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die Person wirkt.

      Diese zweite Betrachtungsweise findet sich auch in der Ursprungsbedeutung des Begriffes »Person« wieder. »Person« stammt vom griechischen Wort »prosopon« bzw. dem lateinischen »persona« ab, was sich auf die Maske einer Schauspielerin im antiken Theater bezieht, durch welche sie »hindurchtönt«. Es bezeichnet also die jeweilige Rolle, die die Schauspielerin gerade spielt. Diese Rolle wird durch die äußere Maske – also das Gesicht im Sinne von sicht-bar – durch das, was hindurchtönt, definiert.

      Wie wir wissen, kann eine gute Schauspielerin sogar in einem einzigen Theaterstück verschiedene Rollen einnehmen und selbst beide Geschlechter glaubhaft verkörpern. Da wir als Zuschauende uns von der jeweiligen Rolle verzaubern lassen und nicht darauf achten, dass es immer der gleiche Körper ist, der die verschiedenen Rollen spielt, entsteht auch kein Widerspruch und keine Irritation. Für uns Zuschauende ist der lebendige Prozess, der durch die Schauspielerin in der jeweiligen Rolle zum Ausdruck kommt, das Wesentliche, welcher sie definiert, und nicht ihr Körper.

      Spielen nicht alle Menschen unterschiedliche Rollen in dem einen Theaterstück ihres Lebens? Natürlich sind die alltäglichen Rollen, die wir einnehmen, meist nicht so markant und dramatisch wie im antiken Theater, sondern viel gewöhnlicher. Aber die Dynamik bleibt die gleiche. Wie eine gute Schauspielerin schlüpfen wir in verschiedene Bewusstseinszustände, die dann unser Erleben und unser Verhalten bestimmen, allerdings meist ohne uns dessen bewusst zu sein.

      Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zum Schauspielberuf. Eine Schauspielerin stellt sich bewusst in den Dienst einer Rolle. Will sie überzeugend spielen, muss sie sich dabei vollkommen in die Rolle hineinversetzen und sich mit dieser Welt zeitweise identifizieren. Sprich, sie muss in der Rolle des Bösewichts zu einem Bösewicht oder in der Rolle des Opfers zu einem Opfer werden. Anders ausgedrückt, muss sie in den jeweiligen Bewusstseinszustand hineinwechseln, bis sie in eine Art Trance fällt, in der sie das authentische Erleben einer bestimmten Rolle selbst erfährt und lebendig zum Ausdruck bringt.

      Schauspielerinnen nutzen damit bewusst die hintergründige Dynamik von Bewusstseinszuständen, die menschliches Leben ausmacht, und spielen damit. Das macht der gewöhnliche Mensch im Alltag meistens nicht. Auch wir nehmen verschiedene Bewusstseinszustände ein und wechseln sie, aber wir müssen uns nicht bewusst extra in den jeweiligen Zustand hineinversetzen. Im Gegenteil. Die verschiedenen Rollen greifen meist mit Macht nach uns, sodass wir keine Wahl haben und sie uns vollkommen gefangen nehmen. Wir sind mit ihnen so stark identifiziert, dass wir uns meist nicht einmal bewusst sind, dass wir eine bestimmte Rolle spielen, und auch nicht, welche Potenziale wir dabei ausblenden. Die machtvolle Dynamik der Bewusstseinszustände und ihre Bedeutung für uns läuft hinter dem nach außen hin sichtbaren Geschehen an der Oberfläche unseres Lebens permanent im Verborgenen und damit meist unbewusst ab.

      Wenn wir betrachten, wie Menschen immer wieder Bewusstseinszustände wechseln und dabei unterschiedliche, wenn nicht sogar ­widersprüchliche »Rollen« spielen, kommt früher oder später die Frage nach unserer Identität auf: Wer sind wir, wenn wir uns in unterschiedlichen Bewusstseinszuständen vollkommen anders verhalten? Wer sind wir, wenn wir als Mensch in so unterschiedliche Erlebniswelten eintauchen können? Das reicht von Zuständen, in denen wir hocheffektiv funktionieren, aber vollkommen abgetrennt von unseren Gefühlsbereichen sind, bis hin zu Zuständen, in denen uns schöne oder schmerzhafte Gefühle so stark ausfüllen, dass sie vollkommen unser Denken und Handeln bestimmen.

      Offensichtlich sind wir nicht eine kohärente Einheit, so wie es die äußere Erscheinung unseres Körpers vielleicht vermuten lässt. Nach außen treten wir als eine Person in Erscheinung, aber die inneren Welten, in die wir eintauchen und aus denen wir leben und handeln, sind höchst unterschiedlich. Wenn wir uns auf das tatsächliche lebendige Geschehen beziehen, das sich durch unseren Körper ausdrückt, dann verschwindet das Bild einer einheitlichen Identität und wir können nur noch fragen: »Wer bin ich jetzt – in diesem Augenblick?« Oder anders ausgedrückt: »Welcher Bewusstseinszustand drückt sich jetzt durch mich aus?« Mit dieser Frage verschiebt sich die Sicht auf uns selbst, da wir uns immer weniger als eine feststehende einheitliche Person mit klar definierbaren Eigenschaften sehen.

      Wie die Dinge lebendig werden

      Doch nicht nur unser Identitätsbegriff, sondern auch unsere grundlegende Sicht auf die Welt verschiebt sich: Sogenannte Dinge wie ein Baum oder ein Stuhl fangen plötzlich an, lebendig zu werden und ihre Eigenschaften zu verändern. Hört sich das nicht verrückt oder esoterisch an? Kann ein Ding wie ein Stuhl wirklich lebendig werden? Ein Baum ist zumindest noch eine Pflanze, also ein lebendiges Wesen, obwohl wir ihn meist genauso als ein Ding behandeln. Aber ein Stuhl? Dieser ist doch wirklich ein feststehendes totes Objekt, oder?

      Natürlich hat ein Stuhl kein Eigenleben wie eine Pflanze oder ein Mensch, aber aus der Perspektive unserer lebendigen Erfahrung gibt es keinen unabhängigen Stuhl. Daher kann sich unser Erleben des Stuhles, je nachdem in welchem Bewusstseinszustand wir uns gerade befinden, sehr unterschiedlich gestalten. Er kann für uns ein Gebrauchsgegenstand sein, den wir zwar nutzen, aber kaum wahrnehmen. Er kann sich für uns jedoch auch in einem Moment der Muße zu einer tiefen sinnlichen Erfahrung des Niederlassens und Getragen-Werdens verwandeln.

      Machen wir nicht alle die Erfahrung, dass der »gleiche« Blick aus dem Küchenfenster unserer Wohnung, je nachdem in welchem Zustand wir uns befinden, eine sehr unterschiedliche Landschaft offenbaren kann? Manchmal rührt sie uns an und wir empfinden Vertrautheit, Schönheit und Dankbarkeit. Vielleicht sehen wir sogar eine vollkommen neue Landschaft. Manchmal sehen wir sie jedoch wie durch den Schleier der Gewohnheit und können nichts dabei empfinden.

      Wenn wir die lebendige Erfahrung ernst nehmen und die Wirklichkeit nicht nur durch die äußere Erscheinungsform von Menschen oder Dingen definiert wird, dann bekommt der Wirklichkeitsbegriff eine völlig neue Dimension. Er wird vielschichtig und regelrecht lebendig. Plötzlich ist ein Ding nicht mehr nur ein Ding, sondern eine lebendige, sich verändernde Erfahrung. Da ist ein Nachbar kein von uns unabhängiges Objekt, sondern wir erfahren hier ein lebendiges Beziehungsgeschehen, welches immer die Chance bietet, neue und überraschende Facetten hervorzubringen.

      Wenn wir also denken, dass die Wirklichkeit feststehend ist – oder anders ausgedrückt: dass ein Nachbar immer gleich ist und gleich bleibt –, liegt dies nur daran, dass wir uns gedanklich auf eine bestimmte Wirklichkeitsperspektive festgelegt haben und unserer lebendigen Erfahrung keinen Wert beimessen. Der Begriff »Wirklichkeit« wird hier auf eine materielle, objekthafte Beschreibung der Welt verengt. In dieser Beschreibung der Welt spiegeln sich wiederum grundlegende gesellschaftliche Übereinkünfte. In der westlichen Kultur ist die Sichtweise, Menschen und Dinge als voneinander unabhängige Objekte zu betrachten, tief verwurzelt. Die lebendige Erfahrung des Einzelnen wird grundsätzlich der objekthaften Beschreibung der Welt untergeordnet, wenn nicht sogar negiert.

      Das hat weitreichende Auswirkungen auf die innere Erfahrung des Menschen. Wenn wir in einer Gesellschaft leben, die uns ständig suggeriert, dass unsere lebendige Erfahrung unbedeutend ist oder keine Wirklichkeit besitzt, sondern nur die äußeren, materiellen Erscheinungen zählen, dann nehmen wir automatisch unsere inneren Erfahrungen nicht mehr so ernst. Sie verschwinden mehr und mehr aus dem Vordergrund unseres Bewusstseins, und das Denken, dessen Domäne die Beschreibung und Benennung von Objekten ist, gewinnt mehr und mehr an Bedeutung.

      Leben wir nicht in einer Gesellschaft, in der Gefühle als unbedeutend und subjektiv betrachtet und vernachlässigt werden? In der die Seele der Effektivität und Produktivität untergeordnet wird und entsprechend nicht selten als Störenfried erscheint? Wir geben Unsummen für die psychotherapeutische Behandlung von »seelischen Störungen« aus, aber fördern in unseren Schulen hauptsächlich kognitive Fähigkeiten. Ist es da ein Wunder, dass Menschen emotional verarmen, zu Suchtmechanismen neigen und irgendwann in der Psychotherapie als gesellschaftlich anerkanntem Zufluchtsort der Seele landen?

      Ein typisches Beispiel dafür, welche Auswirkungen verschiedene Realitätsbegriffe haben können, findet sich in der Medizin. Das vorherrschende Modell der modernen westlichen Medizin hat sich aus der Sichtweise einer materiellen Welt von unabhängigen

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