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funkelnde graugrüne Augen und lustige Sommersprossen über der Nase, und Tina wunderte sich, wie ein Mensch, der von Geburt an an einer Herzkrankheit litt, so vor Lebendigkeit und Frohsinn sprühen konnte. Selbst in ihrem Jogginganzug spiegelte sich ihre Fröhlichkeit wider, denn er war kräftig türkisfarben, mit einer über die Schultern reichenden Passe in wildem grellbuntem Muster.

      Sie streckte Tina die Hand hin. “Ich bin die Uschi, und wer bist du?”

      “Christina", antwortete sie und schlug ein, und da sie annahm, daß sie sie als nächstes nach dem Grund ihres Hierseins fragen würde, machte sie es genauso wie sie und kam ihrer Frage zuvor. “Ich hatte Myocarditis. Eine Virusinfektion.”

      Das Mädchen nickte und musterte Tina nun ihrerseits mit ihren flinken graugrünen Augen, die es keinen Moment lang auf einem einzigen Punkt auszuhalten schienen. “Da kannst du aber von Glück sagen, daß du noch so frisch-fröhlich herumlaufen kannst. Ich kenne Leute, die es danach schlimmer erwischt hat.”

      Beim Belastungs-EKG traf Tina den Holzfäller wieder. Fast hätte sie ihn nicht erkannt, denn statt seiner karierten Jacke trug nun auch er, wie alle anderen, die übliche Patienten-Uniform: Einen Jogginganzug. Nur auf die Schirmmütze schien er keinesfalls verzichten zu wollen, denn jetzt war es eine weiße statt der roten, die er bei der Anreise getragen hatte.

      "Hey, auch da?" Er begrüßte Tina wie eine alte Bekannte. Das war keinesfalls verwunderlich, denn man klammerte sich an jedes bekannte Gesicht, um sich in diesem riesigen Komplex nicht allzu verloren vorzukommen.

      "Wie geht’s denn so? Mit dem Essen und dem Zimmerservice zufrieden in diesem feinen Etablissement?”, fragte er mit einem Augenzwinkern.

      “Was bleibt uns denn anderes übrig! Hier gefällt's mir immer noch besser, als im Dreibettzimmer im Koblenzer Krankenhaus."

      Er nickte und lachte ein tiefes dröhnendes Lachen. "Das kann ich mir vorstellen. Genauso geht's mir auch."

      *****

       Ich hab mir die Neuen ganz genau angesehen, - jede einzelne. Und zwei von ihnen haben mir besonders gut gefallen: Eine kleine Lebhafte und eine hübsche Brünette. Ich werde sie beobachten und versuchen, so viel wie möglich über sie in Erfahrung zu bringen. Obwohl das für mich gar nicht so einfach sein wird. Oh ja, es ist ein gutes Gefühl, die Gewißheit zu haben, daß das Warten bald ein Ende hat. Es hat viel zu lange gedauert.

       Zugegeben, die Pause war notwendig, um mein Umfeld zu beschwichtigen und wieder Ruhe in mein Leben zu bringen. Doch nun ist es an der Zeit, daß ich wieder auf ein interessantes und aufregendes Abenteuer hoffen darf.

       Noch hab ich mich nicht entschieden, welcher von beiden ich den Vorzug geben werde, - der kleinen Lebhaften oder der hübschen Brünetten... Man wird sehen. Schließlich habe ich noch fast vier Wochen Zeit...

      *****

      Es dauerte nicht lange, und die Tage im Waldhof liefen nach einem genau festgelegten Rhytmus ab. Der lächelnde Buddha hatte Tina eine ganze Reihe der unterschiedlichsten Anwendungen in ihr Behandlungsheft geschrieben. Nicht nur Übungen, die ihrem angeschlagenen Herzen wieder auf die Sprünge helfen sollten, sondern auch einige, die fürs allgemeine Wohlbefinden gedacht waren, wie zum Beispiel Mineralbäder zum Entspannen, Massagen, Gymnastik und Bewegungsübungen im Wasser.

      Am dritten Morgen hatte sie schon vor dem Frühstück den ersten Termin beim Trimmradfahren. Trimmradfahren wurde hier vornehm als Ergometer-Training bezeichnet. Aus Angst, zu verschlafen, hatte sie sich den Wecker gestellt und war schon eine Viertelstunde vor Beginn an Ort und Stelle. Doch wer saß schon wartend da? Richtig, der V-Mann, der so gern früher kam, um die Leute zu beobachten.

      “Guten Morgen”, grinste er, “heute auch so früh?”

      Sie war noch müde. “Ja,” antwortete sie und gähnte, “hab schlecht geschlafen.”

      Er grinste noch immer. Eigentlich sah er recht nett aus, stellte sie mit einem schnellen Blick aus den Augenwinkeln fest. Dennoch ließ sie auch diesmal wieder einen Sitz zwischen sich und ihm frei.

      Allmählich trudelten auch die anderen ein, die auf sieben Uhr bestellt worden waren. Sie freute sich, Uschi wiederzusehen, und sie winkte ihr und zeigte auf den freien Platz zwischen sich und dem Beobachter. Doch die schlug vor: “Rutsch mal’n Stück”, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als einen Sitz näher an ihn heranzu-rücken.

      “Wir haben gestern Abend Karten gespielt,” erzählte Uschi. “Vor allem Skat, das kannte ich bis jetzt noch gar nicht. Hat aber echt Spaß gemacht. Heute Abend wollen wir uns wieder treffen, gleich nach dem Abendbrot im Aufenthaltsraum. Komm doch auch hin und mach mit.”

      “Das einzige Kartenspiel, das ich kenne, ist Mau-Mau”, antwortete Tina. "Ich spiele das manchmal mit meinen Töchtern und bin ganz gut darin. Dazu vielleicht noch ein bißchen Rommé, das ist aber auch schon alles.”

      “Das macht doch nichts, zwischendurch spielen wir vielleicht auch mal Mau-Mau, das gefällt mir nämlich auch. Für heute abend ist allerdings Canasta angesagt. Kennst du den Rolf? Der will es mir beibringen. Falls du es nicht kennst, könntest du es doch auch gleich mit lernen.”

      Tina hob die Schultern, sie war noch unschlüssig, ob sie mitmachen sollte oder nicht. Und während sie noch darüber nachdachte, sah sie, wie der Beobachter auf ihr Anwendungsheft schielte. Sie hatte es so in der Hand gehalten, daß ihr Name oben auf dem Einband zu lesen war. Oh, da mußte sie wohl besser aufpassen, dachte sie, und rasch zog sie es aus seinem Blickfeld und rückte ein wenig von ihm ab.

      “Keine Angst, ich beiße nicht”, raunte er ihr amüsiert zu.

      “Das würde ich Ihnen auch nicht raten.”

      Er lachte. “Dir!”

      Sie sah ihn fragend an. “Was: dir?”

      “Das würde ich

       dir

      nicht raten.”

      “Was würdest du mir nicht raten?”

      Er verdrehte die Augen. “

       Du

      warst es doch, der mir was nicht raten würde, oder?”

      Es dauerte eine Weile, bis sie begriff. Und dann mußte auch sie lachen, ob sie wollte oder nicht.

      m Ergometerraum gab es acht Trimmräder, alle schön nebeneinander in einer Reihe. Jedes war an einen Monitor angeschlossen, damit die Therapeutin Puls und Blutdruck eines jeden ihrer Schäfchen überwachen und falls es notwendig sein sollte, eingreifen konnte. Für die Frauen war es gar nicht so einfach, die Kontakte an der Brust zu befestigen, wollten sie nicht allzuviel von dem zeigen, was unter ihren Jogging-Blousons oder T-Shirts versteckt war.

      Der Beobachter saß auf dem Rad links neben Tina, und wie es schien, war wieder ausschließlich sie das Objekt seiner Beobachtungen. Das ärgerte sie insofern, als ihr bewußt war, welch dummes Gesicht sie mitunter machte, wenn sie sich anstrengte. Rechts von ihr saß Uschi und plapperte unentwegt weiter, bis die Therapeutin sie ermahnte und ihr den Rat gab, ihre Energie lieber beim Treten der Pedale einzusetzen.

      Vor dem Mittagessen traf sie in der Halle auf Rozalia, ihr Gegenüber vom Tisch Nr.5, und sie beschlossen, einmal um den Kliniktrakt herum zu laufen, um sich Appetit zu holen.

      Rozalia war erst Mitte vierzig, obwohl man sie gut auf zehn Jahre älter hätte schätzen können. Ihr schmales Gesicht war bereits von tiefen Falten durchzogen und wurde von einem Paar dunkler trauriger Augen beherrscht. Und doch war zu erahnen, daß sie einmal eine sehr schöne Frau gewesen sein mußte.

      "Ich werde dich Röslein nennen, das paßt besser zu dir", hatte Tina gleich am ersten Tag zu ihr gesagt, denn Rozalia klang ihr zu fremd und zu pathetisch. Rozalia hatte gelächelt, und in ihren Augen hatte man lesen können, daß sie sich sogar ein bißchen darüber gefreut hatte.

      Während sie um die Klinik-Anlage herum marschierten, erzählten sie sich ihre

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