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belegen. Das fand ich höchst interessant und konnte einige Erkenntnisse auf mich beziehen. Das heißt, ich entdeckte in meiner Psyche anormale Züge: Nun, das ahnte ich schon längst. Pathologisch sind sie, die bedenklichen Züge, wohl nicht, aber ich empfinde tatsächlich das Bedürfnis, Sicherheit in der Einhaltung meiner Routine zu bekommen. Ich habe darüber nachgedacht, wie das Bedürfnis entstanden ist, und ich habe mir eine Antwort zurechtgelegt: Während meiner ganzen Kindheit und Jugend lebte ich allein mit zwei Eltern, die sich häufig bis aufs Blut stritten. Ich hatte fast ständig Angst, sie könnten sich trennen. Damals erschien mir eine solche Trennung als der Untergang meiner Existenz. Ich fing an, mir einzubilden, die Eltern würden sich vertragen, wenn ich bestimmte Routineregeln beachtete. Viele hatten mit körperlicher Ertüchtigung zu tun. Hielt ich meine Regeln ein, fühlte ich mich besser.“

      „Hattest du keine Geschwister?“ „Ja, drei, aber sie waren erheblich älter als ich und schon aus dem Haus, als ich noch klein war.“ „Wir kommen deinen Schwächen vielleicht auf die Spur. Da ist noch etwas, dein Hang zu Perfektionismus. Schon wie du sprichst, flößt mir und einigen Kommilitonen Angst ein. Das weiß ich, weil das Thema ein paarmal unter einigen meiner Bekannten Gesprächsstoff war. Du sprichst Deutsch und Englisch, als säße ein Wächter in deinem Kopf, der nur darauf wartet, beim geringsten Verstoß gegen Grammatik- oder Stilregeln deinem Gewissen eins überzubraten. Wenn du bei einer saloppen Formulierung von irgendwelchen Regeln abweichst, weiß man ganz genau, dass du das absichtsvoll tust. Jetzt ahme ich dich ein wenig nach. Nichts für ungut.“

      „Weißt du was, Jennifer, mir raucht der Kopf. Das Gespräch heute Abend überfordert mich: Zuerst die Marie-Analyse, dann die Marvin-Beichte und schließlich die schonungslose Entblößung meiner verkorksten Seele. Jetzt kann ich nicht mehr. Vielleicht nehmen wir morgen Abend meine Mängel aufs Korn und mich noch einmal in die Mangel, aber jetzt bin ich nur noch zu körperlichen Leistungen fähig, wie zum Beispiel erotischen Vergnügungen.“ „Weißt du was, mein Lieber, du kannst nicht nur gut kochen, du verstehst es auch, deinen harten, muskulösen Körper vortrefflich einzusetzen. Keine Angst, ich höre mit meiner Persiflage auf. Essen wir die vorzügliche Nachspeise zu Ende auf und gehen wir danach gleich ins Bett, schon bevor du abgewaschen hast, wenn du den gravierenden Verstoß gegen deine Routineregel verkraften kannst.“ „Dein Angebot verführt mich zu der von dir vorgeschlagenen Sünde, für die ich morgen Buße tun werde, indem ich drei zusätzliche Runden um den Sportplatz zurücklegen werde. Können wir jetzt mit dem Sprachquatsch aufhören?“ Lachend sagte Jennifer: „Einverstanden. Schreiten wir zur Tat!“

      Vier Tage später erwartete Rick Jennifer wieder am frühen Abend. Diesmal hatte er einen Schafskäseauflauf sowie einen grünen Salat zubereitet und ein Zwiebelbaguette mit Kräuterbutter bestrichen, auf das er etwas Knoblauchsalz gestreut hatte. Darüber hinaus hatte er ein Püree aus Pfirsichstücken, einem geriebenen Apfel und Joghurt verrührt. Er wartete nur noch, dass Jennifer ihr Reinigungsritual im Bad beendet hatte, um die Baguettehälften in den Ofen zu schieben. Als sie aus dem Bad trat, rief sie aus: „Das riecht wieder einmal herrlich. Womit sollen meine Geschmacksknospen heute Abend verwöhnt werden?“ „Le garçon de la maison vous propose ce soir une casserole de feta, Madame.“ „Rick, hör doch mit dem Französischscheiß auf! Du weißt doch, dass Französisch nicht meine Stärke ist.“ „Votre souhait est ma commande. Das ist wohl ein Germanismus.“ Rick holte die Baguettehälften und den Auflauf aus dem Ofen und stellte sie auf den Tisch. „Guten Appetit, ma mignonne. Da du Wilhelm Meister in- und auswendig kennst, wirst du das wohl verstehen, meine Süße.“

      „Rick, du bist heute Abend richtig aufgedreht. Hast du heute zu wenig Sport getrieben?“ „Im Gegenteil! Heute Morgen lief ich wie üblich meine Runden und heute Nachmittag traf ich mich mit Janice, dem kräftigen Mann-Weib, um etwas Tennis zu spielen. Als wir aufhörten, verabschiedete ich mich von Janice, die mich wieder einmal geschlagen hatte, und wollte den Spielplatz gerade verlassen, als Marie Hartmann mir entgegenkam. Sie fragte mich, ob sie mich auf dem Nachhauseweg begleiten dürfe. Ich erwiderte, sie könne selbstverständlich neben mir herlaufen, wenn sie den Gestank auszuhalten glaube. Ich hatte nämlich sehr stark geschwitzt. Sie meinte, ich röche gut. So liefen wir zusammen über das Universitätsgelände. Sie wollte wissen, ob wir wieder eine Aufgabe gemeinsam bearbeiten könnten. Sie habe erfahren, dass während der morgigen Grass-Veranstaltung Professor Pluster eine interessante Aufgabe vergeben werde. Es gehe darum, die Charakterisierung von Alfred Mazerath in dem Roman „Die Blechtrommel“ zu analysieren und dabei Grass‘ Intention herauszuarbeiten. Sie habe die Zusammenarbeit mit mir sehr anregend gefunden und würde gern noch eine Aufgabe mit mir zusammen bearbeiten. Jennifer, du siehst, wie vertrauenswürdig ich bin. Ich verheimliche dir nichts.“ „Und was hast du auf ihr Ansinnen erwidert, mein treuer Lebensgefährte?“ „Ich sagte ihr, ich müsse mir überlegen, ob ich glaubte, etwas mit der Aufgabe anfangen zu können. Ich würde heute Abend einige Passagen in dem Roman noch einmal lesen und dann entscheiden. So verabschiedeten wir uns voneinander und ich kam direkt nach Haus, zu meiner süßen Jennifer.

      Wie steht’s? Wollen wir heute Abend wieder ein bisschen naschen?“ „Nein, heute geht das nicht. Tante Meni ist bei mir eingezogen und wird wohl sechs oder sieben Tage bleiben.“ „Oh, das tut mir leid. Ich hoffe, du hast diesmal keine so starken Bauchkrämpfe wie das letzte Mal. Wenn wir aufgegessen haben, werde ich dir den Rücken wie das letzte Mal massieren. Vielleicht wird das helfen.“ „Rick, du bist so lieb. Ich glaube, ich muss weinen.“ „Unsinn. Das sind die Hormone, die bei dir verrückt spielen. Darf ich dir noch etwas von dem Auflauf auf deinen Teller tun.“ „Ja, bitte. Tante Meni verdirbt mir keineswegs den Appetit, im Gegenteil. Und der Auflauf schmeckt wirklich vorzüglich.“ „Nun ist mein Selbstwertgefühl gegen die Decke geprallt.“

      „Aber, erzähl mal, Rick. Was wirst du Marie Hartmann morgen sagen?“ „Das weiß ich noch nicht. Ich lese heute Abend nach der Rückenmassage noch einmal einige Textstellen in dem Roman durch und warte dann ab, was Pluster morgen verkündet. Mal sehen.“ „Das klingt verdächtig Wischiwaschi. Aber das musst du wissen. Ich glaube immer noch, dass Marie Hartmann dich als leckeres Opfer auserkoren hat.“

      Rick stand auf und holte die Nachspeise aus dem Kühlschrank, stellte die große Schüssel sowie zwei Schalen auf den Tisch und legte zwei Dessertlöffel neben die Schalen. „So, nachdem wir den Auflauf verspeist haben, tun wir uns an dem süßen Püree gütlich.“ „Rick, du lenkst wieder ab. Was wirst du Marie Hartmann sagen?“ „Du, das weiß ich wirklich noch nicht. Mir wird bestimmt irgendeine Ausrede einfallen. Mach dir keine Sorgen.“

      Kapitel 3: Marie Hartmann

      Am nächsten Tag war die Sitzung des Grass-Seminars gerade zu Ende gegangen, und als Rick aufstand und zur Tür laufen wollte, hielt Marie Hartmann ihn am Arm fest: „Langsam, hübsch langsam, hetz er nicht so, er macht mich ganz verrückt mit seinem Gehetze. Das ist bestimmt falsch zitiert, aber du erinnerst mich gelegentlich tatsächlich an Woyzeck. Wenn die Sitzungen vorbeisind, stürmst du davon, als ob der Leibhaftige hinter dir her wäre. Hast du immer so viel zu erledigen, dass du ständig in Eile bist?“ „Das ist wohl Gewohnheit, weißt du. Jahrelang musste ich neben dem Studium arbeiten um genug Geld zum Leben zu verdienen. Ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass mir jeden Monat Geld überwiesen wird, obwohl ich nicht arbeite.“

      „Es ist höchste Zeit, dass wir das ändern. Willst du mitkommen? Ich lade dich zu einem Plausch ein. Ich kann dich mit Granatapfelsaft bewirten. Dass du Granatapfelsaft gern trinkst, hat sich herumgesprochen. Du giltst als komischer Kauz, weißt du? Dass du nichts Alkoholisches trinkst, finden einige sehr schräg. Und dein Sportfimmel kommt einigen urkomisch vor.“ „Na, damit werde ich mich wohl abfinden müssen. Das ist die geringste meiner Sorgen.“ „Und was ist? Kommst du mit mir auf einen Plausch mit? Ich würde dich gern näher kennen lernen und außerdem müssen wir unsere Zusammenarbeit planen.“

      „Das wäre reizend, aber ich finde den Tambourmajor, mit dem du zusammenwohnst, ziemlich einschüchternd, um im Bild zu bleiben. Er ist imposant und geradezu furchteinflößend.“ „Ach, du meinst den Rechtsanwalt Lewis Mercer. Der Steueranwalt ist zurück in seine Wohnung nach Denver gezogen. Die meisten seiner Kunden hat er dort. Er hat bei mir nur ein kurzes Gastspiel gegeben. Es wurde

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