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die einfachsten, vom gesunden Menschenverstand eingegebenen Regeln der seelischen und körperlichen Gesundheitslehre, bei denen das wichtigste Stück die Suggestion ist, die von einem tapferen Mut ausgeht.“

      Nicht zufrieden damit, Furcht vor Dingen einzuflößen, die wenigstens wirklich werden könnten, erfinden viele Mütter und die meisten Kinderwärterinnen noch alle Arten von Schreckgespenstern und Ungetümen, um die armen Kinder durch Schrecken zum Gehorsam zu bringen. Manchmal kann man sogar hören, wie ein Kind zum Schlafen gebracht werden soll durch die Worte: „Wenn du nicht sogleich einschläfst, kommt ein großer schwarzer Bär und frisst dich.“ Wie viel Schlaf würde wohl ein Erwachsener in einer Lage finden, wo so etwas wirklich möglich wäre?

      Die Furcht im Dunkeln würde es fast gar nicht geben, wenn die Eltern sich bemühten, den Kindern beizubringen, dass im Finstern alles ebenso ist wie im Hellen. Aber stattdessen bevölkern sie das geheimnisvolle Dunkel noch mit allen möglichen Ungeheuern und Gespenstern, wie sie die menschliche Einbildungskraft sich nur ausdenken kann.

      Die Mütter verschwenden eine Unsumme von Energie in der Angst um ihre Kinder. Manche finden keinen Augenblick Ruhe, solange ihre Jungen oder Mädchen ihnen aus den Augen sind. Wie oft hast du in der Einbildung dein Kind von einem Baum oder sonst wo herunterfallen sehen! Wie oft hast du sie ertrinken sehen, wenn sie im Boot fuhren oder Schlittschuh liefen! Wie oft hast du deinen Jungen im Geist vom Fußball oder andern Spielen mit gebrochenen Gliedern oder blutendem Gesicht heimtragen sehen! Wenn nun nichts von all dem eingetroffen ist, was ersetzt dir die Stunden der Angst mit ihrer Schwächung der Lebenskraft und des Lebensmutes? Solche nutzlosen Einbildungen aller möglichen Übel machen viele Frauen vor der Zeit alt und welk. Und das Schlimmste ist, dass so viele meinen, es sei ihre Pflicht und ein Zeichen ihrer Liebe, wenn sie sich die ganze Zeit ängstigen!

      Wenn so furchtsame und ängstliche Mütter ihre Kinder mit einem Luftkreis von Furcht umgeben und ihnen gar noch neue und unwirkliche Gegenstände der Furcht aufreden, dann ist es nicht zu verwundern, dass die ganze Welt belastet und niedergedrückt erscheint unter dem furchtbaren Gewicht der Furcht und Angst. Geh in irgendeine Versammlung von Menschen, und wie heiter und glücklich sie auch erscheinen mögen, du wirst finden, wenn du einen der Heitersten fragst, dass der Wurm der Furcht in irgendeiner Gestalt an seinem Herzen nagt. Die Furcht vor einem Unglücksfall, vor Krankheit, vor Verarmung, vor dem Tod, vor irgendeinem schrecklichen Unglück lauert auch unter der Decke der scheinbar größten Lustigkeit. So verbringen Tausende von Menschen ihr Leben unter dem Schatten der Furcht, gescheucht von der Angst vor einem unbekannten drohenden Übel.

      So spricht die Sorge zu Faust:

       Wen ich einmal mir besitze,

      

       dem ist alle Welt nichts nütze;

      

       ewiges Düstre steigt herunter,

      

       Sonne geht nicht auf noch unter,

      

       bei vollkommen äußern Sinnen

      

       wohnen Finsternisse drinnen,

      

       und er weiß von allen Schätzen

      

       sich nicht in Besitz zu setzen.

      

       Glück und Unglück wird zur Grille,

      

       er verhungert in der Fülle.

      Viele Menschen verderben sich ihr Leben durch das ewige Sorgen um das, was wohl morgen geschehen wird. Die Familie leistet sich nicht das kleinste erlaubte Vergnügen, keine Reise, keine gute Zeitschrift, keine Erholung, man spart an der Kleidung, sogar am Essen und allem, was zur Bildung und Erholung gehört, wenn es Geld kostet – alles bloß, weil vielleicht nächstes Jahr schlechte Zeiten kommen könnten. „Es kann eine plötzliche Wendung des Geldmarktes eintreten“, sagt der Schwarzseher. „Ein Kind kann krank werden, die Zeiten können schlecht sein, die Ernte kann missraten, eine geschäftliche Unternehmung kann missglücken. Wir können nicht voraussagen, was geschehen kann, aber wir müssen auf das Schlimmste gefasst und vorbereitet sein.“ So wird das Leben von Hunderten von Familien verkümmert und manchmal gänzlich gestört, alles durch das Schreckensgespenst eines bevorstehenden Unglücks.

      Eine der schlimmsten Eigenschaften dieses übersparsamen, ängstlichen und hoffnungsarmen Lebens ist die, dass es die Entwicklung der Jugend hindert und schädigt und seine dunklen Schatten gleichmäßig über die Zukunft wie über die Gegenwart wirft. Eine Tochter oder ein Sohn sollten zum Beispiel dieses Jahr eine bestimmte höhere Schule besuchen. Die Zeit eilt schnell, und ehe sie es merken, sind sie zu alt dazu. Aber Vater und Mutter sind überzeugt, dass sie sich dieses Jahr keine besondere Ausgabe leisten können, und so heißt es jedes Jahr: „Sie müssen noch ein bisschen warten.“

      Wie viele Menschen werden in ihrer Bildung geschädigt und ihrer Möglichkeiten beraubt, bloß weil ihre Eltern die nötige Ausbildung aus Furcht vor etwas, das niemals eintrat, aufgeschoben haben, bis es zu spät war!

      Niemand wird die richtige Sparsamkeit und Enthaltsamkeit herabsetzen wollen, aber diese dunkle Furcht, dass „etwas geschehen könnte“, dieses Aufschieben der Erholung, der Ausbildung, der Bildungsgelegenheiten, der Reisen, der Bücher, der unschuldigsten Vergnügungen, bis die Empfänglichkeit dafür erloschen ist – das ist eine Krankheit enger, hoffnungsarmer Seelen, gegen die jeder gesunde Mensch ankämpfen müsste.

      Denk an die Millionen von menschlichen Geschöpfen, die Gott geschaffen und auf diese frohe Erde gesetzt hat, ausgestattet mit allen Fähigkeiten, um ihr Leben zu genießen – diese müssen nun kostbare Jahre verlieren in Sorgen und Bangen: „irgendetwas könnte geschehen“.

      Welch eine bedauernswerter Anblick sind die ängstlichen Gesichter voller Sorgenfalten, die grauen Haare, der unglückliche Ausdruck aller derer, die sich so vor möglicherweise eintretenden Unglücksfällen ängstigen! Kaum einer unter tausend solcher Sorgenfalten, kaum eines unter Millionen grauer Haare verdankt seinen Ursprung einem wirklichen Unglück. Was die Haare ergrauen lässt und die Gesichter mit Falten durchfurcht, was den Schritten ihre Spannkraft nimmt und den Frohsinn aus dem Leben raubt, das sind Brücken, über die man nicht gegangen ist, Unglücksfälle, die niemals eingetroffen sind.

       Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,

      

       dort wirket sie geheime Schmerzen,

      

       unruhig wiegt sie sich und störet Luft und Ruh;

      

       sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,

      

       sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,

      

       als Feuer, Wasser, Dolch und Gift,

      

       du bebst vor allem, was nicht trifft,

      

       und was du nie verlierst, das musst du stets beweinen.

      Welche Verschwendung von Energie und menschlicher Lebenskraft ist mit dieser verderblichen Gewohnheit verknüpft, künftiges Übel in Gedanken vorauszunehmen! Denke, welche Summe von Arbeit du mit der geistigen und körperlichen Energie hättest leisten können, die du verbraucht hast mit der Furcht, es könnte etwas geschehen, was dann doch nicht geschah. Denke nur an die Stunden, die du mit dem Nachdenken

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