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wurde eines klar: Die alten Mythen und das, was gerade geschah, hingen miteinander zusammen. Bloß wie? Es wurde Zeit, in die Fußstapfen von Abraham Lincoln dem Vampirjäger zu treten. Wir mussten das Rätsel lösen, damit er uns den echten Lex wiedergab.

      Die Tage des Versteckspiels waren gezählt. Wer jagt hier wen? Ich würde Lex’ Köder sein. Doch eine Beute benötigte nun einmal einen außergewöhnlich intelligenten Plan, um ihren Verfolger zur Strecke zu bringen. Zum Glück hatten wir den und Lex wusste nicht, dass wir schon von seinem falschen Spiel wussten. Das verschaffte uns einen Vorteil.

      Der Gewinn

      Es war früher Nachmittag. Der melodische Gong der Klingel ertönte. Jemand stand an der Haustür und der kurze, gekringelte Schwanz von Blair, unserem schwarzen Mops, wedelte in Vorfreude auf die zu erwartende Abwechslung.

      Meine kleine Schwester Fiona, die ich bereits tief ins Herz geschlossen hatte, lief geschwind in den Flur, obwohl sie die Tür nicht öffnen durfte. Mama hatte es ihr verboten, weil sich in den Nachrichten die Meldungen über Verbrecher und Terroristen häuften. Fiona tat es trotzdem.

      Eine freundliche Stimme drang durch das Haus bis zu mir. Mein gutes Gehör ließ mich alles ausgezeichnet verstehen. Die Fremde entpuppte sich als Bellas Mutter. Sie war noch nie da gewesen, seit ich hier wohnte. Interessiert belauschte ich das Gespräch.

      „Ist denn auch dein Bruder da?“, hörte ich die Besucherin fragen.

      Ich legte die Stirn nachdenklich in Falten. Was wollte sie von mir? War etwas Gutes zu erwarten oder war besser Vorsicht angesagt?

      Inzwischen war auch meine Mutter zu den beiden getreten. Sie betrachtete mich ohne jeden Zweifel als ihren Sohn.

      „Wie geht es euch so?“, fragte sie den Gast höflich. Die ungewisse Zukunft der Nachbarsfamilie besorgte sie und natürlich war sie neugierig, wie alles endete. Alle in der Umgebung wussten, dass Bellas Familie seit dem schweren Unfall ihres Vaters mit finanziellen Problemen kämpfte. Durch eine dumme Verwechslung im Krankenhaus hatte er sein linkes Bein verloren und bisher keine Entschädigung erhalten. Sein Arbeitgeber, der Auftraggeber und das Krankenhaus, das den Fehler verzapft hatte, stritten seit Jahren darüber, wer verantwortlich wäre. Jeder wies die Schuld zurück und erklärte die andere Seite für zuständig. Die Gerichte ließen sich Zeit und die Rechtsanwälte freuten sich über steigende Honorare. Für sie war es ein juristisches Tauziehen, für die Betroffenen ging es um die Existenz. Nächste Woche sollte das Haus von Bellas Eltern zwangsversteigert werden, da seit Monaten die Kreditraten nicht mehr bezahlt wurden. Die Familie war bankrott. Wohin würde Bella dann ziehen? Ich hoffte, dass sie in der Nähe eine Unterkunft fand. Mein Herz fürchtete sich vor den Folgen dieser Veränderung.

      „Man kann es kaum glauben, aber wir sind in letzter Sekunde gerettet worden! Es ist ein Wunder, danke Gott!“, plapperte die Nachbarin aufgeregt. Ihre Stimme überschlug sich geradezu. „Holen Sie doch bitte Ihren Sohn, dann erzähle ich die Neuigkeit gleich für alle!“

      Meine Mutter und Fiona riefen gleichzeitig nach mir. Scheinbar arglos, als hätte ich bisher nichts gehört, trat ich aus dem Zimmer. Meine Bleibe mündete in den Flur, der wiederum zum beengten Vorflur des kleinen behaglichen Hauses führte. Die Eingangstür stand noch immer offen. Eiskalte Luft wehte ins Innere.

      „Kommen Sie doch herein“, bot meine Mutter der Nachbarin höflich an. Diese fröstelte schon, da sie keinen Mantel trug.

      „Nein, ich gehe gleich wieder und wollte nur ihren Sohn holen“, wiegelte Bellas Mutter ab und drehte den Kopf zu mir. „Lex, ich lade dich herzlich ein! Mein Mann will sich bei dir bedanken!“

      „Bedanken?“ Mama und Fiona machten verblüffte Gesichter. Ich ahnte jedoch etwas.

      „Wir können es selbst nicht glauben!“ Bellas Mutter sprudelte nur so vor Aufregung. In diesem Rausch hörte man ihren indianischen Akzent besonders deutlich und ich witterte einen süßen Geruch. Das musste Wein sein.

      „Das war eine Rettung in letzter Minute!“, frohlockte sie und blickte selig zum Himmel. Anschließend richtete sie ihren Blick mit der gleichen Frömmigkeit auf mich. „Wir haben gestern im Lotto gewonnen! Alle Zahlen waren richtig, sogar die Zusatzzahl!“

      Meine Mutter wurde blass. „Wirklich?“, flüsterte sie.

      Da ich menschliche Reaktionen mittlerweile sehr gut deuten konnte, bemerkte ich eine Spur von Neid in ihrem Gesicht.

      „Ja, wir haben es wieder und wieder überprüft, ob alles seine Richtigkeit hat und extra auch noch einen Tag gewartet. Schlafen konnten wir zwar nicht, aber inzwischen steht sogar schon die Höhe des Gewinns fest. Bitte erzählen Sie aber niemandem davon!“, bat sie.

      „Juhu!“, rief Fiona und jubelte kindlich. „Jetzt muss Bella nicht fortziehen und kann für immer mit Lex zusammen sein. Er liebt sie doch!“

      Ich wurde puterrot. Diese Kinder! Sie sprach die Wahrheit derart naiv und direkt aus, dass die Mütter sich schelmisch anlächelten. Scheinbar hatte meine Mama nichts gegen eine wohlhabende Freundin ihres Sohnes.

      „Na, so was“, murmelte ich. Meine Überraschung beruhte allerdings mehr darauf, dass ich durch die Ereignisse der letzten Tage nicht an die Lottoziehung gedacht hatte. Andererseits hatte ich gehofft, dass meine Berechnungen sich als wahr herausstellen würden. Ich war schließlich ein mathematisches Genie mit einem fotografischen Gedächtnis. So etwas gab es selten.

      „Komm gleich rüber!“, lud Bellas Mutter mich nochmals ein. „Es gibt Kuchen und Kaffee, alle warten auf dich. Ein Nein kann ich nicht akzeptieren.“

      Ich freute mich, da ich endlich die Chance hatte, Bella wieder richtig nahe zu sein. Sie hatte sich die letzten Tage irgendwie rar gemacht und Wert auf Abgrenzung gelegt.

      „Was hat Lex damit zu tun?“, wollte meine Mutter wissen.

      „Ihr Sohn hat doch meinem Mann bei der Berechnung der Zahlen geholfen! Ich habe das alle nicht ernst genommen, nur mein geliebter Gatte ihm vertraut. Er hat genau diese Zahlen gespielt und gewonnen!“

      „So was geht?“ Meiner Mutter blieb der Mund offen. Gleichzeitig musterte sie mich seltsam. Vermutlich träumte sie schon von ihrem eigenen Gewinn und sah in mir den neuen Familienernährer. Ihr Freund, besser Bettgefährte, also der Onkel Schlachter, konnte ihr ja kein großzügiges Leben bieten. Seine Qualitäten lagen auf einem anderen Gebiet.

       „Da komme ich doch gern vorbei!“, unterbrach ich ihre Überlegungen und warf die Jacke über, um zu Bella zu gehen.

      „Bring mir unbedingt ein Stück Kuchen mit!“, bat Fiona.

      „Na klar, ich gebe deinem Bruder extra ein ganz großes!“, bestätigte Bellas Mutter, bevor ich etwas versprechen konnte. „Und für Sie natürlich auch!“, erklärte sie der meinigen.

      Es waren bloß wenige Schritte bis zum anderen Haus. Wir waren ja Nachbarn.

      Schon als wir die Tür öffneten, wehte uns der süßlich bittere Duft von Kaffee, Kuchen und Sekt entgegen. Da ich erst vor Kurzem hier gewesen war, kam mir alles vertraut vor. Der Vater empfing uns mit dem Tuten einer sich ausrollenden Papierpfeife, die Kinder an Geburtstagen benutzten. Sein ganzes Gesicht strahlte. Er benahm sich wie ein aufgeregter Junge, der ein unerwartetes Geschenk erhalten hatte. Auch Bella lächelte mich herzlich an, als wäre alles zwischen uns klar wie das Wasser unseres Bergbaches. Was war das für ein schöner Augenblick!

      „Da ist ja unser Supergenie!“, rief der Hausherr begeistert und humpelte mit seinem beschuhten Holzbein auf mich zu. Der Champagner war ihm bereits zu Kopf gestiegen, das sah man an den leicht glasigen Augen und der roten Nase.

      Kaum hatte ich einen Fuß über die Türschwelle gesetzt, drückte er mir einen dicken Schmatzer auf die Wange. Dabei traf er fast meinen Mund. Selbst Bella musste ausgiebig lachen. Dabei schwappte etwas Sekt aus ihrem Glas.

      „Wir – haben – gewonnen!“, jubilierte der Vater. „Es war eine deiner Zahlenkombinationen!“

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