben­bei dar­an ge­dacht und mir nie die Zeit ge­nom­men die in­ne­re Ruhe zu fin­den, die nö­tig ist, um mit Gott zu spre­chen. Jetzt fand ich das ers­te Mal seit lan­ger Zeit wie­der die Ruhe, um dar­über nach­zu­den­ken. Mir wur­de be­wusst, dass ich mich im Großen und Gan­zen nach den Ge­bo­ten ge­rich­tet und ge­lebt hat­te, wie es von ei­nem Chris­ten er­war­tet wur­de, doch die Ver­bin­dung zu Gott war ver­lo­ren ge­gan­gen.

      Hat­te Gott mit den letz­ten Er­eig­nis­sen zu tun? Wie war ich hier­her­ge­kom­men? Warum war ich hier? Wenn Gott et­was da­mit zu tun hat­te, warum war ich dann an ei­nem Ort, wo ein ganz an­de­rer Glau­be vor­herrsch­te? Ist der Gott, an den ich glau­be, auch der wah­re Gott? Gibt es über­haupt einen Gott?

      Fra­gen über Fra­gen und ich fand kei­ne Ant­wor­ten. Das in­ne­re Gleich­ge­wicht, das ich ge­ra­de ge­fun­den hat­te, be­gann wie­der zu schwin­den. Ich wur­de im­mer ner­vö­ser und woll­te mich schon er­he­ben, um den Tem­pel zu ver­las­sen, als ich fühl­te, dass mich je­mand be­ob­ach­te­te. Ich öff­ne­te die Au­gen und sah nach vorn zu dem leicht er­höh­ten Teil, auf dem die Bud­dha­fi­gur stand, und ich sah di­rekt in die Au­gen des Ab­tes. Die­ser Blick hat­te et­was, das ich nicht be­schrei­ben konn­te und ich spür­te, wie sich die Ruhe des Ab­tes auf mich über­trug. Lang­sam glät­te­ten sich die Wo­gen mei­ner auf­ge­wühl­ten Ge­dan­ken und Ge­füh­le und mir wur­de be­wusst, dass es ei­gent­lich egal war warum, wie oder durch wen ich hier­her­ge­kom­men war. Es zähl­te nur, dass ich jetzt hier war und das Bes­te dar­aus mach­te. Als ich die­se Er­kennt­nis ge­won­nen hat­te, sah ich hoch und wie­der in die Au­gen des Ab­tes. Da­bei dach­te ich: Dan­ke, du hast mir sehr ge­hol­fen!

      Im sel­ben Mo­ment er­schi­en ein Lä­cheln auf dem Ge­sicht des Ab­tes und ich glaub­te, ein leich­tes Kopf­nei­gen zu be­mer­ken. Wäh­rend der rest­li­chen An­dacht der Mön­che dach­te ich über mein bis­he­ri­ges Le­ben nach und kam da­bei zu dem Er­geb­nis, dass die­ses ei­gent­lich sehr ober­fläch­lich ge­we­sen war. Das stän­di­ge Stre­ben nach Be­sitz, Si­cher­heit und An­er­ken­nung hat­te mich vie­les nicht mehr er­ken­nen und ver­ste­hen las­sen. In die­sem Mo­ment

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