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und ich das Interesse verliere. Wenn ich mich langweile oder mich unterfordert fühle, bringe ich dies durch Abgrenzung und Kontaktfaulheit zum Ausdruck. Ich bin mir sicher, dass das unter anderem Grund dafür war, dass mir mein Praktikumsplatz im Verlag gekündigt wurde. Ich habe doch keine vier Jahre lang Grafikdesign studiert, um Bilder und Texte in vorgefertigte Layouts hineinzuladen. Vorher arbeitete ich in einer Werbeagentur, bei der ich Logos für Gabelstapler- und LKW-Unternehmen gestaltete. Bis auf ein paar wenige Fotoaufträge nebenher hing mir auch diese Tätigkeit schon bald zum Hals raus. Die Fotografie ist meine Leidenschaft. Menschen und Momente einfangen, Emotion und Mimik einfrieren. Schicksale und Einzigartigkeit versuche ich in Bildern zum Ausdruck zu bringen. Das von diversen Fotografen anerkannte Talent nützt mir allerdings wenig. Ich bin ungeduldig und stehe unter dem Druck, zügig auf eigenen Beinen zu stehen und etwas Sinnvolles aus meinem Leben zu machen, um mich nicht wie Charly und Konsorten in Träumen zu verlieren. Der Stellenmarkt ist tote Hose – Assistenzjobs sind vergeben. Auf meine Bewerbungen, unter anderem zur Ausbildung im Fotostudio des Großunternehmens Kaiser, erhalte ich keine Antworten. Um ein zweites Mal zu studieren, fehlt mir die Kohle, da die meisten Studiengänge hohe Semestergebühren fordern. Andere wiederum versuchen mir mein Ziel auszureden, weil Fotografie ihrer Meinung nach nichts mehr mit Bildkunst zu tun hat und kaum gebraucht wird, es sei denn, man ist fit in Film und Beautyretusche. Filmen kann ich leider nicht.

      Harte Kritik

      November Gestern telefonierte ich mit Max Auerbach, einem anerkannten Fotografen, der mir von einem ehemaligen Arbeitskollegen meiner Mutter empfohlen wurde. Ein knallhartes, nicht ganz optimistisches, aber ehrliches Gespräch. Der Auerbach fragte mich, welche Präferenzen ich habe. „Sie wollen also Fotografin werden. Aber Sie haben mir noch nichts über Fotografie erzählt. Ich bin überzeugt davon, dass es sich ausschließlich um ein Hobby handelt. Wo sind Sie in Ihren Bildern? Wer sind Sie und was macht Sie aus? Sie meinen, es brauche Technikwissen und Equipment. Es braucht aber nichts dergleichen. Keine Lehre, keine Assistenzstelle. Das können Sie sich alles selber beibringen. Gehen Sie jeden Tag raus und produzieren Sie etwas, das so noch nicht existiert. Machen Sie Bilder, die herausragen. Ein Foto muss Eindruck machen, im Gedächtnis hängen bleiben. Es erlangt Aufmerksamkeit, wenn seine Grausamkeit Empörung schafft oder emotional berührt. Tun Ihre Fotos das? Ich schaue sie mir gerne an und entscheide, ob es sich überhaupt lohnt, Ihre angebliche Begabung zu unterstützen.“ Auf viele der Fragen wusste ich natürlich keine Antwort, andere habe ich überhaupt erst nach dem Gespräch verstanden. Seine Theorien machten mich wortkarg und unsicher. Ich schämte mich und fand auf einmal, dass meine Arbeiten im Großen und Ganzen wenig rüberbringen. Sie zeigen Persönlichkeiten, die mich in ihrer Einzigartigkeit beeindrucken. Unterschiedliche Szenen und Generationen, Randgruppen und Grenzgänger, Gesichter und Körper, die das Erlebte und Genetische in Mienen, Falten, Narben und Tattoos sprechen und hinter die Fassaden aus Geheimnis und Undurchschaubarkeit blicken lassen. Wohl nicht für jedermann außergewöhnlich. Ich habe viele kreative Konzeptideen gehabt, die in meiner Unizeit von diversen Dozenten zerrissen und niedergemacht wurden, sodass sich die regelfreie Phantasie und das Selbstvertrauen in mir irgendwann in Luft auflösten. Seither bin ich zu voreingenommen und blockiert, um künstlerisch aktiv zu sein. Ich fürchte mich davor, dass die meiner Seele entsprungenen Werke wieder auf negative Resonanz treffen und missbilligt werden könnten. Das wäre für mich unerträglich, ich will dieses Risiko nicht eingehen. Einer meiner Lehrer meinte, ich könne nicht malen, ein anderer behauptete, ich könne nicht fotografieren. Das hat mich zweifeln lassen und an meinem Ego gekratzt. Ich will sie zurück, diese naive Kindlichkeit ohne Vorsicht und Vorurteil. Mir fehlt eine deftige Portion Mut, um mich nicht durch fremde Meinungen und Geschmäcker beirren zu lassen. Ich bin ängstlich geworden und stelle jeden meiner Schritte in Frage. Ich zerfetze meine Gedanken in tausend Stücke und bin nicht in der Lage, die Puzzleteile zusammenzufügen, weil mich das Chaos überwältigt. Ich vermisse das Unbeschwertsein und die Freiheit, so viel Zeit zu haben, wie ich brauche, um mir klar zu werden, wohin die Reise gehen soll. Die Uhr tickt unaufhaltsam. Unwahrscheinlich, dass der Jackpot an meiner Haustür klingelt. Ich gehe zwiegespalten zur Verabredung mit Max Auerbach am Freitag. Es kann hilfreich sein, jedoch genauso gut meine Zukunftsvorstellung zum Einsturz zwingen. In meiner Schulzeit wollte ich Kunst studieren und habe mich stattdessen für Grafikdesign entschieden, da die finanziellen Chancen besser standen. Heute bereue ich es. Das Treffen mit Auerbach ist so verlaufen, wie ich es schlimmer nicht hätte befürchten können. Tatsächlich sind meine Zielsetzung und der Glaube an mein Durchhaltevermögen ins Wanken geraten. Das Gefühl des Versagens und die Überlegung, alles hinzuschmeißen und wieder bei null anzufangen, legen sich wie ein schwerer, nasskalter Nebel auf mein Gemüt. Seine Kritik trifft mich krass. Dass sie so bitter ausfallen würde, damit habe ich nicht gerechnet. Mehrfach schluckte ich das Entsetzen und die Demütigung hinunter. Meine Achseln produzierten unbeeinflussbar und pausenlos Schweiß; mein Hirn verbot, dem Groll freien Lauf und stille Wuttränen fließen zu lassen. Habe ich mich so arg in mir selbst getäuscht und seltendämlich jedes Lob dankbar angenommen oder nahm ich meine eigenen Zweifel nicht ernst genug? Schlecht fand ich meine Ergebnisse allerdings nie. Das eine gefiel mir mehr, das andere weniger. Nur war ich unschlüssig, ob es allgemein ausreicht. Aber ist nicht jeder Künstler selbstkritisch? Max Auerbach kam im ersten Moment, als sich unsere Blicke bei meinem Eintritt trafen, freundlich rüber. Ich schätze ihn auf Mitte siebzig. Er duzte mich inzwischen. Wir setzten uns und er erzählte mir, was er seit unserem Telefonat über mich dachte. Die Dreistigkeit, mit der er mich, ohne mich zu kennen, verurteilte, schockierte mich. Ganz gleich, ob zu Recht oder Unrecht – eigentlich stand es ihm nicht zu, so derart in mein Privates einzudringen. Meine Sympathie für ihn schrumpfte sogleich auf ein Minimum. Ich sei ein verwöhntes Einzelkind – aufgewachsen bei der alleinerziehenden Mutter, die mir aus schlechtem Gewissen keinen Wunsch hatte ausschlagen können und mir auch als Erwachsene jede Kleinigkeit an Aufgabe ins Hinterteil schiebe, sodass ich nichts allein zu erledigen brauche. Auerbach sei aufgefallen, dass ich mich häufig entschuldige und rechtfertige; insbesondere aber habe er gefunden, dass ich sehr ich-bezogen sei und angebe; meine Kreativität und mein Talent betone, jedoch keine Ahnung von alledem habe; dass mich Fotografie und Kunst nicht ernsthaft interessieren würden, ebenso wenig wie die Technik und das Handwerk. Wenn man etwas wirklich erreichen wolle, könne man dies genauso gut ohne Hilfe – man fange einfach irgendwo an. Er bezweifle, dass ich mir Regeln erteilen lasse, und befürchte, dass ich bockig werde, sobald die Dinge anders verlaufen, als ich es mir vorstelle. Ich trage nicht die Verantwortung, etwas selbst in die Hand zu nehmen, sondern erwarte, dass man mir diese abnehme. An diesem Punkt hielt er kurz inne und verlangte meine Arbeiten. Nachdem er mein Magazin durchgeblättert hatte, setzte er seine Beurteilung mit der Vorwarnung, seine Meinung werde nicht positiv ausfallen, fort. Diese möchte ich in etwa wörtlich versuchen wiederzugeben: „Ich sehe weder Kunst noch Kreativität in deinen Bildern. Sie sagen nichts aus, sie sind nicht anders, nicht besonders. Man kennt sie schon. Es gibt nur zwei, die gut geraten sind – wohl zufällig entstanden. Du hast keine Ahnung von Lichtverhältnissen, Bildaufbau und Grafik. Das ist nichts. Die Geschichten zu den Bildern sind negativ. Die Menschen werden auf ihre Schicksale reduziert, als Rand der Gesellschaft dargestellt und in ihrem Dreck sitzen gelassen. Du schaust auf sie herab, anstatt die positiven Seiten dieser Personen zu zeigen. Ich finde das egoistisch und leichtfertig. Du machst diese Fotos, um dich als jemand Besseres zu präsentieren.“ Ich fühlte mich beleidigt und zu Unrecht beschuldigt. Dass weder Herablassung noch Selbstverherrlichung in meiner Absicht standen, sondern einzig und allein die Charaktere und ihre Lebensinhalte, weil es mich interessierte, inwieweit diese zu Veränderungen im Verhalten und Handeln führten, hatte für Auerbach keine Bedeutung. Mein Fotobuch, das sich ausschließlich mit Frauen – auf der Suche nach sich selbst, im Ausmachen ihres Wesens, Denkens und Trachtens – beschäftigt und mit dazu passenden Statements unterlegt ist, änderte nichts an Auerbachs Einstellung. Ich sei untalentiert; es lohne nicht, sich für mich einzusetzen. Er sei zwar wegen seiner Connection in der Lage, mir meinen gewünschten Ausbildungsplatz im Fotostudio Kaiser zu verschaffen, aber wozu, wenn der Ideenreichtum in Fotografie, ebenso wie in Gestaltung, fehle. Er rate mir, mich beruflich neu zu orientieren. Ob ich ein wirkliches Talent habe, wollte Auerbach wissen. Ich flüsterte fast, ein Kloß im Halse steckend: „Ich schreibe gern.“ Erneut schlug er das Magazin auf und las. Ohne aufzusehen, fragte er, wer mir dabei geholfen hätte. Keiner. Wirklich keiner? Nein.

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