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einzelne Mensch, unabhängig seines Alters und seiner Herkunft, seiner Möglichkeiten und seiner Ambitionen, macht sich seine Vorstellungen über die Welt, malt sich selbst sein individuelles Weltbild. Es ist mitunter in erschreckender oder auch nachvollziehbarer Ausschließlichkeit auf Bankkonto und Karriere, den Fußballverein oder das TV-Programm, die Eckkneipe oder das andere Geschlecht fixiert, manchmal schon auf einen ferneren Horizont des Daseins und der Verantwortung dafür gerichtet oder erhebt sich sogar in die unermesslichen Regionen des Wissenschaftlichen und Philosophischen – oder es ist von allem etwas und in nichts wirklich viel.

      Es kann von der Naturwissenschaft beeinflusst sein, aber auch von Religion, Philosophie oder Kunst, von den Erfahrungen des alltäglichen Erlebens oder von der Suche nach dem Unüblichen. Es kann orientiert sein an den maßstabsetzenden Werken der großen Denker und den von ihnen propagierten Werten und Verhaltensprämissen oder an den Nachrichten- und Argumentationsschnipseln der Medien. Es kann geprägt sein von der unbändigen Lust auf Neues wie von der Bequemlichkeit der Aneignung des gerade nur Nötigsten.

      So oder so oder noch anders: Wir müssen uns ein Bild von der Welt machen, denn wir wollen uns schließlich in ihr zurechtfinden und uns gut mit ihr stellen, damit sie gut zu uns ist.

      Wir müssen wissen, wie wir zu Nahrung, Kleidung, Bildung, natürlich auch zu Getränken kommen, wo wir wohnen können – und das Auto parken –, ob unsere Arbeitsplätze noch sicher sind, wie wir überhaupt unsere Lebensbedingungen sichern, möglichst sogar verbessern; wer und was uns dabei hilft, wer und was uns daran hindert, wer unsere Freunde sind, wer nicht; was unser Dasein gefährdet; wie wir gesellschaftliche Entwicklungen und Vorgänge be- oder verurteilen sollen, wie wir das einzuordnen haben, was Politik genannt wird; ob die CDU christlich ist oder diabolisch, die CSU sozial oder bayrisch, die Grünen grün oder farblos und die Linkspartei links oder nur linkisch; was wir von dem zu halten haben, was uns die Medien tagtäglich einhämmern, seit einiger Zeit sogar, ob und wie wir den Unsinn im Internet von dem trennen können, was uns nützliche Information sein kann.

      Es ist auch hilfreich zu wissen, wie wir aktuelle und potentielle Sexualpartner beeindrucken und womit wir lästige Konkurrenten ausschalten können, was eine Steuererklärung ist und wie man sie möglichst vorteilhaft – für sich – ausfüllen kann und sich trotzdem so fühlen darf, als wäre man den Kindern noch ein einsam leuchtendes Vorbild.

      Jeder von uns weiß aus hinreichend eigener Erfahrung, wie schwierig das alles ist, wie oft wir uns irren, etwas völlig falsch einschätzen, uns tölpelhaft unsinnig verhalten, schweigen, wo wir schreien sollten, uns zu Wort melden, wo wir unseren Denkunsinn besser für uns behalten hätten, und wie schnell wir in Krisen – persönliche, berufliche, landesweite oder gar globale – hinein stolpern können.

      Aber ohne irgendein Bild von der Welt ist der Mensch nicht überlebensfähig. Es ist die Basis für Aktivsein, für Orientierung in einer von seinem Willen unabhängigen Außenwelt, für die Bestimmung der Zielrichtungen und der Art seines Handelns.

      Über Jahrtausende konnten allerlei Mythen und Märchen verschiedene Bilder von der Welt malen, die für manche Zwecke brauchbar, für viele Menschen auch hilfreich waren oder noch immer sind.

      Aber wir sind nun mal Vertreter der stolzen Gattung Homo sapiens sapiens. Als weise Menschen sollten wir die Welt nicht nur empfinden und erleben, nicht unbedingt nur glauben, sondern auch wissend verstehen. Wir wollen daher schon über den Alltags-Tellerrand hinausschauen, wollen unseren Blick weiten und unsere Kenntnisse vertiefen, wollen wissen, wie unsere Welt denn eigentlich beschaffen ist, wie die Dinge außer uns funktionieren, was da in den Tiefen des Universums und der Materie vor sich geht.

      Das oben angeführte Bemühen, mit der Welt einfach nur klarzukommen, kennzeichnet im Prinzip ja auch die Tierwelt – Steuererklärung, Internet, CDU/CSU und Linkspartei mal links liegen gelassen. Auch Tiere wollen Nahrung zu sich nehmen, brauchen einen sicheren und warmen Schlafplatz, wollen sich fortpflanzen, lassen Muskeln spielen oder versuchen mit äußeren Attributen zu imponieren, schmieden Allianzen, mobben andere Rudelmitglieder, ordnen sich unter oder wollen Leithirsch oder Silberrücken sein. Da sind Tiere auch nur Menschen – oder umgekehrt.

      Aber weiser als Esel oder Affe wollen und sollten wir schon sein. Es ist daher nicht nur Neugier, nicht nur geistiger Übermut, auch nicht nur Luxus, wenn wir uns dafür interessieren, was es außerhalb unseres unmittelbaren Erlebens noch so alles Wichtiges gibt in der Welt. Es kann unseren Blick weiten, uns weiser und reifer machen, einsichtiger und souveräner; es sollte uns nicht gläubiger, wohl aber ehrfürchtiger und bescheidener machen.

      Also beschäftigen wir uns auch mit den Fragen, woraus die Welt besteht, wie sie entstanden ist, wie sie sich entwickelt und wohin. Wir wollen das genauer und verlässlicher wissen, verstehen, geistig nachvollziehen können. Wir stellen uns deshalb Fragen nach der Herkunft der Welt, nach den dem Universum zugrunde liegenden Zusammenhängen und Ordnungsprinzipien, nach dem Wie und Warum und danach, warum es überhaupt etwas gibt und nicht nichts – manchmal auch schon, was besser wäre.

      Schließlich beschäftigt uns auch die spannende Frage, warum es uns gibt, woher wir kommen und wohin wir gehen. Gut, bezüglich Letzterem wollen einige nur wissen, wie viel Kohle dabei zu machen ist und andere, was sie dazu anziehen sollen. Aber es gibt auch viel ernsthaftes Bemühen, zu verstehen, wie die Natur denn eigentlich beschaffen ist, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält – oder auseinander treibt.

      Die Wirklichkeit sieht anders aus als die Realität. Dieser Satz wird dem Ex-Kanzler der Deutschen Republik, Helmut Kohl, zugeschrieben. Ob er ihn tatsächlich formuliert hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Wahrscheinlich diente der Satz und seine Zuordnung mehr dem Zweck, Intellektuellen und solchen, die es gern sein möchten, Gelegenheit zu geben, sich lustig machen und ihren überlegenen Geist demonstrieren zu können.

      Es passt mir nicht und viele Intellektuelle wird es entsetzen, aber wenn Kohl den Satz aussprach, könnte das im Sinne der modernen Physik von weisem Durchblick zeugen. Tatsächlich gibt es Wissenschaftler, die die Begriffe Wirklichkeit und Realität unterschiedlich verwenden. Sie definieren die Wirklichkeit als alles das, was der Mensch als seine Lebenswelt wahrzunehmen imstande ist, was ihn als die ihm sinnlich zugängliche Umwelt umgibt, von der er sich klare Vorstellungen machen, vor allem als das wirklich Existierende erleben kann.

      Außer dieser, sagen wir mal, „Physischen Zugangswelt“, also der subjektiv zugänglichen, empfundenen und verarbeiteten Welt aber gibt es etwas, was außerhalb dieser Subjektivität existieren muss. Das nennen sie dann Realität.

      Diese Differenzierung hat einen in Grenzen nachvollziehbaren Hintergrund. Schließlich gehen wir mit Überzeugung und belegt durch Tatsachen davon aus, dass die Welt schon existierte, bevor der Mensch auftauchte. Auch ist für die meisten von uns die Überzeugung selbstverständlich, dass es auch außer unserer individuellen Existenz ungezählte Objekte und Prozesse der Natur gibt, von denen weder der einzelne Mensch noch die Menschheit in der Gesamtheit ihrer räumlichen und zeitlichen Existenz je auch nur ein Zipfelchen „zu Gesicht“ bekommen werden. Das ist die objektive Außenwelt.

      Der Mensch als Subjekt bewegt sich in einer Außenwelt und steht zu ihr in Beziehung. Jeder Mensch sieht, hört, schmeckt, riecht, spürt die Welt außer ihm, macht mit ihr und in ihr seine Erfahrungen, lernt mit ihr umzugehen und leitet daraus Erkenntnisse, Weisheiten, Wahrheiten und Vorstellungen über die Zustände und Zusammenhänge der Außenwelt und seiner Rolle darin ab. Die Summe dessen ist das, was wir als gesunden Menschenverstand ansehen und was wir auch in der Beurteilung einzelner Vorgänge als Maßstab setzen.

      Guten Gewissens hält der Mensch das für verlässlich, denn es entspricht ja dem, was er selbst erleben durfte, ertragen musste, beobachten konnte oder von anderen erfahren hat. Und doch ist der Sogenannte, also das, was sich der „gewöhnliche“ Nichtwissenschaftler so vorstellt und für wirklich gegeben oder logisch hält, das muss man anerkennen, schon eine recht trügerische Sicht. Was wir gewöhnlichen Sterblichen so oder anders als Welt wahrnehmen und empfinden, ist nämlich etwas, was die gelehrten Naturerklärer verächtlich, aber nicht unberechtigt, als nur naiven Realismus bezeichnen.

      Das

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