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51

       KAPITEL 52

       KAPITEL 53

       KAPITEL 54

       KAPITEL 55

       KAPITEL 56

       KAPITEL 57

       KAPITEL 58

       PROLOG

      In einem nicht ohne Grund als einsturzgefährdet erklärten, verbotenen Teil der St. Beatus-Höhlen, in schönster Lage über dem pittoresken Thunersee, kriechen zwei in pechschwarzen Taucheranzügen steckende Menschen mehr als 1900 Meter vom Höhleneingang entfernt im zitternden Schein ihrer Stirnlampen durch einen kaum hüfthohen, immer wieder seine Richtung wechselnden Stollen; feuchte Kiesel knirschen unter ihren Knien, der grobe, wasserfeste Stoff ihrer Rucksäcke schleift der stalaktitgeschmückten Decke entlang, und hin und wieder landet laut und machtvoll, als werde damit eine ganz eigene, im Inneren der Erde tätige Zeit erfasst, ein Tropfen uraltes Wasser in einer der ungezählten, von keinem Wind je bewegten Pfützen.

      Als sich einige Meter vor ihnen der Raum zwischen Boden und Decke stark verengt, nimmt die Frau ihren Rucksack ab und blickt den Mann fragend an.

      Sie solle vorankriechen, sagt dieser.

      Eine Weile bleiben die beiden laut- und bewegungslos liegen. Dann hievt die Frau ihren Rucksack über den Kopf, korrigiert die Position ihrer Stirnlampe, wendet sich, so gut das noch geht, dem Mann zu und sagt, es könnte, falls ihnen jetzt jemand entgegenkommt, eng werden. Dann robbt sie los.

      Er lacht, schenkt ihr einen verliebten Blick und kriecht ihr, kaum dass ihre Schuhe im engen Felszwischenraum verschwunden sind, hinterher.

      Ochsenschwanz heißt dieser unvergleichlich eng bemessene, knapp 200 Meter lange Abschnitt der Höhle. Sie befinden sich ungefähr in der Mitte des fast 30 Minuten beanspruchenden Durchgangs, als der Mann, die schmerzenden Ellbogen ignorierend, seine alte Angst heraneilen fühlt; die Angst, erdrückt zu werden von den Felsmaßen. Er stellt sich vor, die Angst hocke im Felsen selber, er könne sie hinter sich zurücklassen, wenn er nur schnell genug ist. Er konzentriert sich auf seine Bewegungen, stellt sich vor, wie er bald schon von Stolz erfüllt das Kartenmaterial überarbeiten wird – das hilft. Als sich der Gang schließlich Zentimeter um Zentimeter erweitert, als er fühlt, dass er in wenigen Augenblicken wieder aufrecht stehen wird, durchströmt ihn ein Glücksgefühl. Er mag dies nicht ansprechen, er will nicht gefragt werden, ob er wieder Angst gefühlt habe, und er ist froh zu sehen, dass seine Frau ganz erfüllt ist von der Schönheit des Saals, den sie erreicht haben. Dieser ist groß genug, ein Einfamilienhaus in sich aufzunehmen. Der hintere Teil der bizarr geformten Felsdecke spiegelt sich in einem kleinen See.

      Die Frau schweigt, ihre Augen leuchten; nickend bedankt sie sich für das Wasser, das er ihr anbietet. Witzelnd fragt er sie, ob sie hier, am Strand, die Badetücher ausbreiten wollen. Sie lacht und gibt ihm einen Kuss.

      Er kramt in seinem Rucksack, holt kleine Gerätschaften und unendlich fein beschriebene Skizzenblätter hervor, dann findet er, was er sucht. Die beiden belegten Brote hat er sorgfältig in Klarsichtfolie gepackt; eines mit Blauschimmelkäse, eines mit Meerrettich.

      Sie sitzen am Ufer der unterirdischen Wasserfläche, essen und sprechen über die Einfallslosigkeit der Höhlenforscher, die diesem Saal seinen Namen verpasst haben, sie witzeln darüber, auf welchen Namen sie selbst einen von ihnen entdeckten Saal taufen würden. Sie verstehen nicht, weswegen bisher alle Höhlenforscher der Meinung waren, dieser Arm der Höhle sei hier zu Ende; irgendwo geht es doch immer weiter!

      Ins Wasser waten sie jetzt, langsam und wortlos, als gelte es, niemanden zu stören. Sie legen ihre Schnorchel an und tauchen ab. Der Schein ihrer Lampen wird grotesk vom Wasser verformt, das ihre Bewegungen rasch und immer wieder neu in kreisförmige Wellen übersetzt. Sie geben sich Zeichen, tauchen tiefer, tasten unermüdlich die Felswände ab.

      Nach etlichen Tauchgängen kehrt sie zurück zum Ufer, nimmt den Schnorchel aus dem Mund, wartet, bis er ihre Zeichen sehen kann. Als er neben ihr steht, erzählt sie von einer Strömung.

      Er fragt, ob sie neuerlich an einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung arbeite.

      Ob er von sich spreche?, will sie wissen.

      Beide lachen.

      Er holt einen leuchtend roten Stab aus einer Seitentasche seiner Hose, einen Stab, der in seiner Form ein wenig an einen Kugelschreiber erinnert. Sie schwimmen wieder hinaus, tauchen wieder ab; der Strömungsmesser bestätigt eine schwache Wasserbewegung. Sie suchen nach einer Öffnung, kehren wieder um, tauchen auf.

      Es ist klar, sie benötigen ihre Masken. Sie schwimmen zurück zum Ufer, schnallen sich zwei Sauerstoffflaschen und Atemmasken um, einigen sich auf ein Vorgehen, um die Felsdecke nach einem Durchgang abzusuchen, verbinden sich mit einem leuchtend roten Kletterseil, geben sich Handzeichen, tauchen ab und gleiten, den Bauch der Decke zugewandt, durch das schwarze Wasser.

      Die Frau liebt jenes Fieber, von welchem sie beide, im Wunsch, die Höhle zu erforschen, jedes Mal neu übermannt werden. Hunger, Zeit, Sorgen und berufliche Anforderungen – alles meilenweit entfernt. In der Höhle kennt sie keine Angst, sie kennt lediglich die tonnenschwere Trauer, nach etlichen Stunden – ihr gemeinsamer Rekord liegt bei 26 – zurückkehren zu müssen in den Alltag.

      Mit einem Mal wandelt sich das Muster der Reflektionen, das ihre Lampe auf den Felsen wirft. Die Decke steigt an – bald fühlt die Frau, dass sie der Wasseroberfläche näherkommt – ihr Kopf taucht auf, staunend blickt sie um sich. Die Öffnung misst im Durchmesser vielleicht vier Meter. Sie will ihren Mann benachrichtigen, da sieht sie seinen Kopf neben ihr auftauchen.

      Der Fels ist aalglatt, ein feines Rinnsal läuft ihnen entgegen; es dauert, bis sie die steile Rampe erklommen haben. Nach wenigen Metern weitet sich die Öffnung zu einem mächtigen Saal, der an Größe dem vorangehenden in nichts nachsteht. Sie umarmen sich, jubeln; sie sind die ersten Menschen, die diesen Saal betreten! Sie fotografieren, sie vermessen, können ihr Glück kaum fassen.

      Für vollkommen eigentümlich halten sie das Gestein: auf keinem der Kilometer, die sie im Beatenberg durchkrochen haben, ist ihnen je Ähnliches begegnet. Es weist einen türkisen Glanz auf und bildet, obwohl die Felswände durch und durch feucht sind, weder Stalaktiten noch Stalakmiten aus.

      Fasziniert nehmen sie, als sie sich, 13 Stunden nach Eintritt in die Höhle, auf den Rückweg machen, nicht nur unzählige Vermessungsdaten mit, die es ihnen erlauben werden, den neu entdeckten Saal zu kartographieren, sondern auch ein fingerkuppenkleines, sorgsam aus der Wand gelöstes Gesteinsstück. Sie wollen es einer Freundin zeigen, die als Professorin für Geologie an der ETH Zürich arbeitet.

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       KAPITEL 1

      Eine dem weißen Bündchen einer schicken Uniform entspringende Flugbegleiterinnenhand reicht graziös die Zwischenverpflegung dar, die im Ticket inbegriffen ist. Pascal Gschwind neigt dazu, sie anzunehmen. Meist aber handelt es sich ja doch bloß um eine schlecht verdauliche Gaumenunterhaltung, um einen kulinarisch minderbemittelten Verlegenheitshappen, also verneint er das Angebot mit durch die Luft fahrender Hand und vertieft sich stattdessen in einen mit diversen Grafiken angereicherten Text, der das soziale Engagement Valnoyas im sambischen Mufulira möglichst großzügig darstellen soll.

      Gschwind

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