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er sich in rücksichtsloser Wahrheitsliebe gedrängt, Enthüllungen zu machen, die manchen angesehenen Genossen kompromittierten. Zu meinem Erstaunen fand ich nichts, das auch nur im entferntesten in dieser Weise wirken konnte. Vielleicht sollten die für einige Namen peinlichen Wahrheiten erst in den kommenden Ausführungen vorgebracht werden, die nun für immer begraben sind.

      Zur Veröffentlichung habe ich nur gebracht, was an druckfertigem Manuskript vorlag. Für die Arbeit darüber hinaus hatte Bebel ein umfangreiches Material zusammengetragen. Briefe, Dokumente, Zeitungsausschnitte, Exzerpte, Flugschriften und dergleichen mehr. Das Material reicht bis zum Jahre 1890 und wird den Geschichtschreibern der Partei manchen wertvollen Fingerzeig liefern.

      Ich erlaube mir, hier schon einen Passus aus einem Brief an Schlüter zu zitieren. Er behandelt den Elberfelder Prozeß. In meiner Besprechung der Wendelschen Bebelbiographie hatte ich bemerkt, der Prozeß und Bebels Rolle dabei scheine ziemlich vergessen zu sein. Wendel hatte ihn nicht erwähnt. In einer späteren Auflage hat er allerdings das Versäumte nachgetragen. Trotzdem dürfte es von Interesse sein, zu erfahren, was Bebel noch während des Prozesses selbst am 1. Dezember 1889 schrieb:

      »Der Prozeß ist ein Skandal, wie noch keiner da war, eine Schmach und Schande für die Staatsanwaltschaft und Polizei.

      Das ließen sich beide nicht träumen, daß das Hereinziehen meiner Person unter die Anklage ihnen dieses furchtbare Fiasko bereitete. Der Staatsanwalt hat schon am zweiten Tage sich privatim geäußert: Dieser Mensch verpfuscht mir den ganzen Prozeß, und die nächsten Tage wurde es noch schlimmer. Ich hoffe, daß der Prozeß für die allermeisten Angeklagten glücklich verläuft. Ein Teil fällt auf lokale Geschichten und wegen seiner Beziehungen zu Z. (Zürich) beziehungsweise Ld. (London) herein.

      Ärgerlich ist nur die Masse Zeit, die er erfordert. Aber wenn ich überlege, daß die Angeklagten höchstwahrscheinlich wie Hammel abgeschlachtet wurden, wenn ich nicht dabei war, weil sie das Material nicht beherrschten, dann soll mich das Opfer nicht reuen.

      Ich denke, es ist der letzte große Geheimbundprozeß, den sie in Deutschland aufspielen.«

      Es war der letzte Prozeß dieser Art. Bald darauf fiel das Sozialistengesetz.

      Daneben fand ich auch eine Reihe kurzer, handschriftlicher Notizen, die aber über die bloße Feststellung von Daten in wenigen Worten nicht hinausgehen. Ausführungen einzelner Partien sind nicht vorhanden, auch nicht solche in fragmentarischer Form. Außer dem hier veröffentlichten Manuskript vermochte ich nichts zu entdecken, das man als »Erinnerungen« Bebels hätte veröffentlichen können. Jede Hinzufügung zu dem druckfertig vorliegenden Manuskript wäre die Weiterarbeit eines andern an dem Bande gewesen, die sich der Autor, und mit Recht, verbeten hatte, denn alle derartigen Hinzufügungen konnten, auch wenn sie noch so einwandfrei waren, nicht als Erinnerungen Bebels gelten. Deren Weiterführung durch mich war ausgeschlossen. Ich habe mir nur erlaubt, da sie ganz unvermittelt abbrechen, ein abschließendes Nachwort anzufügen, in dem ich einige Briefe aus dem Briefwechsel zwischen Bebel und Engels mitteile, die sich zeitlich an die letzten Ausführungen des unterlassenen Manuskripts anschließen.

      Meine Arbeit als Herausgeber war also nicht sehr groß. Weit größer der Genuß, den sie mir bot, schon dadurch, daß sie mir erlaubte, jene Zeiten nochmals zu durchleben, die das Heldenzeitalter unserer Partei bedeuten. Keiner, dem es vergönnt war, sie mitzumachen, kann ihrer anders gedenken als mit Stolz. Die jüngere Generation aber vermag aus der Erinnerung an jene siegreich bestandenen schweren Prüfungen Mut und Kraft zu schöpfen für die großen Kämpfe, die ihr bevorstehen. Denn das Schwerste liegt noch vor uns: die Eroberung der politischen Macht.

      Bebels heißester Wunsch, uns dabei vorangehen zu können, ist unerfüllt geblieben. Aber was unsterblich war an unserem großen Vorkämpfer, das lebt in uns weiter und wird uns führen zu Sieg und Triumph!

      Januar 1914

      K. Kautsky

      Die Eröffnung des neugewählten Reichstags wurde im Weißen Saale des königlichen Schlosses vollzogen. Man hatte erwartet, es werde an Stelle des immer noch leidenden Kaisers der Kronprinz die Thronrede verlesen. Aber es erschien weder dieser noch der Reichskanzler. Dieses Amt übernahm vielmehr der Stellvertreter des Reichskanzlers, der Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode.

      Dieser Vorgang gab zu lebhaften öffentlichen Erörterungen Veranlassung. Man schloß daraus, der Kronprinz sei mit dem Ausnahmegesetz nicht einverstanden und habe sich deshalb geweigert, den Reichstag zu eröffnen. Bismarck hingegen habe wieder aus Ärger über diese Weigerung auf die Eröffnung verzichtet, so sei sein Stellvertreter zu dieser Ehre gekommen.

      Dieser Froschmäusekrieg in den höchsten Regionen war ja immerhin interessant, aber an der Sache änderte er nichts; denn daß der Ausnahmegesetzentwurf in der einen oder anderen Form Annahme finden werde, daran konnte nach dem Ausfall der Wahlen und der Stimmung in einem großen Teile der Presse nicht gezweifelt werden.

      Die Vorlage hatte vor ihrer Vorgängerin vom Mai voraus, daß sie weit gründlicher als diese durchgearbeitet war. Dagegen war ihre Begründung eine äußerst dürftige. Die verbündeten Regierungen, hieß es unter anderem in ihr, seien durch die Attentate und die vielen denselben folgenden Majestätsbeleidigungen davon überzeugt worden, daß in weiten Kreisen eine jedes sittliche und rechtliche Gebot verachtende Gesinnung herrsche, die Staat und Gesellschaft mit großen Gefahren bedrohe. Es bedürfe also gesetzlicher Vorschriften, die sich gegen die sozialdemokratische Bewegung, als die Trägerin jener Gefahren, richteten.

      Es folgte alsdann eine kurze und recht oberflächliche Darstellung der sozialistischen Bewegung seit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (1863) und der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation (1864). Dieser kärglichen geschichtlichen Darstellung folgte der Abdruck der Statuten der Internationale und des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, des Eisenacher und Gothaer Programms und das Genter Manifest vom Jahre 1877. Das Statut der Internationale enthielt den Satz:

      »Der erste internationale Arbeiterkongreß erklärt: daß die Internationale Arbeiterassoziation und alle ihr angehörigen Gesellschaften und Individuen Wahrheit, Recht und Sitte als die Grundlage ihres Betragens untereinander und gegen alle ihre Mitmenschen ohne Rücksicht auf Farbe, Bekenntnis oder Nationalität anerkennen.«

      Dieser schöne unanfechtbare und nur zu lobende Satz wurde jetzt mit zur Begründung eines Ausnahmegesetzes verwendet. Weiter folgten Auszüge aus den Rechenschaftsberichten der Partei auf den Kongressen zu Gotha in den Jahren 1876 und 1877. Es waren alles Aktenstücke, die öffentlich erschienen und jedem bekannt waren, der sich mit der Arbeiterbewegung beschäftigte. Diese mußten jetzt als Material für den Scheiterhaufen dienen, auf dem man die sozialdemokratische Partei zu verbrennen hoffte.

      Die Verhandlungen über die Vorlage begannen am 16. September unter dem Präsidium v. Forckenbecks. Der Stellvertreter des Reichskanzlers eröffnete die Debatte mit einer äußerst dürftigen Rede, die kaum fünf Minuten in Anspruch nahm. Der Reichskanzler blieb den Verhandlungen fern. Wozu sollte er sich in rednerische Unkosten stürzen bei einer Reichstagsmehrheit, die den festen Willen hatte, ihm ein annehmbares Gesetz zu apportieren?

      Der erste Redner aus dem Hause war der Vertreter des Zentrums, der Abgeordnete Peter Reichensperger-Olpe. In jenen Tagen spürte das Zentrum den Kulturkampf, wenn er auch schon im Abbröckeln war, noch in allen Knochen. Ein Ausnahmegesetz, wenn auch gegen eine ihm verhaßte Partei, erschien ihm schon wegen der Konsequenzen bedenklich. Auch hätten seine Anhänger eine solche Haltung nicht verstanden, nachdem man selbst unter Ausnahmegesetzen stand. So erklärte sich Herr Reichensperger »einstweilen« gegen Annahme und Amendierung des Gesetzentwurfes.

      Anders der Abgeordnete v. Helldorf-Bedra, einer der Heißsporne der konservativen Partei. Er sprach sich mit erfrischender Deutlichkeit für den Gesetzentwurf aus und warf die Frage auf, ob es mit dem Ausnahmegesetz genug sei, ob es sich nicht auch empfehle, eine Änderung des Reichstagswahlrechtes in dem Sinne vorzunehmen, daß Garantien für ein gereifteres Alter und größere Seßhaftigkeit geschaffen werden, und ob es nicht ratsam sei, die Legislaturperioden des Reichstags zu verlängern, um

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