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philosophiert, man habe endlich die Sprache Gottes verstanden und in spätestens 20 Jahren werde die Formel für Alles alles erklären und der Endpunkt des naturwissenschaftlichen Strebens nach Kenntnis von den Gesetzen der Natur sein.

      Stephen Hawking hat das schon zweimal im Abstand von 20 Jahren vorausgesagt. Zuletzt verkündet er, die M-Theorie sei der Kandidat für eine vollständige Theorie des Universums. Sie werde der erfolgreiche Abschluss der vor 3000 Jahren begonnenen Suche sein.

      Dazu muss man vielleicht mit dem gesunden Menschenverstand einwerfen, dass die M-Theorie gar keine Theorie ist, sondern die Vermutung, die etwa 10^500 möglichen Varianten der Stringgleichungen könnten auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen sein, eben dem M, was immer das auch sein mag.

      (Nicht einmal die Bedeutung dieses „M“ konnte von den Physikern bisher aufgeklärt werden. Man vermutet, es sei ein auf den Kopf gestelltes W und stehe für Witten. Ed Witten war es nämlich, der die M-Theorie als eine mögliche Basis-Theorie der verschiedenen Stringtheorien verkündete. Ein Physiker vermutete, dass M stehe für Masturbation, denn die Stringphysik sei ja wohl nichts anderes.)

      Der Abschluss einer 3000jährigen Suche also lediglich eine Vermutung, es könne da etwas geben, was alles erklärt? Da war die Menschheit vor 3000 Jahren auch schon. Das jetzt zur vollständigen und endgültigen Lösung aller Fragen zu erklären, geht am gesunden Menschenverstand tatsächlich weit vorbei.

      Aber die Physiker grämt es offensichtlich nicht. Nahezu täglich verkündet irgendwo irgendwer in irgendeinem wissenschaftlichen Zusammenhang irgendeine wichtige Erkenntnis, die uns so nahegebracht wird, als wäre das nun höchstens noch das vorletzte Steinchen zur Vervollständigung des Mosaiks, das uns die wahre Natur der Natur zeigt.

      Der amerikanische Wissenschaftsjournalist John Horgan brachte es auf den Punkt:

      “Ich vermute, dass diese Geschichte, die die Wissenschaftler aus ihren Erkenntnissen zusammengetragen haben, dieser moderne Schöpfungsmythos, hundert oder sogar tausend Jahre lang unverändert Bestand haben wird. Wieso? Weil er wahr ist. Zudem ist es in Anbetracht der bereits erzielten Fortschritte und der physikalischen, gesellschaftlichen und kognitiven Grenzen, die weiteren Fortschritten entgegenstehen, unwahrscheinlich, dass die Wissenschaft den vorhandenen Fundus an Erkenntnissen noch erheblich erweitern wird. Es wird in Zukunft keine Entdeckungen mehr geben, die in ihrer Tragweite mit den Enthüllungen Darwins oder Einsteins oder auch Watsons und Cricks vergleichbar wären.”

      (John Horgan; An den Grenzen des Wissens; Fischer Taschenbuch Verlag 2000 / Seite 35)

      Da ist es also wieder mal, das Tausendjährige Reich, hier als das der modernen Naturwissenschaft und ihrer „Schöpfungslehre“. Kann ja sein, dass dieses naturwissenschaftliche Weltbild tausend Jahre Bestand haben wird. Aber wenn, dann nicht weil es wahr ist, sondern weil der Menschheit unglücklicherweise tausend Jahre lang nichts Besseres einfällt oder das Bessere sich nicht durchsetzen kann.

      Das Weltbild des Ptolemäus mit der Erde im Mittelpunkt und den verwirrenden Epizykeln herrschte mehr als 2000 Jahre. Warum? Weil es wahr war?

      Ja gut, tatsächlich scheint die Naturwissenschaft unserer Tage ein Bild von der Welt zu zeichnen, das sich sehr prinzipiell von dem unterscheidet, was uns in früheren Zeiten über die Welt außer uns dargestellt wurde. Ganz offensichtlich hält sich die Naturwissenschaft nicht mit naturphilosophischen Vermutungen auf, stochert auch nicht mit alchemistischem Eifer im Nebel zufälliger Erkenntnisse herum, verkündet stattdessen stolz, in prinzipieller Distanz zur mystischen Verklärung der Natur als einer göttlichen Ordnung zu sein. (Letztere Feststellungen sind freilich mitunter anzuzweifeln, wie ich noch zeigen werde.)

      Sie betreibt die Suche nach den Zusammenhängen und Bedingungen der in der Welt stattfindenden Prozesse, nach der Herkunft und der Rolle von Objekten und Ereignissen in der Natur, nach der Erklärung von Natur systematisch und akribisch. Die moderne Naturwissenschaft, besonders die Physik, macht Eindruck, denn sie scheint ganz auf die objektive Außenwelt gerichtet zu sein, auf die Gesetze der Natur, die alles regeln, die Ursache-Wirkungsfolgen im Griff haben und keine Ausnahmen oder Abweichungen zulassen.

      Und wo das offensichtlich nicht der Fall ist, helfen Wahrscheinlichkeitsrechnungen und nichtlineare Mathematik über die schlimmsten Klippen hinweg. Die moderne Naturwissenschaft gibt sich alle Mühe, ihre Erkenntnisse nicht als anwendungsferne Modelle, platonische Gespinste, geistige Trugbilder oder intellektuelle „Wolkenkuckucksheime“ erscheinen zu lassen, sondern als „handliches“ Wissen darzubieten.

      Tatsächlich ließ sich vieles von dem, was die Naturwissenschaft uns offenbarte, ganz praktisch anwenden, führte zu völlig neuen technischen Anwendungsmöglichkeiten, zu neuen Technologien und zu neuen Produkten, die das Leben vieler Menschen sehr prinzipiell veränderten. Das machte die Naturwissenschaft so glaubwürdig. Wenn sich Erkenntnisse dermaßen vielfältig und wirksam anwenden lassen, müssen sie bedeutsam und richtig sein. Daher ist es kein Wunder, dass die moderne Naturwissenschaft uns ein Weltbild vorgibt, an dem sich kaum zweifeln lässt.

      Nun ja, auch die alten Ägypter hatten ihr Weltbild. Es war zwar stark mythologisch definiert, aber durchaus auch mit geprüftem Wissen und exakten Beobachtungen unterlegt. Vor allem aber waren die Menschen von seiner Richtigkeit überzeugt, so überzeugt, dass sie vielfach bereit waren, ihr Leben dafür hinzugeben.

      Und die alten Griechen zweifelten wohl auch nur wenig an dem, was ihre Naturphilosophen ihnen an Welterklärungen lieferten.

      Hatte ich das über viele Jahrhunderte unantastbare geozentrische Weltbild des Ptolemäus schon erwähnt?

      Und dass sich aus Schöpfungsmythen religiöse Weltbewegungen entwickelten, die nicht nur Gutes taten, ist hinreichend bekannt.

      Zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft etabliert sich ein für die jeweilige Gesellschaft und ihre Zeit typisches Bild von der Welt. Es ist für lange Zeit dominierend, häufig durch religiöse Unantastbarkeit geschützt. Die Menschen sind in ihrer Mehrheit von seiner Richtigkeit überzeugt. Erst nachfolgende Gesellschaften und Generationen erkennen dann, nicht selten widerwillig und in einem schmerzlichen Prozess, die Denkirrtümer, Schwächen und Fehler, die dem Weltbild zu Grunde lagen, auch die Gefährlichkeit der Denkrichtungen und Handlungsmotive, die von ihm gestützt oder gefordert wurden.

      Aus historischer Sicht ist kein Grund erkennbar, der uns verpflichten sollte anzunehmen, das von der gegenwärtigen Naturwissenschaft verbreitete Weltbild sei nun das vollständige, endgültige und endlich auch richtige. Man muss weder Prophet noch Nörgler sein, um mit Überzeugung verkünden zu können: Auch das Weltbild unserer Zeit, mit dem wir die Natur betrachten, ihre Herkunft und Entwicklung einordnen und uns die Phänomene und Erscheinungen erklären, ist nur ein Weltbild in der Zeit. Es ist keine ewige Wahrheit, es wird korrigiert und gestürzt werden und neuen Sichten und Denkweisen platz machen müssen.

      Das mag den derzeitigen Naturwissenschaftlern fremd vorkommen, sie mögen es bestreiten oder weit von sich weisen, aber sie können die Entwicklung von Denken und Wissen nicht verhindern, wohl aber es befördern. Sie müssen sich nur entschließen, was sie diesbezüglich wollen: An Paradigmen festhalten, auch wenn Zweifel angebracht sind, oder ihre eigenen Erkenntnisse, Modelle und Denkmuster immer wieder kritisch prüfen, gegebenenfalls bezweifeln.

      Vielleicht aber lag Michelson damals genau richtig und wir interpretieren ihn nur falsch. Röntgenstrahlen, Radioaktivität, Elektron, Plancksches Wirkungsquantum, allgemeine Relativität, Quantenphysik, Urknall, Quarks, Strings, Gene, Doppelhelix, Micro-RNA und noch manches andere in der modernen Naturwissenschaft sind ja tatsächlich Entdeckungen „hinter dem Komma“. Das heißt, es sind Modelle von Objekten und Vorgängen in sehr viel kleineren Dimensionen, als wir sie mit unseren sinnlichen Wahrnehmungen zu erfassen vermögen.

      Größenordnungen von 10^-7 bei der magnetischen Feldkonstante des Vakuums, von 10^-10 cm oder 10^-13 cm bei den Comptonwellenlängen von Elektron, Proton und Neutron, 10^-19 bei der Elementarladung, 10^-21 beim Planck‘schen Wirkungsquantum, 10^-33 cm bei der Planck‘schen Elementarlänge sind die schon fast selbstverständlichen Dimensionen, in denen die heutige Physik, vor allem Quantenphysik und Stringtheorien ihre Modelle ansiedeln.

      Und

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