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selbst gesprochen habe, wie der Fürst hocherfreut gewesen sei und versprochen habe, mit ihnen jenseits des Migik, auf der Schamylskischen Lichtung, wo die Russen Holz fällen wollten, zusammenzutreffen. Bata unterbrach immer wieder den Bericht seines Gefährten und flocht seinerseits allerhand Einzelheiten ein.

      Hadschi Murat fragte seine Boten ganz eingehend und genau nach dem Wortlaut der Antwort, die Woronzow auf Hadschi Murats Anerbieten, zu den Russen überzugehen, erteilt hätte. Sowohl Chan Mahoma, wie auch Bata, antworteten einstimmig, der Fürst habe versprochen, Hadschi Murat als seinen Gast zu empfangen und aufs beste zu behandeln. Hadschi Murat erkundigte sich noch über den Weg, und als Chan Mahoma ihm versicherte, daß er den Weg ganz genau kenne und ihn sicher hinführen würde, nahm er Geld aus der Tasche und gab Bata die versprochenen drei Silberrubel. Seinen Leuten aber befahl er, aus den Quersäcken die kostbaren goldverzierten Waffen und die Lammfellmütze mit dem Turban hervorzuholen, sich selbst aber äußerlich so blank und sauber zu machen, daß sie in den Augen der Russen wohl bestehen könnten. Während sie die Waffen, das Sattelzeug, das Geschirr und die Pferde putzten, ward der Sternenhimmel bleicher und bleicher. Bald wurde es ganz hell, und der Morgenwind rauschte leise durch die Wipfel der Bäume.

      5

      Am frühen Morgen, noch in der Dunkelheit, waren zwei Kompanien mit Beilen unter dem Kommando Poltorazkijs bis auf zehn Werst vor das Schachgirinskische Tor hinausmarschiert, hatten eine Vorpostenkette vorgeschoben und sich, sobald es zu tagen anfing, an das Fällen der Bäume gemacht. Gegen acht Uhr begann der Nebel, vermischt mit dem dichten, stickigen Rauch der in den Lagerfeuern knisternden feuchten Baumzweige, höher zu steigen. Die mit der Niederlegung des Waldes beschäftigten Soldaten, die einander vorher auf fünf Schritte nicht mehr gesehen, sondern nur noch gehört hatten, konnten jetzt sowohl die Lagerfeuer wie den von den Baumstämmen versperrten, quer durch den Wald führenden Weg deutlich unterscheiden. Die Sonne erschien von Zeit zu Zeit als ein leuchtender Fleck im Nebel, um dann für eine Weile wieder unsichtbar zu werden. In einer kleinen Lichtung abseits vom Wege saßen auf den Trommeln Poltorazkij und sein Subalternoffizier Tichonow, ferner zwei Offiziere der dritten Kompanie und ein ehemaliger Offizier der Chevaliergarde namens Baron Freese, ein Bekannter Poltorazkijs vom Pagenkorps her, der wegen eines Duells degradiert worden war. Um die Trommeln herum lagen leere Flaschen, Zigarettenstummel und Papierhüllen, in denen die Offiziere ihr Frühstück mitgebracht hatten. Sie hatten sich durch ein Glas Branntwein und einen Imbiss gestärkt und dann ein Glas Porter getrunken. Der Tambour war eben dabei, eine neue Flasche zu entkorken. Poltorazkij war, obschon er nicht ausgeschlafen hatte, doch in jener ganz besonderen, sorglos heiteren und gehobenen Stimmung, die ihn inmitten seiner Soldaten und Kameraden jedesmal überkam, sobald Gefahr ihn umwitterte.

      Die Offiziere unterhielten sich lebhaft über die letzte Neuigkeit – den Tod des Generals Sljepzow. Keiner von ihnen sah in diesem Tode jenen wichtigsten Augenblick des menschlichen Daseins, in dem das Leben zu Ende geht und zu jenem Urquell, aus dem es hervorgegangen, zurückkehrt – alle sahen vielmehr nur die Tapferkeit des kühnen Offiziers, der mit dem Säbel in der Faust kühn auf die Bergbewohner losgestürmt war und verzweifelt auf sie dreingehauen hatte.

      Zwar wußten alle diese Offiziere, namentlich diejenigen von ihnen, die selbst schon mit im Feuer gewesen waren, daß es während jenes Krieges im Kaukasus niemals und nirgends zu solch einem Nahkampf mit dem Säbel gekommen war, wie man sich ihn gewöhnlich vorstellt, und wie er auch vielfach geschildert wird. Sie wußten, daß, wenn schon ein Nahkampf mit Bajonett und Säbel vorkam, diese Waffen höchstens den Rücken des fliehenden Feindes bearbeiteten. Gleichwohl wurde die Fiktion eines solchen Nahkampfes von den Offizieren aufrecht erhalten, und sie war es, die ihnen jenen ruhigen Stolz und jene Heiterkeit verlieh, mit der sie teils in malerisch kecker, teils in selbstbewußt zurückhaltender Haltung auf den Trommeln saßen, rauchten, tranken und scherzten und sich nicht die geringste Sorge um den Tod machten, der jeden Augenblick an sie ebenso wie an Sljepzow plötzlich herantreten konnte. Und wie zur Bestätigung der Erwartung, in der sie dasaßen, fiel plötzlich mitten in ihr Gespräch hinein links vom Wege her ein Büchsenschuss, und eine Kugel pfiff lustig durch den Nebeldunst, um irgendwo in einen Baum einzuschlagen. Ein paar laute, dumpf knallende Schüsse aus den Gewehren der Soldaten antworteten auf den feindlichen Schuß.

      »Aha,« rief Poltorazkij in heiterem Tone, »das war in der Vorpostenkette! Nun, mein lieber Kostja,« wandte er sich an Freese, »du hast wirklich Glück. Jetzt geh' mal zur Kompanie – wir werden gleich eine Schlacht haben, so wild und heiß, wie man sie sich nur wünschen kann. Das soll eine Galavorstellung werden.«

      Der degradierte Baron sprang auf und begab sich raschen Schrittes nach jenem verqualmten Revier, in dem seine Kompanie an der Arbeit war. Poltorazkij ließ sich seinen kleinen, gelbmäuligen, dunkelbraunen Kabardiner vorführen, setzte sich darauf, ließ seine Kompanie antreten und führte sie in der Richtung, aus der der Schuß gefallen war, zur Vorpostenlinie vor. Die Vorpostenkette lag am Rande des Waldes, vor einer kahlen Schlucht, die sich niederwärts zog. Der Wind wehte nach dem Walde zu, und nicht nur der diesseitige Abhang, sondern auch die jenseitige Wand der Schlucht war deutlich sichtbar. Als Poltorazkij die Vorposten erreichte, trat gerade die Sonne aus dem Nebel hervor, und auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht, am Rande eines zweiten, niedrigen Waldes, der dort begann, wurden in einer Entfernung von etwa dreihundert Schritten einige Reiter sichtbar. Es waren die Tschetschenzen, die Hadschi Murat verfolgt hatten und sich davon überzeugen wollten, daß er wirklich zu den Russen ging. Einer von ihnen hatte nach den Vorposten hinübergeschossen, und ein paar Soldaten aus der Vorpostenkette hatten ihm geantwortet. Die Tschetschenzen hatten sich zurückgezogen, und das Gewehrfeuer war eingestellt worden, als jedoch Poltorazkij mit seiner Kompanie anmarschiert kam, ließ er sogleich wieder schießen. Kaum war der Befehl erteilt, als auch auf der ganzen Linie alsbald ein ununterbrochenes keckes Knattern und Knallen einsetzte und bald hier, bald dort zierliche kleine Rauchwölkchen aufstiegen. Die Soldaten, die in der Schießerei eine willkommene Abwechslung sahen, luden in raschem Tempo ihre Gewehre und gaben Schuß auf Schuß ab. Die Tschetschenzen waren nicht faul und schossen gleichfalls, indem sie einzeln Mann für Mann vorsprangen. Einer ihrer Schüsse traf einen Soldaten. Es war derselbe Awdjejew, der mit auf dem Geheimposten gewesen war. Als die Kameraden zu ihm eilten, lag er mit dem Rücken nach oben da, hielt sich mit beiden Händen auf die am Bauche befindliche Wunde, zuckte von Zeit zu Zeit und stöhnte leise.

      »Ich war gerade dabei, mein Gewehr zu laden, als ich ein Zischen hörte,« erzählte Awdjejews Nebenmann, »und wie ich hinschaue, seh' ich, daß er das Gewehr fallen läßt.«

      Awdjejew stand bei Poltorazkijs Kompanie. Als dieser die Soldaten zusammenlaufen sah, ritt er an die Gruppen heran.

      »Hast du was abbekommen, mein Lieber?« fragte er. »Wohin denn?«

      Awdjejew gab keine Antwort.

      »Ich war gerade dabei zu laden. Euer Wohlgeboren,« wiederholte der Nebenmann Awdjejews, »als ich ein Zischen hörte, und wie ich hinsehe, hat er das Gewehr auch schon fallen lassen.«

      »Tss, Tss,« schnalzte Poltorazkij mit der Zunge. »Tut's weh, Awdjejew?«

      »Das nicht, aber gehen kann ich nicht. Um einen Schluck Branntwein möcht' ich bitten, Euer Wohlgeboren.«

      Irgend jemand reichte eine Flasche mit Spiritus hin, wie ihn die Soldaten im Kaukasus zu trinken pflegten, und Panow goss mit finsterer Miene einen Becher davon ein, den er Awdjejew reichte. Awdjejew kostete, schob jedoch sogleich den Becher mit der Hand fort.

      »Die Seele mag ihn nicht,« sagte er, »trink' ihn nur selber.«

      Panow leerte den Becher. Awdjejew versuchte wiederum, sich zu erheben, sank jedoch von neuem zurück. Die Kameraden breiteten einen Mantel aus und legten Awdjejew darauf nieder.

      »Euer Wohlgeboren, der Herr Oberst kommt!« rief der Feldwebel Poltorazkij zu.

      »Gut – sieh du hier nach dem Rechten,« sagte Poltorazkij, schwang die Peitsche und ritt in scharfem Galopp Woronzow entgegen.

      Woronzow kam, von dem Regimentsadjutanten, einem Kosaken und einem tschetschenzischen Dolmetscher gefolgt, auf seinem Fuchshengst, einem echten englischen Vollbluttier, herangeritten.

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