Скачать книгу

sture Ausdruck in ihren blauen Augen zeigte mir, dass ich keine Chance hatte. Meine Mutter würde nicht nachgeben, bis ich etwas aß. Und ehrlich gesagt hatte ich Hunger – heute war schließlich schrecklich viel passiert.

      Also ergab ich mich. „Okay, okay.“

      Wir deckten den Tisch mit Brot, Butter, Käse, Wurst und Eiern. Natürlich aß ich keine Wurst auf meinem Brot, denn ich war überzeugte Vegetarierin und konnte unmöglich meine geliebten Verbündeten essen. Schlimm genug, dass so viele von ihnen geschlachtet wurden ...

      „Was hast du denn alles mit deinem Vater unternommen?“, erkundigte sich meine Mutter beim Essen. „Lange warst du ja nicht bei ihm.“

      „Die Zeit hat gereicht“, entgegnete ich knapp. „Wir haben viel geredet und uns viel bewegt. Ich war ordentlich unterwegs.“ Immerhin log ich nicht.

      „Und wie sieht seine Mietwohnung aus?“, hakte sie nach. „Ich war noch gar nicht dort, bisher hat es sich nicht ergeben.“

      Natürlich hatte es sich nicht ergeben. Mein Vater würde niemals zulassen, dass seine Frau von seinem wahren Beruf erfuhr. Wahrscheinlich hielt er sie mit dummen Ausreden fern.

      „Mir gefällt nicht, wo er wohnt“, äußerte ich mich. „Zu düster und grau.“ Langsam wurde es schwierig, meine Aussagen so unkonkret zu machen, dass sie noch der Wahrheit entsprachen. Außerdem musste ich mich sehr zusammenreißen, um so zu tun, als sähe ich Erik noch als meinen Vater an. Als wollte ich ihn nicht sofort ins Gefängnis werfen.

      „Erik hatte noch nie ein glückliches Händchen bei der Inneneinrichtung“, seufzte meine Mutter. „Ich muss ihn wohl doch bald mal besuchen. Sonst lebt er weiter in so einem Loch.“

      Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Mach das. Ich muss jetzt aber wirklich los, ich bin schon eine Stunde hier ...“

      Sie nickte. „Na gut. Ich räume die Küche auf, hol deine Sachen und geh.“

      „Danke, Mama. Auch für das Essen“, entgegnete ich und umarmte sie fest.

      „Gerne, Schatz. Für dich doch immer. Hab einen schönen Tag und lass von dir hören.“ Lächelnd löste sie sich von mir.

      „Klar“, versprach ich und huschte in mein Zimmer, um meinen Rucksack und den Koffer, in dem sich unter anderem meine Uniform befand, zu holen.

      Der Gedanke, dass meine Mutter alles erfahren und den Schock ihres Lebens erleiden könnte, gefiel mir nicht. Mir war klar, dass es irgendwann so kommen musste. Irgendwann würde Erik festgenommen werden, also ließ sich nicht vermeiden, dass Cassandra die ganze Wahrheit erfuhr. Aber die Vorstellung bereitete mir Bauchweh. Sie wusste ja nicht mal, wer ich wirklich war ...

      Kurz fiel mein Blick auf die große Tasche mit Lloyds E-Gitarre, die an meinem Kleiderschrank lehnte. Unwillkürlich musste ich lächeln. Mein Freund hatte mir im Zwangsurlaub Gesellschaft geleistet und mir ein paar Griffe auf dem Instrument beigebracht. So gerne, wie ich sang, spielte er Gitarre. Wir waren beide begeistert von Musik.

      Doch ich riss mich rasch von der Erinnerung los, weil es etwas Wichtigeres gab. Ich musste meinen Kollegen helfen, das Versteck der Schattenbringer zu durchsuchen und jeden anwesenden Verbrecher zu verhaften. Hoffentlich befand sich Lloyd nicht mehr im Gebäude ... Er war der Einzige, den ich niemals festnehmen könnte.

      Nachdem ich mich von meiner Mutter verabschiedet hatte, rannte ich aus Brislingen hinaus zum Eingang des Waldes. Hier konnte ich ungesehen einen Flugvogel rufen. Obwohl ich mit dem Animalia zügig vorankam, verlor ich zu viel Zeit. Erst das Essen mit meiner Mutter und jetzt musste ich auch noch nach Windfeld, weil ich mich nirgendwo umziehen und in den Ranger Takuto verwandeln konnte – außer bei mir zu Hause.

      In Rekordzeit stürmte ich in den ersten Stock, in dem mein Zimmer lag, und knallte die Tür hinter mir zu. Ich stellte mein Gepäck ab und holte meine Uniform aus dem Koffer. Dann pfefferte ich meine Klamotten über die Stuhllehne und schlüpfte in die dunkelbraune Hose, die enge Jeansweste, das weiße Hemd und die hellbraune Jacke. Außerdem legte ich mein braunes Halstuch an und versteckte meine Haare unter einem braunen Cap. Ein Blick in den Spiegel versicherte mir, dass ich als Mann durchging. Die Weste und die zu große Uniform kaschierten meine weiblichen Rundungen, mein fehlender Adamsapfel fiel unter dem Halstuch nicht auf und durch das Cap und die farbigen Kontaktlinsen sah niemand meine auffälligen Haare und Augen.

      Bevor ich das Zimmer verließ, versteckte ich den Koffer unter meinem Bett. Zum Auspacken hatte ich keine Zeit und immerhin befand sich meine Unterwäsche darin, die niemand entdecken sollte. Sonst würde ich sofort auffliegen. Und durch all diese Sicherheitsvorkehrungen hatte ich schon wieder Zeit verloren. Wenn ich nicht endlich beim Versteck der Schattenbringer ankäme, bliebe kein Verbrecher mehr für mich übrig. Dabei wollte ich so viele Organisationsmitglieder wie möglich festnehmen, allen voran meinen Vater.

      Doch als ich aus dem Appartementwohnhaus auf den Gehsteig trat, wurde ich schon wieder aufgehalten. „Mi... Takuto, warte!“

      Ich musste mich gar nicht umdrehen, um zu wissen, dass Melodia neben mir an der Haustür stand. „Was ist denn?“, fragte ich und blieb widerwillig stehen.

      Meine Grundschulfreundin biss sich leicht auf die Unterlippe und wickelte einige ihrer blonden Locken um ihren Zeigefinger. „Bitte geh jetzt nicht!“, flehte sie. „Es wird bestimmt übel enden!“

      „Ich kann mich verteidigen, das weißt du doch“, seufzte ich und klopfte ihr auf die Schulter. „Ich bin wieder fit für den Einsatz.“

      „Nein, Mia!“, zischte sie. „Du steckst persönlich zu tief in diesem Fall. Mein Vater hatte auch mal so einen, nämlich als meine Tante umgebracht wurde. Er ist an den Ermittlungen fast zugrundegegangen. Also lass es, bitte!“

      Erschrocken von ihrem eindringlichen Tonfall und dem wütenden Ausdruck in ihren grünen Augen zuckte ich ein Stück zurück. An den Fall erinnerte ich mich, damals waren wir in der fünften Klasse gewesen. Melodias Vater, der ebenfalls als Ranger arbeitete, hatte damals wirklich viel durchgemacht. Aber das waren völlig andere Umstände gewesen.

      „Melodia, vertrau mir“, bat ich. „Ich werde das erledigen wie jeden anderen Job. Professionell und zügig. Es wird doch sowieso mein letzter Fall sein.“

      Sie zupfte an der gelben Jacke ihrer Uniform. „Nein, es muss nicht dein letzter Fall sein. Du kannst weiter als Takuto arbeiten, Ulrich und Jakob hätten bestimmt nichts dagegen. Also überstürz es doch nicht.“

      Ich runzelte die Stirn. Worum genau ging es meiner Freundin eigentlich gerade? Sorgte sie sich um mich oder wollte sie einfach nicht, dass ich aus der Zweigstelle Windfeld verschwand? Oder vielleicht sogar beides?

      „Hör mal“, begann ich so ruhig wie möglich, „ich verstehe ja, dass du dir Sorgen machst, und ich verstehe auch, dass du nicht willst, dass ich kündige, aber mir bleibt keine Wahl.“ Ich sah sie eindringlich an und erwiderte ihren trotzigen Blick scheinbar gelassen. „Als Frau kann ich nicht weiter bei den Rangern arbeiten, solange andere davon wissen. Ich kann Ulrich und Jakob nicht zu Mittätern machen, sonst wird der Vorsitzende uns alle suspendieren. Aber nur weil ich nicht mehr hier arbeiten werde, heißt das ja nicht, dass wir uns nie wiedersehen.“

      Plötzlich fiel sie mir um den Hals. „Aber ... aber ... aber ...“, schluchzte sie. „Es sind doch genügend Ranger dort. Die anderen zehn sind losgeflogen, also ...“

      Ich drückte sie sanft an mich. „Geh zurück in die Station, Melodia“, flüsterte ich. „Lass Haru nicht ganz allein. Und lass mich meine Arbeit machen. Später setzen wir uns auf einen Film zusammen, okay? Wir drei machen uns einen schönen Mädelsabend.“

      Sie schniefte leise, nickte aber. „Bitte sei vorsichtig“, wimmerte sie.

      „Versprochen“, antwortete ich und strich ihr durchs Haar. Es fiel mir unendlich schwer, sie in dieser Situation loszulassen und zu gehen, doch mir blieb keine Wahl, wenn ich meinen Kollegen bei der Festnahme der Verbrecher helfen wollte. „Bis später.“

      „Okay“,

Скачать книгу