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und zwei Geweihe an der Wand fügten der Einrichtung eine archaische Note hinzu.

      „Was gibt es denn so Geheimnisvolles?“, fragte Wyatt nach, kaum dass er im Sessel saß. Cassys Freund kam als ungeduldiger Geradeausdenker gleich zur Sache. Alles musste sofort klar sein, am besten idiotensicher geteilt in Schwarz und Weiß.

      „Wir brauchen eure Hilfe!“, begann Cassy unseren Plan aufzudecken.

      „Aber sicher doch!“, sagte er jovial und knabberte genüsslich an seinen langen Nägeln. „Wozu sind echte Freunde denn da?“

      Sein wortkarger Zwilling nickte bedeutungsvoll und beäugte mich mit gierigen Augen. Wahrscheinlich zog er mich gedanklich aus. Ein Schauer rieselte über meinen Rücken. Stellten sich meine Nackenhaare auf?

      „Doch jeder Freundschaftsdienst hat natürlich seinen Preis“, präzisierte Wyatt in gewohnter Manier. „Und diesen wollen wir endlich einfordern.“

      Er bleckte die Zähne in Cassys Richtung. Wir alle wussten, um was es ihm ging. Er war ein erwachsener Mann und bei denen reagierten die biologischen Bedürfnisse über jede Vernunft. Die beiden ausgewachsenen Kerle gingen einzig deshalb mit uns in eine Klasse, weil sie bei ihrem wahren Alter gewaltig gelogen hatten. Sie nutzten jeden Vorteil gnadenlos aus.

      „Erzähl du!“, wies Cassy mich an.

      „Nein, du kannst das besser!“ Mir war es peinlich, erneut eine Verschwörung gegen Lex anzuführen, der ja seit frühesten Kindertagen mein bester Kumpel war.

      „Okay!“, übernahm die Angesprochene doch wieder das Wort und trank sich mit einem Schluck aus der Bierbüchse etwas Mut an. „Lex ist nicht der, der er zu sein vorgibt“, erklärte sie den Brüdern. „In seinem Körper steckt jemand anders und er macht heimlich Sachen mit Bella.“

      „Welche Sachen?“, Ian machte argwöhnische Augen wie eine Kuh. Er glaubte ja, ein Vorrecht auf mich zu haben.

      „Na ja, Hypnose und so“, ergänzte Cassy.

      „Der Hypnotiseur aus den Black Hills!“ Lachend öffnete Wyatt den Verschluss seines Getränks. Er goss sich die Hälfte des Bieres direkt in den Rachen und rülpste. „Entschuldigung!“

      Das war natürlich ironisch gemeint, denn eher fand man die Kronjuwelen der Queen auf der Straße als Scham bei diesem Rüpel. Er hatte sich noch nie in seinem Leben für irgendetwas geschämt und betrachtete seine Halsgeräusche als ausgezeichnete Witze. Womöglich glaubte er, damit selbst ein Konzert von Mozart untermalen zu können.

      „So in etwa“, murmelte ich, sein widerliches Benehmen übergehend. Wir waren das einfach gewohnt. Zwar hieß es im Mainstream überall, dass Vorurteile nicht stimmten und Lakota-Jungs nicht anders wären, aber Wyatt und sein Bruder bewiesen jeden Tag das Gegenteil. Sie entsprachen genau dem ungehobelten Bild, das Mama mir von jungen indianischen Männern gezeichnet hatte – und sie waren sogar selbst stolz darauf.

      Beide Brüder musterten mich mit vorquellenden Augen. „Das ist nicht dein Ernst!“ Zwei Atemzüge lang sahen sie einander symbolträchtig an. Schließlich schielte Wyatt schräg zu seiner Cassy, mit blanken Zähnen eine Antwort fordernd.

      „Findet ihr es nicht auch komisch, dass Bellas Zauberei wirklich funktioniert hat?“, erklärte sie, ohne sich von dem Wolfsbruder einschüchtern zu lassen. „Wir denken, es liegt irgendwie an Lex. Er verbirgt ein Geheimnis vor uns.“

      Wyatt lachte. „Vielleicht haben wir an Halloween einfach zu viel gekifft. Ich kann bis jetzt nicht glauben, was da gelaufen ist. Das war voll krass!“ Er wies auf seine Kopfwunde. Mittlerweile hatte sich auf der Narbe brauner Schorf gebildet.

      „Es steckt viel mehr dahinter, als wir ahnen!“, ereiferte sich seine Freundin. „Bestimmt verfügt Lex über besondere Kräfte. Er hypnotisiert Bella und womöglich auch uns!“

      Die Russenzwillinge wirkten schockiert und tauschten wieder diese merkwürdig wissenden Blicke.

      „Mistkerl!“, brummte der wortkarge Ian. Das wollte schon etwas heißen.

      „Vielleicht ist er tatsächlich der angekündigte Jäger“, meinte sein Bruder.

      „Jäger?“ Ich verstand gar nichts. Scheinbar hatte ich mich geirrt und nicht Wyatt, sondern ich war die Dümmste im Bunde.

      „Ach, das ist so eine verrückte Geschichte, die in unserer Familie erzählt wird“, winkte er ab. „So ein Märchen der Lakota-Indianer halt.“

      „Erzähl es uns!“, forderte ich.

      Der Indianer rang etwas mit sich und schielte erneut zu Cassy. Ich fragte mich, was das sollte. Suchte er eine Erlaubnis? Wartete er auf ein Nicken oder auf ein Kopfschütteln?

      „Na gut, wir sind ja fast eine Familie“, sagte er. „Darum sollt ihr auch das Familiengeheimnis erfahren.“

      Gespannte Stille breitete sich aus. Nun ja, zumindest war ich gespannt und die anderen rülpsten nicht.

      „Zwei unserer Vorfahren waren ebenfalls Zwillinge“, begann Wyatt. „Sie hatten damals Streit mit einem Schamanen. So nennt man unsere Zauberer. Der belegte sie glatt mit einem Werwolffluch. Und als sie kamen, um sich an dem Alten zu rächen, mischte sich ein blutsaugender Dämon ein, den sie ordentlich bissen. Normalerweise stirbt ein Vampir an einem solchen Biss. Der Schamane wollte deswegen irgendwie den von ihm gemachten Fluch zurücknehmen, damit der Blutsauger überlebt. Aus irgendeinem Grund konnte er es jedoch nicht.“

      „Und weiter?“, fragte ich.

      „Keine Ahnung. Ich bringe das auch nicht so zusammen. Unser Vater erzählt immer nur im Suff davon. Jedenfalls schickte der Zauberer die Seele des Blutdämons in die Zukunft. Der soll alle Nachkommen der Werwölfe töten und irgendwie so den Fluch lösen.“

      Wie bitte? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ravenhort hatte etwas Ähnliches erzählt.

      „Klingt sehr verrückt!“, wandte ich ein und Cassy nickte. Schließlich musterte sie ihren Freund eindringlich. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir etwas verschwiegen. Wusste hier jeder mehr als ich?

      „Wenn man alles zusammenrechnet, was so passiert ist, erscheint es aber gar nicht so unlogisch“, wog Cassy ab. Da hatte sie recht. Die Dinge hingen alle plötzlich irgendwie zusammen. Wir waren Puzzleteile.

      „Ach, das ist letzlich sicher alles Scheiß!“, wiegelte Wyatt ab und goss den Rest des Bieres in seinen Mund. „Ich hätte dieses Märchen nicht erzählen sollen.“

      „Ja, das ist bestimmt Schrott!“, stimmte Ian zu. Wieso redete der plötzlich so viel? Ich blickte zu ihm. Er sah tief in meine Augen und ein merkwürdiges Lächeln umspielte seinen Mund. Schnell schaute ich weg. Sein offensichtliches Begehren machte mir Angst. Ojemine, der grobschlächtige Kerl stand wirklich auf mich! Wie brachte man einem Hund bei, nicht aufs Bett zu springen?

      „Geht die Geschichte noch weiter?“, fragte ich, um ihn abzulenken.

      „Na …“, fing Ian an.

      „Still!“

      Ich zuckte zusammen. Das Wort war grausig gezischt. Aus irgendeinem Grund wollte Wyatt nicht, dass sein Bruder mehr erzählte. Eine bedrohlich kalte Stille breitete sich aus.

      „Na, der Kerl soll sehr gefährlich sein“, setzte sich Ian über seinen Bruder hinweg. „Er will uns alle töten!“

      „Lex?“ Ich spürte es in meiner Kehle beben. Das konnte einfach nicht stimmen. Er benahm sich weniger gefährlich als Ian.

      „So wird es von Mund zu Mund weitergegeben!“, schloss Wyatt gewichtig.

      „Auf jeden Fall müssen wir herausbekommen, wer er wirklich ist“, nahm ich das Heft wieder in die Hand. Gleichzeitig war ich schockiert, welche Wendung das Drama genommen hatte. Zuerst hätte das seltsame Ding im Fluss Lex fast getötet, dann verhielt er sich derart sonderbar, dass ich ganz neue Gefühle für ihn entwickelte, und schließlich verwandelten sich die Zwillingsbrüder, Ravenhort und Cassy in der Halloweennacht.

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