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neun Jahre später seine Erfüllung.

      Nach Helldorf kam ich als erster Redner der Fraktion zum Wort. Die Fraktion war übereingekommen, das Gesetz sowohl im ganzen wie in seinen Einzelheiten nachdrücklich zu bekämpfen, und hatte zu diesem Zweck die Redner für die verschiedenen Materien bestimmt. Vahlteich und Kayser konnten sich an den Verhandlungen nicht beteiligen, sie genossen um jene Zeit Staatsquartier.

      Meinem Grundsatz entsprechend, der Hieb sei die beste Deckung, ging ich der Vorlage und den Vorrednern in zweistündiger Rede zu Leibe. Zunächst gab ich eine Vorgeschichte des Gesetzentwurfes, wobei ich nachwies, daß die amtliche Darstellung mehrfach mit der Wahrheit in Widerspruch stehe. Des weiteren griff ich das willkürliche Verhalten der Polizeibehörden und die barbarischen Urteile der Gerichte in der Attentatsperiode an, Vorkommnisse, die zu den traurigsten und beschämendsten Vorgängen der neueren deutschen Geschichte gehörten und eine Schmach und Schande für das Deutsche Reich seien. (Ordnungsruf.) Alsdann behandelte ich die Geschichte der Partei. Ich wies auf die Versuche Bismarcks hin, unmittelbar nach seinem Eintritt in das preußische Ministerium, September 1862, durch seine Agenten Einfluß auf die Bewegung zu gewinnen, auf seine Verhandlungen mit Lassalle, auf die Bemühungen seines Geheimrats Lothar Bucher, Karl Marx zum Mitarbeiter am »Staatsanzeiger« zu werben, auf die Rolle Schweitzers im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein usw., Vorkommnisse, die deutlich zeigten, daß Bismarck von nichts weniger beseelt sei als von Abscheu gegen die Sozialdemokratie. Ihn treibe vielmehr der Ärger, daß die Partei sich seinen Plänen unzugänglich erwies und der heftigste Gegner seiner Politik wurde, was ihn bewogen habe, die Attentate, die anständigerweise niemand uns an die Rockschöße hängen könne, für ein Ausnahmegesetz gegen uns auszunutzen.

      Mit dem Gesetz, so führte ich weiter aus, werde man aber den beabsichtigten Zweck nicht erreichen. Die Sozialdemokratie werde unter ihm und durch es erst recht an Anhang gewinnen. Das Interesse für sie werde zunehmen, und nicht wir, sondern unsere Gegner würden die Besiegten sein. Man solle also den Entwurf dahin verweisen, wohin er gehöre, in den Papierkorb, im Kampfe gegen uns sich aber nicht auf leere Beschuldigungen und Redensarten, sondern auf Tatsachen und Beweise stützen, die bisher nicht erbracht worden seien.

      Des weiteren entwickelte ich, wie wir aller Voraussicht nach unter dem Sozialistengesetz für die Verbreitung unserer Ideen arbeiten würden, ohne daß die Polizei uns an den Leib könne, und wie die Verbreitung der verbotenen Literatur einen Umfang annehmen werde, wie wir ihn bisher nicht gekannt. Die Zukunft werde zeigen, daß das Gesetz seinen Zweck verfehle.

      Meine Rede hatte, wie die Ausführungen der nachfolgenden Redner bewiesen, die gewünschte Wirkung erzielt, auch die Presse aller Parteien im In- und Ausland beschäftigte sich mit ihr. Der preußische Minister des Innern Graf zu Eulenburg, der nach mir das Wort ergriff, machte es wie sein Kollege Graf zu Stolberg-Wernigerode, er faßte sich kurz. Er begnügte sich, aus einer meiner Schriften einige Zitate vorzutragen, die beweisen sollten, daß die Partei eine Anhängerin des gewaltsamen Umsturzes sei. Im übrigen bestritt er, daß Beziehungen zwischen der Sozialdemokratie und Vertretern der Regierung bestanden hätten, oder doch nur zu einer Zeit, in der die Partei eine andere gewesen sei. Ihm sei von Vereinbarungen oder Verbindungen wie den von mir geschilderten nichts bekannt; er müsse, bis Tatsachen angeführt würden, auf die er im einzelnen antworten könne, solche Anknüpfungsversuche auf das bestimmteste in Abrede stellen. Anders der nationalliberale Abgeordnete Dr. Bamberger, der in kurzer Rede die Gefährlichkeit der sozialistischen Lehren darzulegen versuchte, aber auch mit Unbehagen konstatierte, daß man in maßgebenden Kreisen nicht allezeit der Sozialdemokratie abweisend gegenübergestanden habe, das bezeugten schon Bismarcks Beziehungen zu Lassalle. Was ich darüber gesagt, sei zum Teil schon bekannt gewesen, zum Teil aber neu. Aber auch im »Staatssozialist«, den Stöcker, Pastor Todt und Genossen gegründet hatten, seien Anschauungen vertreten worden, die sich mit den unserigen deckten, dort aber viel gefährlicher wirkten. Er beantragte, eine Kommission von 21 Mitgliedern einzusetzen. Das Gesetz bedürfe einer eingehenden und aufmerksamen Prüfung, denn meine Rede habe ihn überzeugt, daß kein Versuch unterlassen werden dürfe, um die Gesellschaft vor den Gefahren zu schützen, die ich ihnen vorgeführt. Bamberger, der fast zwei Jahrzehnte als politischer Flüchtling in Paris gelebt hatte, tat, als erfahre er erst durch meine Rede, was der Sozialismus sei.

      Am nächsten Tage erschien Bismarck, um gegen mich zu polemisieren. Er entschuldigte sich mit seinem Gesundheitszustand, der ihn bisher genötigt habe, den Verhandlungen fernzubleiben. Aber er sei nunmehr erschienen, um der Legendenbildung, zu deren Organ ich mich gemacht, entgegenzutreten, damit sie nicht Geschichte werde. Ich habe das Wesentliche der Ausführungen Bismarcks gegen mich schon im ersten Bande (erste Auflage Seite 63 ff., zweite Auflage Seite 65ff.) angeführt. Ich verweise hier darauf. Zum Schlusse seiner Rede versicherte er: Er habe erst durch meine Kommunerede (Mai 1871) die wahre Natur der Sozialdemokratie erkannt und sei von da ab unser ausgesprochener Feind geworden. Er habe auch wiederholt, wie das Haus wisse, Versuche gemacht, uns als Feinde von Staat und Gesellschaft durch gesetzgeberische Maßnahmen in die Schranken zu weisen, er sei aber damit bei dem Hause nicht durchgedrungen. Die sozialistische Presse habe gedroht und gerufen »discite moniti«. »Ihr seid gewarnt. Wovor denn gewarnt? Doch vor nichts anderem als vor dem nihilistischen Messer und der Nobilingschen Schrotflinte. Ja, meine Herren, wenn wir in einer solchen Weise unter der Tyrannei einer Gesellschaft von Banditen existieren sollen, dann verliert jede Existenz ihren Wert.« (Beifall rechts.) Jetzt gelte es den Kaiser zu schützen. »Daß bei der Gelegenheit vielleicht einige Opfer des Meuchelmords unter uns fallen werden, das ist ja sehr wohl möglich; aber jeder, dem das geschehen könnte, mag eingedenk sein, daß er zum Nutzen, zum großen Nutzen seines Vaterlandes auf dem Schlachtfeld der Ehre bleibt.« Die Rechte brach nach diesen Worten in einen Beifallssturm aus, wir protestierten und ich verlangte das Wort zur Geschäftsordnung, um gegen den Kanzler wegen der uns zugefügten Beleidigungen den Ordnungsruf zu fordern. Aber bereits hatte der Präsident dem alten Feuerbrand der Konservativen, Herrn v. Kleist-Retzow das Wort erteilt. Dieser wetterte gegen uns mit dem ganzen Fanatismus eines christlich-preußischen orthodoxen Junkers, der für die Vorrechte seiner Klasse kämpft. Unsere ganze Tätigkeit in Presse und Versammlungen falle unter die Vorbereitung zum Hochverrat. Unsere Gesänge seien Schlachtgesänge, unsere ganze Tätigkeit eine Vorbereitung zum Kriege. Wir raubten dem Volke die Religion, was zur Folge habe, daß das Volk schon im Diesseits nicht bloß die gleichen Rechte, sondern auch die gleichen Genüsse fordere. Er schloß seine Philippika mit einer Klage über die steigende Unzufriedenheit und mangelnde Dankbarkeit und die Verderbtheit großer Massen, die das Christentum gefährde.

      Ich erhielt nunmehr das Wort zur Geschäftsordnung und forderte den Ordnungsruf sowohl gegen den Reichskanzler wie gegen Herrn v. Kleist-Retzow, der uns der Vorbereitung des Hochverrats beschuldigt habe. Der Präsident bestritt, daß die Äußerungen der Vorredner den von mir behaupteten Sinn gehabt hätten. Er müsse jeden Versuch, in seine Geschäftsführung einzugreifen, zurückweisen.

      Bracke, der alsdann das Wort erhielt, sprach im Gegensatz zu dem leidenschaftlichen Charakter, den die Debatte angenommen hatte, sehr ruhig. Auf die Zitate, die der Minister des Innern und Herr v. Kleist-Retzow aus Schriften von uns vorgetragen hatten, antwortete er mit Zitaten aus den Schriften bürgerlicher Schriftsteller, die zum Teil aus der Kulturkampfzeit stammten und an Schärfe alles übertrafen, was man gegen uns anführen konnte. Auf die liberalwirtschaftlichen Theorien Bambergs antwortete er mit der sozialistischen Auffassung von Staat und Gesellschaft. Auch er erklärte, daß unsere Gegner mit der Ausnahmegesetzgebung uns nicht überwinden würden.

      Nach Bracke suchte der Elsässer Fabrikant Dollfuß nachzuweisen, daß sie mit ihren sogenannten Wohlfahrtseinrichtungen in Mülhausen ein Arkanum gegen die Sozialdemokratie besäßen. Aber noch vor Ablauf des Sozialistengesetzes wurde Mülhausen durch einen Sozialdemokraten im Reichstag vertreten. Dem Elsässer folgte ein polnischer Redner, der die preußische Ausnahmegesetzgebung gegen die Polen am eigenen Leibe kennengelernt hatte. Er sprach sich scharf gegen die Vorlage aus. Das veranlaßte den ihm folgenden Herrn v. Kardorff, sich um so eifriger für sie einzusetzen. Nach einer längeren Rede Eugen Richters, worin dieser sich namentlich mit dem Reichskanzler auseinandersetzte, beschloß die Mehrheit den Schluß der Generaldebatte, wodurch mir das Wort zu einer Entgegnung auf die Rede des Reichskanzlers abgeschnitten wurde. Ich konnte ihm nur in einer persönlichen Bemerkung eine Anzahl seiner gegen mich

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