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wir uns darauf verlassen, dass unser »normales« Immunsystem so schwierige Aufgaben meistert?

      Im Jahr 2007 erschien in der Zeitschrift Nature eine Studie über das Immunpotenzial ganz normaler Mäuse, die nicht die außerordentlichen Abwehrkräfte von Mighty Mouse besaßen. Catherine Koebel und ihr Team an der Washington University in St. Louis injizierten mehreren normalen Mäusen eine Sorte Teer, die noch stärker krebserregend ist als der Teer in Zigarettenrauch. (Der genaue Name ist Methylcholanthren, MCA.) Erwartungsgemäß entwickelte eine Gruppe der Versuchstiere rasch tödliche Tumoren. Aber überraschenderweise zeigte eine andere Gruppe keinerlei Tumorwachstum. Die Forscher fanden heraus, dass diese gesunden Mäuse tatsächlich Träger von Krebszellen waren, aber die Krebszellen »im Schlafzustand« blieben – das Immunsystem hielt sie in Schach. Dr. Koebels Daten sprechen dafür, dass Mikrotumoren eher zu wachsen und sich auszubreiten beginnen, wenn das Immunsystem geschwächt ist.20 Die Beispiele von Mary-Ann und George, die ich weiter oben vorgestellt habe, illustrieren das Konzept von den »schlafenden Tumoren«.

      Catherine Koebels Team hat erstmals unter Laborbedingungen ein radikal neues Konzept der Onkologie überprüft. Die Ergebnisse ihrer Forschungen sprechen dafür, dass Krebs nur von solchen Krebszellen ausgeht, die einen fruchtbaren »Boden« finden, auf dem sie wachsen können. Das heißt, Krebszellen werden nur bei Menschen zu wuchern beginnen, deren Immunabwehr geschwächt ist. Möglicherweise spielt die fehlende Immunabwehr die Hauptrolle dabei, ob aus schlafenden Krebszellen aggressive Tumoren werden.

      Das eröffnet völlig neue Ansätze für die Behandlung. Ziel wäre es demnach nicht, Tumoren zu bekämpfen, indem man die Krebszellen selbst ins Visier nimmt, sondern die Tumoren durch Mobilisierung und Stärkung der natürlichen Abwehr über lange Zeit zu »stabilisieren«.

      Wir können gar nicht genug schätzen, wie wichtig es ist, dass unsere weißen Blutkörperchen kampfbereit bleiben. Sie sind ausschlaggebend dafür, dass unser Körper in der Lage ist, Krebs zu widerstehen und ihn zu bekämpfen.

      Wir können ihre Vitalität steigern oder zumindest verhindern, dass sie in ihrer Aktivität nachlassen. Die Supermäuse sind darin erfolgreicher als andere, aber wir alle können unsere weißen Blutkörperchen so weit »antreiben«, dass sie bei der Konfrontation mit Krebszellen ihr Bestes geben. Verschiedene Studien zeigen, dass menschliche Immunzellen ähnlich wie Soldaten eifriger kämpfen, wenn man sie 1. mit Respekt behandelt (sie richtig ernährt und vor Giftstoffen schützt) und wenn 2. ihr Kommandant einen kühlen Kopf bewahrt (sich mit seinen Gefühlen auseinandersetzt und gelassen bleibt).

HemmendAktivierend
Traditionelle westliche Ernährung (entzündungsfördernd)»Mittelmeerdiät« Indische Küche, asiatische Küche
Unterdrückte GefühleGelebte Gefühle
Stress, Verbitterung, DepressionRuhe und Gelassenheit
Soziale IsolationUnterstützung durch Freunde und Familie
Verleugnen der eigenen Identität (z. B. seiner Homosexualität)Sich selbst so akzeptieren, wie man ist, mit seinen Wertvorstellungen und der eigenen Geschichte
Sitzende LebensweiseRegelmäßige Bewegung

      Tabelle 1: Was hemmend und was aktivierend auf die Immunzellen wirkt. Die verschiedenen Studien über die Aktivität der weißen Blutkörperchen zeigen, dass sie auf die Ernährung, die Umwelt, auf Bewegung und das emotionale Erleben reagieren.

      Teil 2

      »Krebs – eine Wunde, die nicht heilt«

      Die zwei Gesichter der Entzündung

      Alle lebenden Organismen sind von Natur aus in der Lage, nach einer Verletzung ihr Gewebe zu reparieren. Bei Tieren und Menschen liegt diesem Vorgang ein Entzündungsprozess zugrunde. Discurides, ein griechischer Arzt im ersten Jahrhundert nach Christus, beschrieb die Entzündungszeichen so prägnant und einfach, dass die Definition noch immer an allen medizinischen Fakultäten gelehrt wird: Rubor, Tumor, Calor, Dolor – Rötung, Schwellung, Wärme und Schmerz. Hinter diesen schlichten äußeren Merkmalen verbergen sich komplizierte Vorgänge von großer Tragweite.

      Sobald das Gewebe verletzt wird, etwa durch einen Stoß, einen Schnitt, durch Gift, eine Verbrennung oder Infektion, treten die Blutplättchen in Aktion. Sie sammeln sich um den beschädigten Abschnitt und setzen eine chemische Substanz frei, den sogenannten PDGF (Platelet-derived Growth Factor = Blutplättchen-Wachstumsfaktor). Der PDGF alarmiert die weißen Blutkörperchen des Immunsystems. Diese produzieren verschiedene Botenstoffe mit seltsamen Namen und vielen Wirkungen: Cytokine, Chemokine, Prostaglandine, Leukotriene und Thromboxane koordinieren die Reparaturvorgänge. Zunächst weiten sie die Blutgefäße in der Umgebung der Verletzung, um den Zufluss weiterer Immunzellen zu erleichtern, die als Verstärkung herbeigerufen werden. Dann versiegeln sie die Öffnung, indem sie die angesammelten Blutplättchen zur Blutgerinnung bringen. Nun machen sie das umliegende Gewebe durchlässig, damit die Immunzellen eindringen und die Angreifer verfolgen können. Und schließlich veranlassen sie das Wachstum der beschädigten Gewebezellen. Das Gewebe kann dann die fehlenden Stücke regenerieren und kleine Blutgefäße aufbauen, die Sauerstoff und Nährstoffe an die Baustelle liefern.

      Diese Mechanismen sind für die Gesundheit des Körpers und seine permanente Regeneration angesichts der unvermeidlichen, ständigen Angriffe lebenswichtig. Wenn die Vorgänge richtig eingestellt und an die anderen Zellfunktionen angepasst sind, laufen sie sehr harmonisch ab und regulieren sich selbst. Das bedeutet, dass neues Gewebe zu wachsen aufhört, sobald die verletzten Stellen repariert sind. Die Immunzellen, die zur Bekämpfung der Eindringlinge mobilisiert wurden, kehren in ihren Stand-by-Modus zurück. Das ist sehr wichtig, damit die Immunzellen nicht einfach weitermachen und gesundes Gewebe angreifen.

      In den letzten Jahren haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Krebs ähnlich wie ein Trojanisches Pferd diesen Reparaturvorgang ausnutzt, um in den Körper einzudringen und ihn zu zerstören. Das sind die zwei Seiten der Entzündung: Eigentlich ist der Entzündungsvorgang dazu gedacht, beim Aufbau des neuen Gewebes zu helfen und die Heilung voranzubringen, er kann aber dazu umfunktioniert werden, das Krebswachstum zu fördern.

      Wunden, die nicht heilen

      Der große deutsche Arzt Rudolf Virchow gilt als der Begründer der modernen Pathologie: der Wissenschaft, die sich mit der Beziehung zwischen Krankheit und den Vorgängen im Körper und Gewebe beschäftigt. 1863 stellte er fest, dass mehrere Patienten offenbar genau an der Stelle Krebs entwickelten, wo sie einen Schlag erhalten hatten oder wo ihr Schuh oder ein Werkzeug permanent gerieben hatte. Unter dem Mikroskop fiel ihm die große Zahl von weißen Zellen im Krebsgewebe auf. Daraus entwickelte er die These, dass Krebs der aus dem Ruder gelaufene Versuch des Körpers ist, eine Wunde zu heilen. Seine Beschreibung wirkte jedoch zu anekdotisch, beinahe poetisch, und wurde deshalb nicht ernst genommen. Etwa 130 Jahre später griff Harold Dvorak, Professor für Pathologie an der Harvard Medical School, die Hypothese auf. In seinem Artikel »Tumors: Wounds that do not heal«26 (»Tumoren: Wunden, die nicht heilen«) präsentierte er einleuchtende Argumente für Virchows ursprüngliche Theorie. Dvorak erbrachte Belege für die verblüffende Ähnlichkeit zwischen natürlich hervorgerufenen Entzündungsprozessen und der Entstehung von Krebs.

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