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glaubte er den leichtbeschwingten Schritt zu hören. Sicher nahte dort irgendjemand, und wirklich schlugen plötzlich die Hunde auf den Nachbargütern an, und das ganze Land, das erst vor kurzem unter dem Raunen der nächtlichen Stimmen sanft entschlummert zu sein schien, hallte wider von dumpfen Lauten, erwachte gleichsam wieder.

      Efix öffnete die Tür wieder. Eine dunkle Gestalt stieg den Hügelhang empor, auf dem die Zwergbohnen silbern im Mondschein wogten, und der Knecht, dem nachts auch die menschlichen Gestalten nicht geheuer erschienen, schlug wieder ein Kreuz. Da rief ihn auf einmal eine wohlbekannte Stimme an. Es war die muntere, aber leicht keuchende Stimme eines jungen Burschen, der neben dem Haus der Damen Pintor wohnte.

      »Gevatter Efix, Gevatter Efix!«

      »Was gibt's, Zuannantò? Sind meine Damen wohlauf? «

      »Ich glaube – ja. Sie lassen Ihnen nur sagen, Sie möchten morgen frühzeitig ins Dorf zurückkehren – sie müssten Sie sprechen. Es ist wohl wegen eines gelben Briefs, den ich in Fräulein Noemis Hand sah. Fräulein Noemi las ihn leise vor, und Fräulein Ruth, die wie eine Nonne aussah mit ihrem weißen Kopftuch, fegte gerade den Hof, stützte sich aber müßig auf den Besenstiel und hörte zu. «

      »Ein Brief? Weißt du nicht, von wem er ist? «

      »Nein, ich nicht; ich kann doch nicht lesen. Aber meine Großmutter meint, er sei vielleicht vom jungen Herrn Giacinto, dem Neffen Ihrer Herrinnen. «

      Ja, das fühlte Efix; sicher war es so; trotzdem kratzte er sich sinnend, mit gesenktem Kopf an der Wange und hoffte und fürchtete, sich zu täuschen.

      Der junge Bursche hatte sich müde auf den Felsblock vor der Hütte gesetzt, schnürte langsam seine Nagelschuhe auf und fragte, ob nichts zum Essen da sei.

       »Ich bin gerannt wie ein junger Hirsch, ich hatte Angst vor den bösen Geistern ...«

      Efix hob das wettergebräunte, harte Gesicht und starrte den Burschen mit hellblauen, tiefliegenden, von vielen Fältchen umgebenen Augen an, und aus diesen lebhaft blitzenden Augen sprach eine fast kindliche Angst.

      »Haben sie dir gesagt, ob ich erst morgen früh oder noch heute Nacht zurückkehren soll«

      »Ich sage Ihnen doch, morgen früh. Und inzwischen, während Sie im Dorf sind, soll ich hier auf dem Gut nach dem Rechten sehen. «

      Der Knecht war gewohnt, seinen Herrinnen zu gehorchen, und stellte keine weiteren Fragen. Er nahm eine Zwiebel von der Schnur, ein Stück Brot aus dem Beutel, und während der junge Bursche, halb lachend, halb weinend infolge des beißenden Geruchs der Zwiebel, sein karges Mahl verzehrte, fuhren sie fort, zu plaudern. Die wichtigsten Persönlichkeiten im Dorfe gingen durch ihr Gespräch: zunächst kam der Herr Pfarrer, dann die Schwester des Pfarrers, dann Milese, der eine Tochter der letzteren geheiratet hatte und aus einem Apfelsinen- und Tonwarenhändler zum reichsten Kaufmann im Dorf geworden war. Es folgte Don Predu, der Amtmann und Vetter von Efix' Herrinnen. Auch Don Predu war wohlhabend, aber nicht ganz so reich wie Milese. Und zuletzt kam noch die Wucherin Kallina, auch eine reiche, märchenhaft reiche Frau.

       »Neulich versuchten Diebe bei ihr einzubrechen. Umsonst – sie ist gefeit! Und am nächsten Morgen kicherte sie in ihrem Hof und sagte: ›Sollen sie ruhig einbrechen, sie werden nichts als Asche und ein paar alte Nägel finden, ich bin arm – arm wie eine Kirchenmaus.‹ Aber meine Großmutter meint, die Muhme Kallina halte einen Beutel Gold in der Wand versteckt.«

      Aber Efix kümmerte sich im Grunde wenig um dieses Geschwätz. Die eine Hand unter der Achsel, die andere unter der Wange, lag er auf seinem Strohsack und hörte sein Herz klopfen, und das Rauschen des Schilfrohrs draußen am Hang tönte wie das Seufzen eines bösen Geistes an sein Ohr.

      Dieser gelbe Brief! Gelb, eine schlechte Farbe. Wer weiß, was alles seinen Herrinnen noch zustoßen würde? Zwanzig Jahre ging das nun schon so: wenn wirklich einmal ein Ereignis das eintönige Leben im Hause Pintor unterbrach, war es unweigerlich ein Unglück.

      Auch der junge Bursche hatte sich hingelegt, hatte aber noch keine Lust zum Schlafen.

      »Gevatter Efix, auch heute erzählte meine Großmutter wieder, daß Ihre Herrinnen einmal so reich gewesen seien wie Don Predu. Stimmt's oder stimmt's nicht? «

      »Ja, es stimmt«, seufzte der Knecht. »Aber es ist jetzt nicht Zeit, diese alten Geschichten aufzurühren. Schlaf du lieber! «

      Der junge Bursche gähnte.

      »Aber meine Großmutter meint, dass seit dem Tode Frau Marias, Ihrer alten Herrin selig, ein Fluch auf eurem Hause ruhe. Stimmt's oder stimmt's nicht? «

      »Du sollst doch schlafen, es ist jetzt nicht Zeit ...«

       »Lassen Sie mich doch reden! Und warum ist Fräulein Lia, Ihre kleine Herrin, entflohen? Meine Großmutter meint, Sie wüssten es. Sie hätten Fräulein Lia zur Flucht verholfen, hätten sie bis zur Brücke gebracht, wo sie sich versteckt hätte, bis ein Fuhrwerk vorbeikam, mit dem sie bis ans Meer fuhr. Dort – dort hätte sie sich dann eingeschifft. Und Don Zame, ihr Vater und Ihr Herr, suchte und suchte sie, bis er eines schrecklichen Todes starb. Dort – bei der Brücke, nicht wahr? Wer hat ihn wohl ermordet? Meine Großmutter meint, Sie wüssten es. «

      »Deine Großmutter ist eine alte Hexe. Lasst die Toten gefälligst ruhen, ihr beiden! « schrie Efix; aber seine Stimme klang heiser, und der junge Bursche lachte dreist.

      »Keine Aufregung, das könnte Ihnen schaden, Gevatter Efix. Meine Großmutter meint, der Nöck habe Don Zame umgebracht. Stimmt's oder stimmt's nicht? «

      Efix gab keine Antwort. Er schloss die Augen, hielt sich das Ohr zu, aber die Stimme des Jungen dröhnte dumpf durchs Dunkel, und ihm war, als spräche die Vergangenheit aus ihr.

       Wie die Strahlen des Mondes stehlen sie sich, einer nach dem anderen, durch die Ritzen und scharen sich alle um ihn: Frau Maria Christina, schön und sanft wie eine Heilige; Don Zame, krebsrot und wild wie der Teufel; die vier Töchter, über deren bleichen Gesichtern ein heiterer Schimmer liegt wie über dem der Mutter, und in deren Augen eine düstere Leidenschaft flammt wie in denen des Vaters; die Knechte und die Mägde, die Verwandten und die Freunde, sie alle, die aus und ein gehen in dem reichen Hause, bei den Nachkommen der alten Burgherren aus der Gegend. Aber da bricht auf einmal das Unglück über sie herein, und alle stieben auseinander wie Wolken am Himmel, wenn der Föhnsturm pfeifend zwischen sie fegt.

      Frau Christina ist nun tot; die bleichen Gesichter der Töchter verlieren mehr und mehr an Heiterkeit, und die düstere Glut in ihren Augen wächst. Wächst in dem Maße, wie Don Zame nach dem Tode seiner Gattin immer mehr das herrische Wesen seiner Ahnherren annimmt und die vier Mädchen wie Mägde gefangen hält im Hause und auf Freier wartet, die ihrer würdig sind. Und wie Mägde müssen diese arbeiten, Brot backen, Flachs spinnen, nähen und kochen und ihre Sachen in Ordnung halten; vor allem aber dürfen sie nie den Blick zu einem Manne erheben oder an jemand denken, der ihnen nicht zum Bräutigam bestimmt ist. Aber die Jahre verstreichen, und kein Freier stellt sich ein. Und je älter seine Töchter werden, desto unerbittlicher sieht Don Zame darauf, dass sie streng im Geist der Väter leben. Wehe, wenn er sie am Fenster stehen und auf das Gässchen hinter dem Hause blicken sieht, oder wenn sie ohne seine Erlaubnis fortgehen! Dann schlägt er sie, überhäuft sie mit Schmähungen und bedroht die jungen Burschen mit dem Tode, die zweimal hintereinander durch das Gässchen gehen.

       Er selbst treibt sich den ganzen Tag im Dorf herum oder sitzt auf der Steinbank vor dem Krämerladen, der der Schwester des Pfarrers gehört. Und wenn die Leute ihn dort sitzen sehen, machen sie einen großen Bogen, so sehr fürchten sie seine böse Zunge. Er sucht Händel mit aller Welt und ist so neidisch auf die Habe der anderen, dass er jedes Mal, wenn er einen reichen Gutshof betritt, hämisch sagt: »Die Herren Advokaten werden dich schon noch darum bringen.« Aber stattdessen bringen die Prozesse schließlich ihn um Haus und Hof, und eines Tages trifft ihn ein schweres Unglück wie zur Strafe für seinen Hochmut und seine Vorurteile. Fräulein Lia, die drittälteste seiner Töchter, verschwindet eines Nachts aus dem Vaterhaus, und lange Zeit hört man nichts mehr von ihr. Ein düsterer Schatten lastet auf dem Haus; noch nie ist eine solche Schande im Dorfe vorgekommen; noch

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