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und Verinnerlichen besteht ein großer Unterschied. Kaum wurde zustimmend genickt, geht meist alles genauso weiter wie zuvor: hektisch. Nun betrachten wir das Leben der Pessimisten, die alles nur negativ sehen, die nur bemängeln was ihnen fehlt oder was sie verpasst haben. Für sie läuft alles schief, alles ist schlecht. Und wenn sie so gar nichts zum Nörgeln mehr finden, dann wird über den Tellerrand hinaus geblickt und nach Fehlern im Leben anderer gesucht, um von den eigenen Problemen abzulenken. Das Leben der Positivdenker verläuft anders: Alles erscheint verträumt, sie springen ohne Sorgen von einer Lebenssituation in die nächste, ohne auch nur an Morgen zu denken. Da ist das Glas nie halb leer, sondern immer irgendwie fast voll. Aus der Traditionellen Chinesischen Medizin kennt man das Yin und Yang, die Gegensätze, die sich gegenseitig perfekt vervollständigen. Himmel und Erde, das Eine kann nur in perfekter Balance mit dem Anderen existieren. So steckt in allem Übel auch immer etwas Gutes! Doch wenn das Gleichgewicht durch fremde Einflüsse plötzlich gestört wird, dann ist es manchmal schwer bis unmöglich, seine innere Mitte jemals wiederfinden zu können.

      Meine innere Mitte und meine Weltanschauung gerieten durch das Stalking völlig aus dem Gleichgewicht, und es dauerte viele Jahre, um diesem Wahnsinn einen Sinn zu geben, um meinen Frieden damit schließen zu können. Diese Erfahrungen möchte ich nun teilen, damit andere nicht die gleichen Fehler machen wie ich, damit andere vielleicht schneller verstehen, sich besser wehren können und hoffentlich rascher in ein normales Leben zurückfinden. Oder einfach nur, um anderen, die sich in dieser Situation befinden, besser zur Seite stehen zu können.

      Schon lange beschäftige ich mich mit dem Gedanken, meine Erlebnisse aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Anfangs war es ein Gefühl von Rache, dass ich die Dinge, die mir so ungerecht vorkamen, öffentlich an den Pranger stellen wollte. Doch würde es das Geschehene ändern können? Würde es irgendetwas an dem durchlebten Unrecht ungeschehen machen? Nein. Die Vergangenheit kann man nicht ändern, so viel ist sicher, aber man könnte vielleicht einen Denkanstoß bieten, damit anderen geholfen werden kann. So lange hatte ich es vor mir hergeschoben. Immer wieder sagte ich mir: „Wenn das alles vorbei ist und ich endlich zur Ruhe gekommen bin, dann schreibe ich ein Buch darüber.“ Doch das war eigentlich nur Augenwischerei. Wer kennt sie nicht, die berühmten aufschiebenden Worte „wenn…, dann…“? Doch wann ist die Zeit für dieses „Dann“ gekommen? Wenn man tatsächlich alles hinter sich gelassen hat? Wenn die Sache hoffentlich irgendwann einmal vorbei ist? Wenn dieses einschneidende Erlebnis das ganze Leben verändert hat und die Folgen niemals wiedergutzumachen sind, kann es denn dann wirklich jemals vorbei sein? Es gibt keinen guten oder schlechten Zeitpunkt, um etwas Geplantes in die Tat umzusetzen. Es gibt nur irgendwann einmal ein: „Nun ist es zu spät.“

      Das Stalking wurde leider immer noch nicht vollständig beendet. Ich beginne also dieses Buch, obwohl das vorgenommene „Dann“ noch nicht vollständig eingetreten ist. Vielleicht, weil ich insgeheim ahne, dass es noch sehr lange dauern kann und vielleicht sogar niemals beendet sein wird, wenn man den Prognosen der Fachleute Glauben schenkt. Doch dazu später mehr. Wie kam es dazu, dass ich ausgerechnet jetzt zu schreiben beginne? Anstoß war ein Bericht über Stalking im Fernsehen, für den man mich kontaktierte und fragte, ob ich bereit wäre, über meinen Fall öffentlich zu sprechen, um auf diese Problematik hinzuweisen. Für die Dreharbeiten suchte das Filmteam gemeinsam mit mir einen Originalschauplatz meines Stalking-Martyriums auf. Obwohl wir noch einige hundert Meter vom eigentlichen Schauplatz entfernt standen und dieser nur in der Ferne zu sehen war, zeigte mir dieser Besuch plötzlich ganz deutlich, wie fest mich das Erlebte immer noch im Griff hatte. Nie hätte ich damit gerechnet, dass mich dieser Besuch so emotional treffen würde. Obwohl zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre vergangen waren, brach ich in Tränen aus und fand mich in einem völligen Gefühlschaos wieder. Mein ganzer Körper zitterte und ich stotterte plötzlich. Mir wurde klar, dass ich bisher nur verdrängt, aber nichts verarbeitet hatte. Das war für mich der Auslöser. Der Zeitpunkt, mich meinen Ängsten zu stellen und mit der Aufarbeitung zu beginnen, um vielleicht irgendwann einmal abschließen zu können. Abzuschließen, nicht zu verdrängen.

      Wenn man vor irgendetwas eine unbeschreibliche Angst hat, so nennt man das eine Phobie. Eine Phobie, also eine schreckliche, lebensbeherrschende Angst, kann man nur verarbeiten, indem man sich ihr stellt und an ihr arbeitet. Doch wie stellt man sich nun den Ängsten des Stalkings? Sucht man den Kontakt zum Stalker, um die Angst vor ihm zu verlieren? Wohl kaum. Dies ist weder empfehlenswert, um dem Stalking zu entkommen, noch sinnvoll, wenn der Stalker zu Gewalt neigt. Die regelmäßigen Begegnungen vor Gericht sind bereits qualvoll genug und können nicht als Angstkonfrontation gewertet werden. Bei Stalking kann man sich mit seiner Angst nicht wirklich auseinandersetzten, man kann sich ihr nicht stellen oder sich desensibilisieren. Dann merkte ich, dass es eine Art der Selbsthilfe sein kann, wenn man sich die schrecklichen Erlebnisse einfach von der Seele redet oder in diesem Fall von der Seele schreibt. So konnte ich das Erlebte in Ruhe verarbeiten, mich mit dem Geschehenen auseinandersetzen und mich auf diese Weise der eigenen Angst stellen. Wenn der Bekanntenkreis diesem Thema überdrüssig geworden ist oder man niemanden damit belasten möchte, wenn sich scheinbar niemand in die tatsächliche Gewalt hineinversetzen kann und stattdessen lieber versucht, alles herunterzuspielen, dann ist Schreiben oft hilfreich. Papier unterbricht nicht, es spielt die Situationen nicht herunter oder witzelt hämisch darüber. Man kann sich einfach alles von der Seele schreiben. Es ist wenig hilfreich, alles stillschweigend in sich hineinzufressen, um niemanden damit zu belasten. Wenn niemand zuhören will, dann ist Papier ein guter Zuhörer. Als ich nun allein mit all der grausamen Gefühlswelt im Magen im stillen Kämmerlein saß und über Möglichkeiten grübelte, wie ich diesem Alptraum endlich entkommen könnte, so kam mir immer wieder der Gedanke, dass ich über all dies berichten muss, es in die Welt hinausschreien oder auch darüber schreiben will. Jetzt ist es soweit, und ich fülle einfach meine ersten Zeilen.

      „Das ist ja wie im Film, nur schlimmer.“ Diesen Satz höre ich häufig von Mitfühlenden, die kaum glauben können, dass so etwas in Deutschland, einem angeblich so zivilisierten, sozialen und fortschrittlichen Land, tatsächlich möglich sein kann. Das Rechtsbild ist erschüttert und obendrein auch der Glaube an die Rechtsordnung und den Schutz durch den Staat. Das kann doch alles nicht wahr sein, müsste man meinen. Doch leider habe ich am eigenen Leib erfahren, dass in Deutschland der Täter mehr Schutz und Zuwendung erhält als die Opfer. Dieser Umstand lässt Wut und Trauer vermuten: Wut über das Ausgeliefertsein gegenüber dem Täter und Trauer über die Hoffnungslosigkeit. Doch genau daraus schöpfe ich plötzlich eine ungeahnte Kraft, Kampfgeist und Selbstbewusstsein. Ich weiß, dass es unzähligen anderen Opfern ebenso ergeht wie mir. Viele von ihnen sind letztlich derart am Boden zerstört, dass Selbstmordgedanken den Tag beherrschen. Der Tod scheint an düsteren Tagen der einzige Ausweg aus diesem grausamen Stalking zu sein. In den Tod kann und wird mir der Stalker nicht folgen, wenn er mich auch sonst überall findet und ich keinen Frieden mehr vor diesem Unmenschen finde. Dann erscheint der Tod wie eine verlockende Befreiung. Wie verzweifelt man aufgrund des Psychoterrors denken und handeln kann, wird in diesem Buch deutlich. Die Zahlen hierzu erschrecken mich. Hier muss sich dringend etwas ändern! Das Leben ist kostbar, und niemand sollte es sich von einem Stalker entreißen oder sich selbst dazu hinreißen lassen, es zu beenden. Meine Zeilen werden Gefühle wie Fassungslosigkeit, Wut, Angst, Verzweiflung und sogar Hass widerspiegeln. Doch ich möchte auch Mut und Kraft für eine neue Sichtweise und einen Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt mitgeben. Ob es ein Happy End gibt? Das bleibt offen. Was überhaupt bedeutet „happy“ in diesem Zusammenhang? Wie kann Stalking jemals „happy“ enden?

      Mein Buch ist kein Roman, keine Gruselgeschichte und kein Thriller, sondern die Erzählung einer unfassbaren, aber wahren Geschichte, die meiner Meinung nach eine Beschämung für unser deutsches Rechtssystem ist.

      Wie alles begann

      Nie vergesse ich dieses unglaubliche Gefühl, als wir staunend über den Gartenzaun gebeugt dieses wunderschöne, kleine Häuschen betrachteten. Wie ein Kind, das zum ersten Mal einen Freizeitpark besucht, so aufgeregt breitete sich das Kribbeln im Bauch aus. Es war das erste Haus, welches uns beiden, meinem Freund Frederik und mir, auf Anhieb gefiel. Bei den anderen Häusern hatten wir eifrig über Vor- und Nachteile diskutiert und die Umgebung abgewogen. Bei diesem Haus war einfach alles anders. Es fiel uns schon im Vorbeifahren positiv auf; ein kleines,

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