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von diesen eingebildeten Sorgen, unser Leben würde unendlich viel glücklicher und gesünder sein. Deshalb besteht eine der größten Aufgaben der Charakterbildung darin, die schädlichen Wirkungen der Furcht in allen Formen ihrer Erscheinung zu vernichten. Niemand kann ein natürliches, gesundes, sonniges, für andere segensreiches und mit sich selbst im Einklang stehendes Leben führen, solange er in einer Umgebung der Furcht lebt. Niemand kann auf ein glückliches und erfolgreiches Leben hoffen, solange er nicht die Keime der Furcht mit der Wurzel ausrottet. Es ist Pflicht für jeden Einzelnen, diesen Feind der ganzen Menschheit in seinem eigenen Geist zu besiegen und alles zu tun, was er kann, um auch andere, besonders die Jugend, aus den Krallen dieses Gespenstes zu reißen. Zum Glück haben Denker und Forscher gezeigt, dass dies möglich ist, und es ist eine herrliche Aussicht, zu denken, dass kommende Geschlechter lernen werden, alle Furcht zu verbannen und mit hellen Augen und hoffendem Herzen nach dem Ziel vollkommenen Glückes zu wandeln.

      5. Wie man die Furcht überwindet.

      Der Furchtgedanke, der Erzfeind der Menschheit, kann aus unsrer Denkgewöhnung ausgeschaltet und mit der Wurzel ausgerottet werden – aber nicht durch Unterdrückung.

       Horace Fletcher.

      Wenn wir daran gehen, die Furcht zu überwinden, müssen wir zu allererst genau wissen, was wir fürchten. Es ist immer etwas, was noch nicht eingetroffen ist:

       Du bebst vor allem, was nicht trifft.

      Das heißt aber soviel als: es ist etwas, was nicht vorhanden ist. Der Gegenstand der Furcht ist ein bloßes Gedankending, das wir uns einbilden und das uns nicht als Wirkliches, sondern bloß als Möglichkeit schreckt. Angenommen, du hast Furcht, das gelbe Fieber zu bekommen, das heißt, du fürchtest dich vor den Leiden, die mit der Krankheit verknüpft sind und vor dem möglichen üblen Ausgang. So lang du nun das Fieber noch nicht hast, ist es etwas noch nicht Wirkliches. Wenn du es hast, so bist du offenbar noch nicht daran gestorben, und niemand kann sicher sagen, dass du daran sterben wirst. Also ist alles, was zu irgendeiner Zeit für dich davon wirklich sein kann, Schmerz und Schwäche des Körpers. Der Zustand der Furcht macht alles Üble der Krankheit noch schlimmer und den schlimmen Ausgang der Sache beinahe sicher. Weil man sich vor dieser Krankheit so sehr fürchtet, deshalb ist sie so oft tödlich und sogar die tatsächliche Ansteckung scheint dabei vielfach von der Furcht vor der Ansteckung beeinflusst zu sein – das sage ich allen Anschauungen von Bazillen zum Trotz und obwohl ich weiß, dass ihre Rolle in der Entwicklung der Krankheit durch das Vergrößerungsglas nachgewiesen ist. Denn die Ansteckungskeime wirken auf einen gesunden und furchtlosen Menschen gewöhnlich nicht.

      Während in New Orleans ganze Massen am gelben Fieber erkrankten, lange bevor die Forscher sich über die Frage der Ansteckungsmöglichkeit geeinigt hatten, kam eine junge Lehrerin aus dem Norden mit hohem Fieber in Natchez im Staat Mississippi an. Dr. Samuel Cartwright wurde geholt und ließ, wie Dr. William H. Holcomb erzählt, am nächsten Morgen alle Bediensteten des Gasthofes und alle Gäste im Empfangszimmer zusammenkommen und hielt eine Rede etwa folgenden Inhalts an sie: „Das junge Mädchen hat das gelbe Fieber. Diese Krankheit ist nicht ansteckend und wenn Sie meinem Rate folgen, so werden Sie der Stadt einen allgemeinen Furchtausbruch ersparen, und ein solcher wirkt auf die Ansteckung wie ein Treibhaus auf die Pflanzen. Reden Sie nicht über den Fall; tun Sie, als ob er gar nicht vorgekommen wäre. Die Frauen im Haus mögen die Kranke pflegen, ihr Blumen und Erfrischungen bringen und tun, als sei es eine ganz harmlose Sache ohne jede Gefahr. Ich werde nicht nur das Leben dieser Kranken retten, sondern, wie ich hoffe, das Leben noch vieler anderer.“

      Dieser Weg wurde eingeschlagen; nur eine einzige Frau zog es vor, sich im entferntesten Zimmer des Gasthauses von aller Berührung mit anderen abzuschließen. Die junge Lehrerin wurde gesund und niemand im ganzen Haus bekam das gelbe Fieber, als nur diese eine von Furcht gequälte Frau; auch sie genas wieder.

      „Durch sein großes Ansehen und seine starke magnetische Kraft“, so sagt Dr. Holcomb, „zerstreute Dr. Cartwright die Furcht seiner Umgebung und verhinderte den Ausbruch einer Massenerkrankung. Für diese großartige Auffassung und erfolgreiche Anwendung des Grundsatzes von der Macht des Geistes und Gedankens über die körperlichen Zustände, die man erst jetzt allmählich zu erkennen anfängt, dafür verdient dieser Mann ein stolzeres Denkmal als mancher Held und Staatsmann.“

      Die meisten Menschen fürchten sich, auf einem schmalen Weg nahe neben einem Abgrund zu gehen. Wenn derselbe schmale Weg auf eine breite Straße aufgezeichnet wäre, so könnten sie sich ganz leicht auf ihm halten und dächten gar nicht daran, das Gleichgewicht zu verlieren. Das Einzige, was also dabei Gefahr bringt, ist die Furcht zu fallen. Kaltblütige Menschen sind furchtlos, sie lassen den Gedanken einer möglichen Gefahr nicht über sich Herr werden, sondern bewahren die volle Herrschaft über ihre körperlichen Fähigkeiten und Kräfte. Ein Seiltänzer oder Luftreckturner braucht nur die Furcht zu überwinden, um die meisten der Kunststücke fertig zu bringen, die die Zuschauer in solches Erstaunen versetzen. Für manches braucht er besondere Übung der Muskeln oder des Auges oder der Berechnung, aber die Hauptsache bei allem ist ein kühler, von Furcht freier Kopf.

      Die eingebildeten Gestalten, durch die ein Kind im Dunkeln bis zu Krämpfen erschreckt werden kann, sind für seine Eltern einfach nicht vorhanden. Sobald auch das Kind überzeugt ist, dass die gefürchteten Geister und Ungeheuer gar nicht vorhanden sind, verschwindet die Furcht. Ein Stadtkind, das noch niemals auf Gras gegangen war, zeigte große Furcht, als es zum ersten Mal auf nachgiebigem Rasen ging und schritt so zaghaft daher, als wandelte es auf heißem Eisen. Es war nichts zu fürchten, aber das Kind dachte, es sei etwas zu fürchten. Sobald der Glaube an eine Gefahr weg war, war auch die Furcht weg. So wäre es auch mit der Furcht der Erwachsenen, wenn nicht Gewohnheit, allgemein menschliche Gedanken und schlechte Erziehung in der Jugend uns Fallen stellten, denen wir schwer entgehen können. Wenn wir uns nur ein einziges Mal zu der Überzeugung erheben könnten, dass die Furcht nichts ist als eine Einbildung unsres Geistes, dass sie nirgends als in unserm Bewusstsein vorhanden ist, dass sie keine Macht zu schaden hat, als die, die wir selbst ihr verleihen – was für ein Segen wäre das für die Menschheit!

      Nimm eine der gewöhnlichsten Formen der Furcht: die Furcht, dass man seine Stelle verliert. Die Leute, die sich selbst mit der Angst vor diesem möglichen Fall unglücklich machen, sind offenbar noch nicht entlassen. So lang sie das noch nicht sind, fehlt ihnen überhaupt nichts und kann ihnen nichts fehlen. Ihre Lage ist also zufriedenstellend. Wenn nun die Entlassung eintritt, dann ist es zu spät, sich vor ihrem Kommen zu ängstigen, und alle frühere Angst zeigt sich also als reine Verschwendung, als etwas, das gar nichts genützt, sondern im Gegenteil uns noch für den Kampf um eine neue Stellung geschwächt hat. Wenn dieser Kampf beginnt, ist freilich ein neuer Anlass vorhanden, aus dem man sich ängstigen kann: die Furcht, dass man keine neue Stellung findet. Wenn aber eine solche gefunden ist, so zeigt sich wieder, dass jene Furcht nichts genützt, sondern höchstens geschadet hat. Es gibt gar keine Umstände, die die Furcht in irgendeiner Lage und zu irgendeiner gegenwärtigen Zeit rechtfertigen. Ihr Gegenstand ist immer eine eingebildete Lage in der Zukunft.

      Wenn du die verschiedenen Formen der Furcht überwinden willst, so verfolge jede auf diese Weise bis in ihre letzten Schlussfolgerungen und überzeuge dich selbst, dass das, was du fürchtest, im gegenwärtigen Augenblick nirgends vorhanden ist, als in deiner Einbildung. Ob es in Zukunft wirklich wird oder nicht, jedenfalls ist deine Furcht eine Verschwendung von Zeit, Energie und tatsächlicher geistiger und körperlicher Kraft. Lass das Fürchten sein, gerade wie du das Essen oder Trinken von etwas sein lässt, von dem du weißt, dass es dir früher geschadet hat. Und wenn du es durchaus nicht lassen kannst, dich vor etwas zu fürchten, so fürchte dich vor den verderblichen Wirkungen der Furcht, vielleicht hilft das!

      Aber die bloße Überzeugung, die du dir bildest, dass das, was du fürchtest, nur in der Einbildung vorhanden ist, genügt noch nicht: es muss noch dazu kommen, dass du deinen Geist dahin erziehst, dass er alle Furchtsuggestionen von sich weist und allen Gedanken, die dazu führen könnten, Widerstand leistet. Dazu bedarf es aber einer nie nachlassenden Wachsamkeit und einer lebhaften geistigen Anstrengung. Wenn Gedanken der Sorge oder Furcht sich dir aufdrängen wollen, so ist es nicht genug, wenn du ihnen nicht

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