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Maresia. Katharina Conti
Читать онлайн.Название Maresia
Год выпуска 0
isbn 9783847667780
Автор произведения Katharina Conti
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Es ist keine interessante Geschichte, Hoheit.“ Nervös spielte sie mit dem Verschluss ihrer Uhr und verstohlen, wie ein kleines Mädchen, das verzweifelt hofft, nicht zu einer lächerlichen Darbietung genötigt zu werden, äugte sie zu mir. „Erzähl schon, Viktoria, was hast du aufgefressen in Paraguay?“ Aufmunternd grinste ich ihr zu, „oder traust du dich nicht?“ Sie lächelte verlegen, als schäme sie sich meiner dummen Frage; „ich habe nur ein grässliches Stück Pizza gegessen in Paraguay und ich bin dort nur hin gegangen, um mein Touristenvisum zu erneuern.“ „Der Brasilianer.“ Sie rutschte etwas hin und her, lächelte zu Ryan, „genau, und darum sind wir nach Paraguay. Das ist die nächste Grenze, bei Foz d’Iguaçu.“ „Bei den Fällen?“ „Ja! Kennen Sie sie?“ Sie hatte es vergessen, ich war überrascht, wie schnell es gegangen war; strahlend fiel ihr Blick auf James und dann erinnerte sie sich. „Hoheit?“ Er nickte. „Sie sind unglaublich. Unglaublich schön. Erzählen Sie weiter, Mrs. Tavares.“
Die Welle aus kaltem Hass, die jählings durch den Raum wogte, nahm mir fast den Atem und Viktoria sprach weiter, schnell und ganz auf Lucie konzentriert; „ja, also, ich musste Brasilien für vierundzwanzig Stunden verlassen und der Ort auf der anderen Seite des Flusses war ein ziemlich mieser Ort, ein Schmugglernest, und so fuhren wir weiter bis Asuncion, Capital, und dort wurden wir verhaftet, einfach so, mitten auf der Strasse.“ „Einfach so?“ „Ja. Wir wurden aufgehalten von einem“, sie hielt inne, sah mich fragend an, „Esquadrão?“ „Schwadron, Viktoria.“ „Ah ja, die Römer, blöd, also, von einem Schwadron Soldaten wurden wir aufgehalten und ich verstand kein Wort, von dem, was sie sprachen. Aber der Anführer war sehr böse auf Henrique und befahl einen Soldaten mit Maschinenpistole auf den Rücksitz unseres Autos.“ „Das ist nicht wahr?!“ „Doch.“ „Wie alt waren Sie damals?“ „Zwanzig, der Junge war höchstens achtzehn.“ „Und dann?“
„Ach, ich war sicher, er würde uns erschiessen. Er sagte Henrique, wie er fahren musste und wir kamen in eine sehr arme Gegend. Der Asphalt hatte aufgehört und die Strasse war voller Schlaglöcher und Wasserlachen, unglaublich heiss war es gewesen und feucht und alles, was ich je über südamerikanische Bananenrepubliken gehört hatte, lief Amok in meinem Kopf. Ja, ich habe wirklich Angst gehabt. Dann hielten wir vor einem Polizeiposten und Henrique sagte, ich solle im Auto bleiben, aber als der Junge bemerkte, dass ich nicht ausgestiegen war, kam er zurück, mit seinem Gewehr im Anschlag.“ „Was war es jetzt, Mrs. Tavares, ein Gewehr oder eine Maschinenpistole?“ Wie es ihm Spass gemacht hatte, sie in Bewegung zu halten; James versuchte gar nicht erst sein Interesse an ihr zu verbergen, warum hätte sich da mein Neffe Ryan zurückhalten sollen? Spöttisch schaute sie ihn an. „Etwas, das schiesst, eine Maschinenpistole, egal, ich bin ganz schnell ausgestiegen und er führte mich in das Haus, einen hohen Raum, schön kühl, achteckig, blau und grau getüncht, und an den Wänden standen lange Bänke. Sie waren voller Leute, die da einfach sassen und schwatzten.“
Selbstvergessen lächelte sie plötzlich, schüttelte leicht den Kopf, als könne sie noch immer nicht begreifen, wie man sich für ein Schwätzchen in einem Polizeiposten niederlassen kann; „und dann?“ „Da war ein Mann in Uniform, er sass mitten in dem Raum an einem Holztisch, versuchte zu telefonieren, hieb auf die Gabel. Er war sehr zornig. Der Tisch war ganz wackelig und das Telefon funktionierte nicht. Dann sah er mich.“ „Ich hätte sie gerne gekannt, als sie zwanzig waren, Mrs. Tavares.“ „Waren Sie da schon geboren? Wohl kaum, oder?“ Lucie lachte laut und fröhlich, und Ryan sah auf einmal sehr jung aus. „Die gerechte Strafe für diese unverschämte Unterbrechung, erzähl weiter, Viktoria“, und sie wurde lebhaft.
„So nett war er plötzlich, weisst du, furchtbar höflich. Er war begeistert. Eine Schweizerin in seinem Revier! Er wusste, dass die Schweiz mehrsprachig ist und er war sehr stolz, dass sie alle neben Spanisch auch noch Guaraní sprechen, nahm meinen Pass, zeigte ihn den Leuten; er ging von Hand zu Hand, jeder einzelne musste ihn sich anschauen, dann versuchte er noch einmal zu telefonieren und dann brüllte er. Wir hätten keine Stempel im Pass, seien illegal eingereist, ein schlimmes Verbrechen! Er brüllte und ich heulte sofort los, wollte die Schweizer Botschaft anrufen, aber das ging nicht, das Telefon war doch kaputt; es war ihm sehr peinlich und er wurde wieder freundlich. Aber ich habe nicht mehr vergessen, wo ich war und was er war.“ Ihr Blick ging ins Leere und sie schwieg.
„Was war er, Mrs. Tavares?“ Langsam wandte sie den Kopf, liess ihre Augen James‘ Gesicht streifen. „Er war bewaffnet, Hoheit. Ja, und dann warteten wir, stundenlang, und er erzählte uns von den unhaltbaren Zuständen in der Schweizer Armee.“ „Womit bewiesen wäre, dass man nicht alles glauben kann, was man liest, weder über noch in südamerikanischen Bananenrepubliken.“ Das Thema war erledigt, entschlossen verwickelte mich Paul in ein hochinteressantes Gespräch über eine weitere Poloniederlage, Lucie besprach mit Ryan die Pläne von morgen, selbst James zeigte sich kooperativ, antwortete gedehnt auf Rebeccas Fragen nach der letzten Filmpremiere, und dann durchschnitt Sandras scharfe Stimme die allgemeine Unterhaltung.
Ich habe sie nie für eine dumme Frau gehalten, kann bis heute nicht verstehen, warum sie sich nicht zurückgehalten hat an jenem Abend, ihre Lust zu reissen nicht bezähmte, den Wunsch ihr das Fell abzuziehen, es ihm zu Füssen zu legen. Sie hätte erkennen müssen, dass Viktoria nichts zu verlieren hatte.
„Wollten Sie mit Ihrer kleinen Geschichte vom Thema ablenken, Mrs. Tavares? Sie haben uns noch immer nicht gesagt, was sie von dem Skandal um die Schweiz halten.“ Träge richtet Viktoria sich auf, widerwillig. Ein sinnloses Spiel, sie wollte es nicht spielen; mit jeder Silbe der Sprache ihres Selbst brachte sie es zum Ausdruck, so aufreizend deutlich. „Traust du dich schon wieder nicht?“ „Was?“ „Zu antworten.“ „Nein“, beschwörend sah sie mich an, „das ist es nicht, es ist“, und sie stockte, versuchte ein Lächeln, suchte zu entkommen, „es ist nur, ich bin Schweizerin; neutral, absolut neutral.“
Ich kam ihr nicht zu Hilfe, dachte nicht einmal daran; „du hast also die Dokumentation gesehen. Was hältst du davon?“, und sie wandte sich ab, liess ihre Augen liegen, irgendwo mitten auf der Tafel. „Ich fand, sie war sehr gut geschnitten.“ „Wie meinen Sie das?“ „Gut geschnitten eben, zusammengefügt, editiert.“ „Wollen Sie damit sagen, dass die Aussagen in ihrem Kontext verändert wurden?“ Als müsse sie jedes Wort, das er eben gesagt hatte einzeln übersetzen, schaute sie auf Paul, dann lächelte sie. „Ganz genau.“ „Können Sie das begründen?“ „Ryan, Lieber, es geht nicht um den Film. Ich habe Mrs. Tavares gefragt, was sie von dem Skandal um ihr Land hält.“ Viktoria lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust, schaute in ihren Schoss und schwieg.
„Wollen Sie die Frage nicht beantworten, Mrs. Tavares?“ „Eigentlich nicht. Hoheit.“ „Und wenn ich darauf bestehe?“ „Tun Sie das?“ „Allerdings.“ Leicht hob sie den Kopf und so atemlos wie alle anderen sass ich da, verfluchte mich, weil ich ihr nicht beigestanden war, verfluchte James, warum konnte er es nicht gut sein lassen? Starr blickte ich sie an, wie sie an meiner Seite sass und nachdachte. Dann schaute sie auf und mit demselben durchdringenden Blick, der dieses Unbehagen in mir hervorgerufen hatte, den Gedanken, dass er sieht, was man nicht zeigen will, schaute sie direkt in Sandras Augen, richtete ihn dann auf mich.
„Also gut. Ich bin die Schweiz und ihr seid das besetzte Europa, mit Ausnahme von England und Portugal, natürlich. Habe ich eine Chance? Eine winzigkleine Chance mit dem Leben davonzukommen, zu verhindern, dass ich überrannt und niedergemacht werde, wenn ich mich nicht arrangiere? Oder glauben Sie im Ernst, dass die Schweiz dem tausendjährigen Reich den Krieg hätte erklären sollen?“ „Wollen Sie damit sagen, dass die Schweizer Regierung recht daran getan hatte, mit den Nazis zu paktieren?“ „Ich denke, dass unsere Regierung während des Krieges genau das tat, wofür sie bezahlt wurde. Sie schützte ihr Land, und basta.“
„Und dass einige ihrer Landsleute grossen Profit aus dem Krieg zogen, während die anderen