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Hillers’ Stimme, die sich am besten heraushören lässt.

      Als Gschwind die Bar betritt, wird er feierlich empfangen; aufgrund des Schweizer Rapacitaniums herrscht ansteckende Euphorie. Es ist das erste Mal, dass Gschwind den seiner körperlichen Fülle zum Trotz doch auch sportlich wirkenden Hillers in angeheitertem Zustand vor sich hat, mit Schweißperlen auf der breiten Stirn, es ist auch das erste Mal, dass er von ihm mit einer Umarmung begrüßt wird.

      Während einer gar nicht so kurzen Weile steht Gschwind im Mittelpunkt; alle loben ihn für den von Bundesrat Gadellier aus Mufulira abgesandten Tweet, alle beglückwünschen ihn, den Bundesrat derartig um den Finger gewickelt zu haben, und Hillers schwingt sich gar mit rudernden Unterarmen zu der Behauptung auf, Gschwind habe damit mehr für das weltweite Ansehen Valnoyas erreicht als die seit zwei Jahren forcierte Nachhaltigkeitskampagne.

      Pascal Gschwind fühlt sich hineingetauft in eine Gemeinschaft von Auserwählten. Ihm wird warm, er wischt sich Schweiß aus dem Gesicht, die lobenden Worte dringen tief in ihn ein.

      Es beglücken Gschwind diese Komplimente auch deshalb besonders, weil ihn die neue Anstellung bei Valnoya häufig stark belastet; wieder und wieder hat er in den ersten Wochen geglaubt, er sei seiner Aufgabe möglicherweise nicht gewachsen. Verglichen mit dem, was bei Valnoya von ihm erwartet wird und was insgesamt auf dem Spiel steht, war sein vormaliger Job bei der Suissecom nichts als ein Sandkastenspiel. Die Suissecom, so denkt er heute, gab sich nach außen hin stets ungemein dynamisch; die Geschäftsleitung setzte sich aus blasierten Schönrednern zusammen, die mit ihrem Gebaren und mit großen Worten davon abzulenken versuchten, dass die Suissecom faktisch noch immer ein Staatsbetrieb ist, ein von Ambitionslosigkeit geprägter Laden mit gesetzlich garantierter Monopolstellung. Bei Valnoya hingegen ist überhaupt nichts staatlich, und wenn irgendwo auf Sumatra 50 Asiaten in einer heruntergekommenen Mine, die sich mit einem vernünftigen Aufwand nicht besser organisieren lässt, verschüttgehen, wenn irgendwo im Norden Kanadas Leitungen vereisen und infolge dessen 300 Arbeiter eine halbe Woche lang gelangweilt in ihren Baracken hocken und dennoch entlohnt werden müssen, oder wenn im Kongo bürgerkriegsbewegte Guerilla-Soldaten eine Mine überfallen, weil sie Mittel benötigen für neue Waffen, dann zeigt sich das Risiko, das Valnoya einzugehen bereit ist. Ein brutal großes Risiko, das im besten Fall mit einem fantastischen Gewinn honoriert wird.

      Diese geschäftlichen Risiken, mit denen der breitschultrige Hillers jeden Tag zu tun hat, berauschen Gschwind; jetzt derart deutlich zu fühlen, dass er Teil von Valnoya geworden ist, erfüllt ihn mit Stolz. Tatsächlich hat er bereits vergessen, dass er seit mehr als 24 Stunden ohne Schlaf ist. Er spürt nur noch, dass er sich zugehörig fühlen darf, er fühlt, Hillers wäre wohl nicht abgeneigt, ihn mit einer Lohnerhöhung zu adeln.

      Mufulira ist für den Rest des Abends kein Thema mehr, denn bald drehen sich die lauter werdenden Gespräche nur noch um das am Nordufer des Thunersees entdeckte Rapacitanium. Alle sind sich einig, allein die Aufspürung der Seltenen Erde gleiche einem Märchen: Da finden zwei Hobbyhöhlenforscher per Zufall einen speziellen Stein, überreichen ihn einer befreundeten ETH-Geologin, worauf ihn diese erst in ihrer Wohnung herumliegen lässt, immer wieder erwägend, ihn in den Vorgarten zu schmeißen. Wochen später erst entscheidet sie, ihn petrochemisch untersuchen zu lassen – und glaubt erst an einen Irrtum, als das Labor hohe Anteile von Rapacitanium ausweist, jenem Seltene-Erde-Metall, das für den Bau rasch aufladbarer Batterien unentbehrlich geworden ist.

      Diese Geologin, Gabriela Hollenstein, behält die Sensation vorerst für sich, schickt Wissenschaftler in die Beatus-Höhlen – und kommt erst jetzt, zwei Jahre später, mit Fakten an die Öffentlichkeit: Das Gestein dieses unscheinbaren Berges am Thunersee enthält Rapacitanium von einer Qualität, die jene der vom Weltmarktführer China gehandelten Ware deutlich in den Schatten stellt.

      Die Schweiz muss demnach ein paar Kapitel ihrer Erdgeschichte neu schreiben. Wesentlicher aber ist, dass sie ihre wirtschaftliche Zukunft neu schreiben kann: Das kleine Land in der Mitte Europas zählt nun zu jenen Ländern, die über einen international stark nachgefragten Rohstoff verfügen.

      Das Valnoya-Board diskutiert hitzig über die wirtschaftlichen Chancen, die das helvetische Rapacitanium eröffnet. Vor allem der schwer schwitzende, blitzschnell denkende Hillers kann sich kaum bremsen und hört nicht auf zu schimpfen über die lahmen Politiker, die nun Angst hätten, ihre latent grün denkende Wählerschaft zu verlieren, und er hört nicht auf, all jene zu loben, die im Windschatten des Wirtschaftsdachverbandes fordern, so rasch wie möglich mit dem Abbau des Rapacitaniums zu beginnen.

      Andere Verwaltungsratsmitglieder schlagen in die gleiche Kerbe: Sie ärgern sich über Geologin Gabriela Hollenstein, die überall von der großen Verantwortung schwafle, welche der Schweiz nun aufgebürdet sei, sie ärgern sich über die Medien, die nicht müde würden, Hollensteins oft wiederholte Aussage zu verbreiten, der wichtigste Rohstoff der Schweiz bleibe ihre Natur, ihre intakte Landschaft.

      Je länger sich der Abend hinzieht, je länger die Männer über die globale Rohstoffsituation sprechen, über verschiedene, sich auch im Rohstoffsektor langsam durchsetzenden Ökolabels, über den öffentlichen Druck einer zunehmend ökologisch bewusst handelnden Gesellschaft, desto deutlicher versteht auch Gschwind, wie bedeutsam der Umgang mit dem helvetischen Rapacitanium für die Geschäfte von Valnoya werden wird.

      Die Runde ist längst beim Cognac angekommen, als Ulo Tanyeri, ein sonst eher zurückhaltender, sich mit afrikanischen Zinkminen bestens auskennender Gentlemen aus Johannesburg, laut auf den Tresen klopfend vorschlägt, Gschwind solle doch – als einziger gebürtiger Schweizer der Runde, als Einziger mit lokalem Wissen – möglichst umgehend den gesamten Beatenberg kaufen, damit Valnoya später, falls sich zeige, dass der Berg wirklich auch genügend Rapacitanium hergeben werde, seine Mine unter günstigen Bedingungen aufbauen könne.

      Die Runde verstummt, alle Augen richten sich auf Gschwind.

      Gschwind hat von dieser Praxis gehört: Man schickt in ein wertvolle Rohstoffe enthaltendes Gebiet einen unscheinbaren Strohmann, lässt ihn, mit welchen vorgeschobenen Interessen auch immer, das Land kaufen, und ein, zwei Jahre später, wenn das Projekt reif ist, kauft Valnoya das Land dem Strohmann zu einem Spottpreis ab und beginnt zu baggern. Auf diesem Weg spart sich Valnoya Kosten und vor allem juristischen Ärger.

      Gschwind nimmt zwar wahr, wie alkoholisiert Tanyeri ist, dennoch irritiert es ihn zu sehen, dass dieser Kollege allen Ernstes annimmt, eine Geschäftspraxis wie diese funktioniere auch in der Schweiz. Gschwind fühlt seinen Puls steigen und hofft, dem hierarchisch höherstehenden Tanyeri, immerhin Mitglied des Verwaltungsrates, nicht erklären zu müssen, dass es in der Schweiz durchaus ein paar Gesetze gibt, die das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt stehen.

      Erwartungsvoll blickt Gschwind zu Hillers, dessen rhetorisches Geschick Abhilfe schaffen könnte. Hillers aber schweigt, lässt dann sein schweres, schweißnasses Haupt ein Nicken andeuten, verengt wie immer, wenn er sich Wichtiges zu sagen anschickt, die Augen zu schmalen Schlitzen, und gibt nach einer bedeutungsschweren Pause, in der sich Gschwinds Ohren bereits mit einem Rauschen füllen, mit alkoholverziertem Schwung Tanyeri recht und behauptet, das sei die Idee des Abends: »Jawohl, Gschwind kauft für Valnoya den Beatenberg! Und legt damit den Grundstein für einen erfolgreichen Abbau des schweizerischen Rapacitaniums.«

      Endlich im Bett, es ist bereits tiefe Nacht, gleitet Gschwind in einen überdeutlichen Traum: Er muss sich aufgrund seiner Ohren einer komplizierten Untersuchung unterziehen. Die Ärzte zeigen sich überrascht vom Resultat. Derart überrascht, dass sie erst gar nichts sagen wollen. Sie lassen ihn lediglich wissen, es sei die Untersuchung zu wiederholen, womöglich liege ein technisches Problem vor. Und schieben ihn ein zweites, ein drittes Mal durch die Röhre. Generalstabsmäßig stramm steht Frau Doktor Lepple da und lächelt zahnfleischrot ihr schiefes, überlegenes Lächeln. Gschwind weiß genau, es liegt überhaupt kein technisches Problem vor, auch ist es überhaupt nicht meistens reine Interpretationssache, nein, es liegt eine Absonderlichkeit vor, und diese befindet sich in seinem Hirn. Etwas nie Gesehenes ist dort entdeckt worden, und nachdem man ihn ein viertes Mal durch die Röhre geschickt hat, sieht Gschwind triumphierende Ärztegesichter: Sie haben in seinem Schädel, gleich hinter den Ohren, Rapacitanium gefunden. Am nächsten Tag steht es in allen Zeitungen, alle Sender

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