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Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
Читать онлайн.Название Traum oder wahres Leben
Год выпуска 0
isbn 9783738004960
Автор произведения Joachim R. Steudel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Auf dem Platz vor dem Tempel wurde ich nun wieder mit etwas konfrontiert, das ich schon aus dem Fernsehen oder anderen modernen Medien kannte und dennoch nicht eindeutig zuordnen konnte. Der Abt und einige andere ältere Mönche führten dort Übungen aus, die mich sehr an Tai Chi erinnerten und dennoch anders wirkten, als ich sie in Erinnerung hatte. Die gleichmäßigen und synchron ausgeführten Bewegungen sahen wundervoll kraftvoll, elegant und beruhigend aus. Mir fiel auf, dass einige dieser Mönche schon recht alt zu sein schienen und dennoch wirkten ihre Bewegungen jung und elegant.
Ich hatte einige dieser Männer am Vortag in ihrer zeremoniellen Mönchstracht gesehen, doch nun hatten sie auch diese locker sitzende, leichte, graublaue Kleidung angelegt, die auch alle anderen Bewohner dieses Klosters zu tragen schienen. Aber obwohl sie sich äußerlich nun nicht mehr von den anderen unterschieden, strahlte diese Gruppe etwas aus, das man mehr fühlte, als man es sah. Eine Aura der Ruhe und Kraft umgab sie und jedes Gesicht spiegelte inneren Frieden wieder. Besonders der Abt zog meinen Blick magisch an. Die Leichtigkeit, mit der er diese schwungvollen Bewegungen ausführte, schien im krassen Gegensatz zu seinem Alter zu stehen. Eine unbändige Kraft ging von ihm aus und man kam nicht umhin, diesem Mann Respekt zu zollen.
Als wir die Gruppe dieser Männer erreicht hatten, unterbrach der Abt seine Übungen und ging mit uns einige Schritte zur Seite. Er bedeutete den anderen fortzufahren, und nachdem er einige Worte mit meinem jungen Begleiter gesprochen hatte, gab er mir mit Worten und Zeichen zu verstehen, dass ich das, was er mir vorführte nachahmen sollte. Ich versuchte es, doch bei mir sah das bei Weitem nicht so leicht und elegant aus. Meine Bewegungen waren ungleichmäßig und eckig, sie kosteten mich zu viel Kraft und Schweiß, denn ich verstand meinen Körper noch nicht und konnte meinen Geist nicht freimachen.
Auch meine Atmung war den Bewegungen nicht angepasst und so kam es, dass ich mich mehr anstrengte als nötig war, und durch diese ungewohnte Betätigung meine Kraft schnell nachließ. Nachdem Wang Lee bemerkte, dass ich nicht von allein meine Fehler erkannte und korrigierte, unterbrach er, ermuntert durch ein Kopfnicken des Abtes, seine Übungen und versuchte mir begreiflich zu machen, was ich falsch machte. Er führte, auf dem linken Bein stehend, mit den Armen und dem rechten Bein, eine Bewegung zum Körper hin aus und atmete dabei ein. Anschließend verharrte er einen Augenblick in der erreichten Position und atmete dann bei der Bewegung vom Körper weg wieder aus. Er führte mir noch einige dieser Bewegungsabläufe vor und nahm dabei seinen Sprachunterricht wieder auf. Es gelang ihm, beides gut zu kombinieren und er brachte mir in diesem Zusammenspiel mit sichtlicher Freude Worte wie einatmen, ausatmen, Arm, Faust, Bein und Fuß bei.
Auf dem Gesicht des Abtes erschien ein herzliches Lächeln und nachdem er Wang Lee kurz in die Augen geschaut hatte, wurden dessen Wangen rot vor Verlegenheit. Anscheinend war dies ein großes Lob für den jungen Mönch und ich wollte dem Abt zeigen, dass er ein guter Lehrer war und gab mir besonders viel Mühe, ruhig und gleichmäßig im Einklang mit meinen Bewegungen zu atmen.
Nach einiger Zeit, meine Arme und Beine wurden langsam schwer von der ungewohnten Betätigung, ertönte ein Gong. Der Abt brach seine Übungen ab, nickte mir und Wang Lee zu, und ging, gefolgt von den anderen Mönchen, in den Tempel. Wang Lee forderte mich auf ihnen zu folgen, doch ich gab ihm zu verstehen, dass ich mich nicht wohl fühlte, so verschwitzt und ungewaschen wie ich war, und dass ich mich erst einmal reinigen wollte. Für einen kurzen Augenblick glaubte ich Enttäuschung und Unverständnis in seinen Augen zu sehen, doch freundlich und geduldig beschrieb er mir mit Gesten, dass außerhalb des Klosters ein Wasserlauf vom Gebirge herabkam, den ich zum Waschen nutzen konnte und so war ich mir am Ende nicht mehr sicher, ob ich mich nicht getäuscht hatte.
Nachdem Wang Lee den anderen schnell in den Tempel gefolgt war, ging ich in Richtung Klostereingang. Gleich außerhalb der Mauern fiel mir ein Trampelpfad auf, der in der Richtung verlief, die mir mein neuer Freund angedeutet hatte. Nachdem ich diesem eine Weile gefolgt war, hörte ich das Plätschern des Wassers, das sich seinen Weg durch den Fels bahnte. Der Pfad endete am oberen Teil eines Wasserbeckens, das ungefähr zehn Meter breit und fünfzehn Meter lang war. Ein kleiner Steg führte dort ins Wasser und endete direkt am Zufluss des Beckens. Der zirka einen Meter breite Bach stürzte an dieser Stelle etwa eineinhalb Meter hinab ins Wasserbecken. Das Wasser war sauber und kälter, als ich es bei diesen Umgebungstemperaturen erwartet hatte. Bald sollte ich auch erfahren, dass an dem kleinen Wasserfall das Trinkwasser geholt und am Rande des Steges die Wäsche gewaschen wurde.
Ich schaute mich kurz um, ob jemand in der Nähe sei und zog mich dann kurz entschlossen aus, um mich zu waschen. Dies gestaltete sich aber schwieriger, als ich gedacht hatte, da der Rand des Wasserbeckens fast an allen Stellen steil, zwei bis drei Meter bis zum Grund der Beckens abfiel. Doch in der Nähe des Abflusses fand ich eine Stelle, die wie eine Plattform in einem Meter Tiefe genügend Platz zum Stehen bot.
Ich stieg in das ungewohnt kalte Wasser und sofort zog sich meine Haut zusammen. Mir stockte kurz der Atem, doch der Drang mich zu reinigen war stärker als der Wunsch, das Wasser sofort wieder zu verlassen. In Ermangelung von Seife oder anderen Hilfsmitteln wusch ich mich lange und gründlich. Als ich aus dem Wasser stieg, bemerkte ich das nächste Problem. Ich hatte ja kein Handtuch, wie sollte ich mich jetzt abtrocknen? Ich streifte das Wasser so gut es ging mit meinen Händen von der Haut und ließ den Rest durch die Sonne trocknen. Aber das pelzige Gefühl und der seltsame Geschmack im Mund störten mich immer noch und ich überlegte, wie ich das beseitigen könnte. Beim Anblick eines Busches kam mir dann ein Gedanke. Ich brach einen kleinen saftigen Zweig ab, franste ein Ende aus und nutzte es wie eine Zahnbürste. Es war zwar langwierig, aber am Ende der Prozedur fühlten sich meine Zähne wieder glatt und sauber an. Nachdem ich mich dann angezogen hatte, fühlte ich mich sehr erfrischt und trat den Rückweg ins Kloster an.
Als ich den Tempelvorhof erreichte bemerkte ich, dass sich die Mönche anscheinend immer noch im Haupttempel aufhielten und vorsichtig, um nicht zu stören, ging ich hinein. Langsam und leise ließ ich mich in der Nähe des Eingangs nieder und schaute mich aufmerksam um. Im selben Moment wusste ich, dass ich nicht so unbemerkt geblieben war, wie ich gedacht hatte. Als ich nach vorn sah, blickte ich direkt in die freundlichen Augen des Abtes, und bei einem Blick zur Seite konnte ich, nicht weit entfernt von mir,