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      Recht und Unrecht

      Sechs Tage sind seither vergangen. Ich habe lange über seine Worte nachgedacht und festgestellt, dass er richtig liegt. Ich bin verwöhnt und faul, tu nie mehr als nötig. Hilfe wiederum nehme ich ungern an. Wenn sich dennoch für mich eingesetzt wird, so passiert dies freiwillig, selten erbeten. Ich kämpfe für mich allein, oft gegen mich selbst. Ich lass mich nicht treten, ich trete in dem Tempo, wie es mir passt. Meine Feinde Druck und Erwartung bekriege ich stets. Letztlich bleibt mir doch nichts anderes übrig, als mich zu ergeben.

      Von Kunst bin ich nicht besessen und meine Kreativität hält sich in Grenzen. Ich habe nie behauptet, eine gute Fotografin zu sein, möchte ja schließlich auch erst lernen, eine zu werden. Ich brauche Vorgaben und Struktur, ansonsten schwimme ich gedankenverloren vor mich hin. Sofern ich nicht ausgerechnet zu der Erkenntnis komme, absolut die falsche Richtung einzuschlagen, bringe ich durchaus Angefangenes zu Ende. Technik übersteigt meinen Horizont – ich vergesse schnell, was ich nicht greifen kann. Logik ist mir nicht gegeben. Ich gehe nicht planlos raus, um spontan zu fotografieren; ärgere mich zugleich, wenn mir spannende Motive begegnen, während meine Kamera zu Hause im Regal verstaubt. Ich bin faul, das sagte ich bereits. Ich will frei sein und ungebunden – eine schwere Tasche hindert mich daran. Sachen tragen finde ich generell lästig.

      Oft fällt mir ein, dass ich mal wieder in die Kunsthalle gehen könnte oder ins Theater. Was hindert mich? Ich. Da sind so viele Dinge in meinem Kopf, die ich eigentlich gerne machen möchte, wenn mir das Aufraffen nicht so schwerfallen und Ausreden zu finden nicht so leicht sein würde. Zeit ist kostbar. Von ihr habe ich grundsätzlich zu wenig. Vielleicht stehe ich nach einer Ausbildung zur Fotografin wieder an dem Punkt, an dem ich heute bin, hätte dann aber immerhin das Handwerk gelernt. Bisweilen kann ich nichts außer angeben, wie Auerbach es so schön formuliert hat. Viel Wahres ist daran. Nur kam ich mir nie prahlend vor, als ich meine Talente zur Sprache brachte, da man mich von außen um diese meistens bewunderte.

      Ich begeistere mich für ästhetische Bilder. Ich will auch in der Lage sein, solche Fotos zu schaffen. Mich allerdings hinzusetzen und mir freiwillig Lehrbücher zu erarbeiten, dazu bin ich zu unmotiviert. Ein Lehrer, der mir zeigt, was er macht, sodass ich es ihm nachmachen kann, inspiriert mich schon eher zum „learning by doing“.

      Im Nachhinein bin ich der festen Überzeugung, dass Auerbach mich in seiner Bewertung nur indirekt gemeint hat. Sein Ärger galt insbesondere der bequemen Jugend von heute, die wohl nicht mehr zu wissen scheint, was wirkliche Ertüchtigung bedeutet. Ich war zur rechten Zeit am rechten Ort, ein grandioses Ventil für Verachtung und Vorwurf. An mir konnte er seinen Ärger auslassen; mich mit dem, was er vom Nachwuchs hält, schamlos ohrfeigen. Von einer Generation, die es viel zu einfach hat und der das meiste hinterhergeschmissen wird. Die alles will und niemals satt ist. Wir wollen besitzen – ungeduldig, zäh und skrupellos. Ist die Konkurrenz groß, machen auch wir uns größer, als wir sind. Um in der Masse nicht unterzugehen. Ich habe mir seine Schläge zu Herzen genommen und werde mich in Zukunft nicht mehr in den Vordergrund drängeln. Seine Meinung meine Kreativität betreffend lasse ich jedoch nicht so einfach auf mir sitzen. Auerbachs Geschmack ist einer von vielen. Ich muss ihn nicht akzeptieren. Das, was er sagt, muss mich bei der Wahl meines Weges nicht zwangsläufig beeinflussen. Berge versperren einem im Leben oft die Sicht. Dann heißt es, Zähne zusammenbeißen und klettern. Seine Kritik bringt mich weiter und lässt mich mein Verhalten überdenken. Ich erwarte nicht von jedem, anerkannt zu werden, denn es braucht Ecken und Kanten zur Entwicklung.

      Beruhigend, dass nicht alle Fotografen seiner Meinung sind und manch einer genauso faul ist wie ich. René zum Beispiel. Oder Franca. René ist ein guter Fotograf. Vergangenen Sonntag nahm ich an seiner Produktion teil und schwenkte das Licht im Märchen „Die Schöne und das Biest“. Düster und geheimnisvoll. Es war schrecklich kalt, aber die Location genau richtig. Ich mag den Herbst – den November mit seinen prachtvollen Farben und dem Geruch nach Laub und Ästen. Man vergisst die Natur in einer Großstadt wie Hamburg und wann sonst komme ich auf die Idee, im Wald zu stehen und plätschernden Bächen zu lauschen?

      Wie Franca arbeitet, weiß ich nur aus Erzählungen. Der Austausch zu Kaffee und Zigarette war unterhaltsam und informativ. Uns trennen nur wenige Jahre voneinander, was mir die Kommunikation wesentlich erleichterte – kein Zähmen der Wortwahl nötig. Sie und René sind sich einig – weitermachen! Begabung hin oder her, die Technik würde ich in der Lehre und durch Praktika bei unterschiedlichen Fotografen lernen. Frauen hätten es allerdings schwerer, weil körperlich schwächer. Da es mir an Sportlichkeit und Kraft nicht mangelt, dürfte das weniger das Problem sein. The show must go on.

      Ein ungewöhnliches Treffen

      Bald ist Mitternacht. Wieder ein Tag um. Das Sofacafé ist ein gemütlicher Ort gewesen, um sich zu verabreden. Irgendwie war mir der Grund, weshalb ich Franziska hatte wiedersehen wollen, abhandengekommen. Wir haben uns am Set von René kennengelernt. Sie schaute niedlich und warmherzig aus. Während ich auf sie wartete, bestellte ich zwei Latte macchiato und hoffte, dass diese nicht erkalteten, ehe Franzi eintreffen würde. Ich erkannte sie nicht gleich. Erst als sie mir zuwinkte – ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. Sie übergab mir eine rote Rose. Eine kitschige Geste, wie sie fand, die mich verlegen machte. Sie habe die Rose einem Strauß aus der Agentur, in der sie arbeite, entnommen, um sie vor dem Verwelken zu retten. Eine nette Aufmerksamkeit, die ich für den Bruchteil einer Sekunde für eine Liebesbotschaft hielt. Franziskas unbedarfte und naive Art, mich während der Unterhaltung zu berühren oder sich an mich zu lehnen, schürten meine Nervosität und Befangenheit. Sie ist keineswegs eine Frau, die mir vom Typ her zusagen würde. Ich begehre sie nicht. Zwar genoss ich das Gefühl von Nähe, wusste aber gleichzeitig nicht, mit dieser Zärtlichkeit umzugehen und sie einzuordnen. Diese selbstverständliche Zuneigung, die Heterofrauen oft untereinander verbindet, überrascht mich immer wieder. Freundinnen, die umschlungen durch die Straßen gehen, aber keine Pärchen sind. Die eine, die der anderen den BH zurechtrückt – dabei zufällig die Brüste streift, ohne vor Scham im Boden zu versinken oder gierig auf deren Titten zu glotzen. Das ist für mich schwer nachzuvollziehen. Vielleicht würde ich befürchten, in meinen heimlichen Blicken ertappt zu werden. Blicke, die den einen Teil meiner Orientierung verraten könnten.

      Bereits nach dem ersten Milchkaffee plagte mich das Bedürfnis, allein zu sein. Es lag nicht an Franzi direkt. Ich wusste einfach nichts zu sagen. Wir sprachen über Männer, Musik, Grafik und Freizeitbeschäftigungen. Mir war nicht nach Reden zumute und sie zu unterhalten, um nicht unhöflich zu sein, langweilte mich. Ich sehnte mich nach genau dieser Natürlichkeit, die sie an sich hatte. Das Uneitle, das Unbeschwerte, das scheinbar Normale.

      Ich wollte weg von meinem Tiefgang und Gesprächen, wie ich sie sonst führte, und verfiel trotzdem meiner Ernsthaftigkeit, in der ich mich bremsen musste, nicht zu weit auszuholen, mein Leben und meine Emotionswelt auszupacken. Unwillentlich verspürte ich Neid auf das gute Verhältnis zu ihren Eltern, auf die Zufriedenheit mit ihrer Arbeit und auf das Wohlfühlen in der eigenen Wohnung. Diese Einfachheit ... Ich suche sie in Menschen, die sie besitzen, und möchte ein Stück von ihr haben, weil ich sie in mir selbst nicht finden kann. Leider ist es unmöglich, Leichtigkeit und Gelassenheit abzugucken. Nur wer sich selber hat, kann sich selber geben. Nach knapp zwei Stunden brach ich das Treffen ab, nicht ohne ein Zeichen der Enttäuschung in Franziskas Augen.

      Ich weiß schon jetzt, dass die rote Rose, die nun in einer Vase auf meinem Esstisch steht, Grund zur Aufregung sein wird. Ich habe keine Lust auf eine Erklärung und Auseinandersetzung mit Sven. Er wird seine Eifersucht wieder einmal nicht zügeln können und zum zigsten Mal darauf rumreiten, meine Leidenschaft würde den Weibsen gehören. Ich werde beteuern, dass ich ihn liebe und es keine Rolle spiele, welche Arten von Sexualität ich einst gelebt hätte. Wobei eigentlich ich das Recht dazu habe, ihn zu verurteilen. Von ihm erhielt ich in den vergangenen Monaten nämlich kein Blümchen. Morgen ist Laylas großer Tag. Mir graut. Sie heiratet einen Mann, den sie nicht liebt, und erhofft sich dadurch, Unabhängigkeit zu erlangen. Denn noch gehört sie ihrem Vater. Ich bezweifle stark, dass die Ehe mehr Freiraum schafft. Sie begibt sich von einem in den nächsten Käfig. Ich kann dieser Moscheenummer, genauso wenig wie der Religion, nichts Positives abgewinnen. Ich

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