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sympathisiere. So kam es denn, daß, als bei der Reichstagswahl im Jahre 1884 Sonnemann mit unserem Kandidaten Sabor in die Stichwahl kam, Bismarck auf eine Anfrage der Frankfurter Nationalliberalen, wen sie wählen sollten, antworten ließ: »Fürst wünscht Sabor.« Und Sabor wurde gewählt.

      Bismarck hatte, wenn er einmal in Kampfstimmung war – und an jenem Tage besaß er sie –, die Gepflogenheit, sich wenig an den zur Beratung stehenden Gegenstand zu halten. Um seinem Herzen Luft zu machen, sprang er alsdann von einem Gegenstand zum anderen und schlug auf den Gegner los, der ihm im Wege stand. Oftmals zur Verzweiflung des Präsidenten, der nicht wagte, ihn zu unterbrechen, dann aber auch nicht verhindern konnte, daß die Angegriffenen sich wehrten und so eine Debatte entstand, die weit über den Rahmen des zu verhandelnden Gegenstandes hinausging. So auch diesmal.

      Nachdem er sich mit Sonnemann auseinandergesetzt, rückte er uns zu Leibe. Ehemals sei Frankreich das Versuchsfeld für den Sozialismus gewesen; nach dem Niederschlagen der Kommune sei es Deutschland geworden. Dann klagte er: die Deutschen seien geborene Kritiker, die an der Diskreditierung der Behörden und Institutionen ihre helle Freude hätten. Das treffe namentlich auf die Fortschrittspartei zu, die in den großen Städten den Boden für uns gelockert habe; sie sei die »Vorfrucht der Sozialdemokratie«. Dann fiel er aufs neue über uns her, verurteilte die Art unserer Agitation und wie wir die Massen in unser Garn lockten. Weiter klagte er über die Milde unserer Strafgesetzgebung, die Gutmütigkeit der Richter, über die Freizügigkeit, die Verführung der Massen durch die Vergnügungen in den großen Städten. Seine Rede war eine Jeremiade, die den Junkern und Junkergenossen aus der Seele kam. Aber sie enthielt keine Spur von staatsmännischer Einsicht in das Wesen und Getriebe der bürgerlichen Welt, in dem doch die Wurzeln liegen für all das, was er beklagte, und das die Sozialdemokratie zu einer naturnotwendigen Erscheinung des öffentlichen Lebens machte, mit der er rechnen mußte.

      Des weiteren klagte er über die Spaltungen in den bürgerlichen Parteien, über den Mangel an Vertrauen und Entgegenkommen von jener Seite. Seine Rede klang in die Aufforderung aus, sich zu einer Phalanx zusammenzuschließen, die sich in allen Teilen gegenseitig vertraue, so daß das Reich allen Stürmen gewachsen sei und ihnen einen wirksamen Widerstand entgegenzusetzen vermöge. Diese Aufforderung war nach alledem, was sich Bismarck selbst im gegenseitigen Ausspielen der Parteien geleistet und sich selbst noch in dieser Rede zur Erreichung seiner Zwecke geleistet hatte, dem Hause doch ein zu starkes Stück. Er schloß seine Rede ohne das geringste Zeichen von Beifall.

      Den nächsten Tag erhielt Hasselmann Gelegenheit, auf die Angriffe und Provokationen Bismarcks zu antworten. Er tat dies in einem großen Teil seiner Rede mit unleugbarem Geschick. Zum Schlusse verfiel er aber selbst in eine Provokation. Auf den Angriff Bismarcks in seiner vorletzten Rede gegen mich antwortete Hasselmann: Wir schleifen keine Dolche für den Fürsten Bismarck, wir verachten den Dolch, der von hinten trifft; wenn wir kämpfen, kämpfen wir Brust an Brust, aber wenn man für uns Kugeln gießt und Bajonette schleift, dann sagen auch wir: »Wenn wir in einer solchen Weise unter der Tyrannei einer Gesellschaft von Banditen existieren sollen ...« Darauf großer Sturm in der Versammlung. Der Präsident rief Hasselmann zur Ordnung wegen angeblicher Provokation zum Aufruhr. Hasselmann fuhr fort: »Nicht ich bin es, der provoziert; ich habe zur Genüge gesagt, daß ich den Weg des Friedens vorziehe (Lachen), ja ich ziehe ihn vor; ich bin aber auch bereit, mein Leben zu lassen. Fürst Bismarck möge auch einmal an den 18. März denken.«

      Löwe-Kalbe, der Hasselmann als Redner folgte, äußerte: Ich danke dem Herrn Redner, daß er das System Bebel in der Verteidigung seiner Sache verlassen hat und offen mit der Sprache herausgegangen ist. Herr v. Bennigsen, der jetzt ebenfalls das Wort ergriff, suchte durch lange Ausführungen den vernünftigen Standpunkt, den er bei der ersten Ausnahmegesetzvorlage nach dem Hödel-Attentat eingenommen hatte, zu verwischen. Er sagte jetzt: Vater, verzeihe mir.

      Im Verlauf der zweiten Lesung wurden die Debatten immer erregter. Die gesamten bürgerlichen Parteien schickten ihre besten Kräfte vor, um ihren Standpunkt zu verteidigen. Von unserer Seite nahmen Bracke, Fritzsche, Hasselmann, Liebknecht, Reinders und ich, die meisten von uns mehreremal das Wort. Ein lebhafte Szene rief Bracke hervor bei Beratung des § 4 der Vorlage, der später § 8 des Gesetzes wurde, der von der Auflösung der Vereine handelte und die Bestimmung enthielt, daß die Beschwerde gegen ein Verbot eines Vereins keine aufschiebende Wirkung habe. Gegen diese Bestimmung sprach sich Bracke in seiner kurzen Rede besonders scharf aus. Dann plötzlich aus der Konstruktion der Rede fallend, rief er in den Saal hinein: »Meine Herren, ich will Ihnen sagen, wir pfeifen auf das ganze Gesetz!«

      Wir brachen in stürmischen Beifall aus, der größte Teil des Hauses tobte vor Entrüstung, und der Präsident erteilte Bracke einen Ordnungsruf; draußen aber im Lande jubelte die Partei über diese drastische Kennzeichnung unserer Stellung zum Gesetz.

      Am 18. Oktober begann die dritte Lesung des Gesetzentwurfs. Der Abgeordnete v. Schorlemer Alst erklärte sich namens des Zentrums noch einmal scharf gegen den Entwurf: Wer wie wir unter solchen Ausnahmegesetzen gestanden hat, kann nun und nimmermehr für ein Ausnahmegesetz stimmen. Das war schön gesagt. Es kam aber bei späteren Beratungen über die Verlängerung des Gesetzes anders; auch im Zentrum fanden sich immer mehr Stimmen für dasselbe, oder man blieb der entscheidenden Sitzung fern, um eine Mehrheit für die Verlängerung zu sichern.

      Von unserer Seite nahm noch einmal Liebknecht das Wort, um in nachdrücklichster Weise das Gesetz zu bekämpfen, wohl wissend, wie er gleich bei Eingang seiner Rede bemerkte, daß die Würfel der Entscheidung bereits gefallen seien. Er rede nur, um seine Pflicht zu tun. Er schloß mit den Worten: »Der Tag wird kommen, wo das deutsche Volk Rechenschaft fordern wird für dieses Attentat an seiner Wohlfahrt, an seiner Freiheit, an seiner Ehre«. Den 19. Oktober fanden zwei Sitzungen statt; die Mitglieder drängten, nach Hause zu kommen. Die erste wurde um 10 Uhr 30 Minuten, die zweite um 2 Uhr 15 Minuten eröffnet. Die letztere diente ausschließlich der namentlichen Abstimmung. Während derselben herrschte atemlose Stille. Alsdann verkündete der Präsident das Resultat. Es hatten an der Sitzung 370 Abgeordnete teilgenommen – das Haus zählt 397 –, von denen 221 mit Ja, 149 mit Nein stimmten. Das Mehr betrug also 72 Stimmen. Alsdann erhob sich Bismarck und verlas die kaiserliche Botschaft, durch die die Session geschlossen wurde. Aber er begnügte sich nicht damit; er richtete an das Haus noch eine Ansprache. Er gebe der Befriedigung Ausdruck, äußerte er, daß ungeachtet großer Meinungsverschiedenheiten, die sich, zu Anfang der Beratung herausgestellt hätten, eine für alle zustimmenden Teile befriedigende Lösung gefunden worden sei. Sollte das Gesetz im Verlauf seiner Wirksamkeit ergeben, daß es seinen Zweck nicht erreiche, so würden sich die verbündeten Regierungen wieder vertrauensvoll an den Reichstag wenden, um entweder eine Verschärfung des Gesetzes oder eine Reform der Allgemeingesetzgebung, die er für den besseren Weg halte, zu erreichen. Die verbündeten Regierungen hegten alsdann die Hoffnung, daß, nachdem sie durch loyale Handhabung des Gesetzes das Vertrauen des Reichstags gerechtfertigt hätten, die Hilfe und der Beistand des Reichstags ihnen nach Maßgabe der Bedürfnisse nicht fehlen werden.

      Die Versicherung, man werde das Gesetz loyal handhaben, klang wie Ironie. Ein Gesetz, das dem Ermessen der Behörden alle Tore und Türen öffnete, war ein Freischein für die Willkür. Das sollte sich bald genug zeigen. Und Bismarck war der erste, der jede Willkürmaßregel, sobald sie sich gegen uns richtete, verteidigte und rechtfertigte.

      Nachdem er alsdann die Sitzungen des Reichstags für geschlossen erklärt hatte, brachte der Präsident das übliche Hoch auf den Kaiser aus. Wir hatten uns mittlerweile aus dem Saal entfernt und verließen, wenn auch als Geschlagene, guten Mutes das Haus, hoffend, der Tag werde kommen, wenn auch erst nach schwerer Zeit, an dem wir als Sieger zurückkehrten. Ich leugne nicht, mich packte der Ingrimm, als ich nach Hause fuhr. Ich nahm mir in jener Stunde vor, soweit es an mir läge, alles aufzubieten, um die Wirksamkeit des Gesetzes zu durchkreuzen, und ich habe mein mir gegebenes Wort redlich gehalten.

      Unsere Feinde hatten es eilig. Am nächstfolgenden Tage wurde bereits das Gesetz verkündet. Es trat den 21. Oktober in Kraft.

      Sobald der Reichstag am 17. September die erste Lesung beendet hatte und der Entwurf in die Kommissionsberatung ging, fuhr die Fraktion

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