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irgendeines geologischen Instituts an der ETH hatte die wuchtige, das bisherige Bild einer Schweiz ohne nennenswerte Rohstoffe komplett über den Haufen werfende Nachricht vor drei Tagen veröffentlicht.

      Wie oft hat Gschwind diese Mail jetzt schon angeklickt, ohne dass sie sich öffnet? Er flucht leise, ein Druck baut sich in ihm auf, seine Unterarme füllen sich mit einer unheimlichen Anspannung, und als ihm der Laptop die fehlende Internet-Verbindung anzeigt, schwingt er sich aus seinem Sitz und sucht hinter dem Vorhang, der die Business Class vom Vorraum zum Cockpit abtrennt, nach einer Flugbegleiterin.

      Keine ist zu finden; sich jetzt also auch noch in der Economy umsehen zu müssen, ärgert Gschwind. Er hört sein Herz pochen, vernimmt ein Rauschen im Ohr. Wie immer, wenn das mit den Ohren beginnt, zeigt sich auch ein unangenehmes Kribbeln; die starke Anspannung in den Armen dehnt sich auf den gesamten Körper aus. Als würde demnächst in seinem Inneren etwas platzen. Unbehaglich fühlt er sich daran erinnert, dass es womöglich klug wäre, sich und sein Nervenkleid eingehender untersuchen zu lassen. Aber die neue Anstellung lässt ihm dazu keine Zeit; allein der Gedanke an Ärzte, die selbstredend davon ausgehen, ein in leitender Position arbeitender Mensch habe Zeit für ihre umständlichen Untersuchungen, macht ihn wütend. Er will keine Untersuchungen, will kein MRI, da kann seine Ärztin, die im Kantonsspital Thun wirkende Frau Doktor Lepple noch so sehr scherzen: MRI: Meistens reine Interpretationssache, gefolgt von der maßlosen Enttäuschung in ihrem Gesicht, als er den Lepple’schen Humor nicht lustig findet – nein: er will jetzt diese Mail lesen. Sobald er diese Mail von Hillers lesen kann, wird seine Gesundheit kein Thema mehr sein.

      Möglich, dass er tatsächlich etwas laut spricht, als er die Uniformierte schließlich vor sich hat, oder aber die Leute sind es nicht gewohnt, dass einer von der Business Class überhaupt nach hinten kommt. Jedenfalls glotzen ihn einige so unverblümt an, als wäre er in seinem Ärger über diesen lausigen Service durchaus fähig, der schönen, scheinbar ewig lächelnden Frau mit der porzellanfarbenen Haut beispielsweise den Hals zuzudrücken, der so dünn ist, dass dies wohl sogar relativ leicht zu bewerkstelligen wäre. Ihr Mund würde sich leicht öffnen, die Augen und die feinen Nasenöffnungen würden sich weiten, etwas mehr Farbe im Gesicht stünde ihr gut, denkt Gschwind.

      Als die Flugbegleiterin erklärt, sie sei nicht zuständig, werde seine Anfrage aber weiterleiten, stellt Gschwind klar, es handle sich nicht um eine Anfrage, sondern um eine Aufforderung. Und er stellt sich nun noch etwas genauer vor, wie es sich anfühlen würde, diesen blassen, schwanenhaft dünnen Flugbegleiterinnenhals mit beiden Händen zu umfassen und kraftvoll zuzudrücken. Es gibt da etwas in seinen Händen, etwas Schmerzhaftes, und es will hin zu diesem dünnen Hals. Je stärker er drückt, desto eher wird sie tun, was er will.

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       KAPITEL 2

      Während er in seiner Fantasie den dünnen Flugbegleiterinnenhals noch so lange umschlossen hält, bis sich die unangenehme Spannung in seinen Händen zu lösen beginnt, ist seine nervliche Erregung längst in den Ohren angekommen, wo sich nun ein starker Druck ausbreitet und dafür sorgt, dass seine Umgebung nur noch aus einem Rauschen besteht. Gschwind fühlt, etwas ist nicht gesund in ihm, deutlich nimmt er den erhöhten Puls wahr, seine restlos angespannten Nerven. Gschwind sieht, die Flugbegleiterin sagt etwas, Entschuldigungen sind es gewiss, ihr Halsgrübchen bewegt sich, sie bewahrt perfekt Haltung, lässt höflich die Hände durch die Luft gleiten und spricht engagiert. Gschwind steht direkt vor ihr und hört sie nicht.

      Um nicht noch länger gehörlos vor ihr zu stehen und um vor sich selber und seiner sonderbaren Anspannung wegzulaufen, bedankt sich Gschwind und geht zurück an seinen Platz. Dort schließt er die Augen, atmet tief ein, atmet tief aus, entspannt seinen Körper, indem er an das betörend schöne Rum Runner denkt, das er bestellt hat und das im kommenden Jahr fertig gebaut sein wird: Eine elegante Wucht von einem Motorboot mit 370 Pferdestärken, gebaut aus den schönsten Tropenhölzern, gefertigt in der Nähe von Luzern in 100 Prozent Schweizer Handarbeit, ein bulliger RollsRoyce auf dem Wasser, das schönste Motorboot auf dem ganzen See wird es sein und er sein stolzer Besitzer – der Gedanke an dieses luxuriöse Boot verringert zuverlässig den Druck auf seinen Ohren, die Herzfrequenz normalisiert sich, der Hörsinn kehrt zurück. Während Gschwind erfreut an den aufsehenerregenden Spezialtransport denkt, der nötig sein wird, um das massige Boot von der Werft am Vierwaldstättersee an den Thunersee zu holen, erreicht sein Nervenkleid allmählich den Normalzustand.

      Wenn er sich diesen Rum Runner vorstellt, denkt Gschwind auch an seine Mutter, an seine selbstbewusst auftretende, schon ihr halbes Leben auf dem Thunersee als Kapitänin arbeitende Mutter Barbara. Wenn sie ihn mit diesem imposanten Boot sieht, wird sie verstehen: Er hat was erreicht.

      Was die temporären Hörverluste angeht, so versucht seit Jahren ein bunter Trupp unterschiedlichster Spezialisten eine überzeugende Diagnose zu erstellen. Bisher ist nicht klar, was vorliegt. Frau Doktor Lepple vermutet Morbus Menière, aber wenn Lepple ihn untersucht, gerät Gschwind immer ein bisschen durcheinander, denn Lepple zeigt lächelnd ungewöhnlich viel Zahnfleisch, und einmal meinte Gschwind, Blut gesehen zu haben über ihren Schneidezähnen. Was ihn an Frau Doktor Lepple aber vor allem irritiert, ist ihre schwer durchschaubare Neigung, Humorvolles mit Hochernstem zu verquicken. Gleich bei ihrer allerersten Begegnung nannte sie sich Spezialistin für Spezielles, Abteilung Unheilbares, und schaute ihn dabei an, als verstünde sie sich mit bloßem Auge aufs Röntgen.

      Bei Morbus Menière handelt es sich um eine situationsbedingte, stressbasierte, oft mit Schwindel einhergehende Verminderung der Hörfähigkeit. Morbus Menière gilt als nicht mit Medikamenten behandelbar und kann zu dauerhaftem Hörverlust und anhaltendem Schwindel führen. Gemäß Lepple hat auch Vincent Van Gogh darunter gelitten – und sich in einem Wahn von Schwindel und Schmerz einen Teil seines linken Ohrs abgeschnitten.

      Was auch immer es sein mag: Tritt es auf, geht es jeweils rasch vorüber. Aber weil sich die temporären Hörverluste seit zwei Jahren häufen, hat Gschwind auf das Drängen Lepples hin jüngst doch eingewilligt, sich einer MRI-Untersuchung unterziehen zu lassen, die aufzeigen soll, ob sich die Sache allenfalls operativ beheben ließe. Die bereits mehrfach von ihm verschobene Untersuchung flößt Gschwind Angst ein, die Vorstellung, den gesamten Schädel millimetergenau abgescannt zu bekommen, ist ihm höchst unbehaglich. Diese Angst verträgt er meist deutlich besser als den Ärger, den Lepple mit ihrem Privathinweis in ihm ausgelöst hat: Was ich Ihnen persönlich und ganz unabhängig vom Ausgang der Untersuchung empfehle, ist eine Reduktion Ihrer Arbeitsbelastung, eine Reduktion auch der Leistung, die Sie von sich selbst erwarten. Gehen Sie runter auf fünfzig Prozent, schlafen Sie viel und machen Sie lange Spaziergänge im Wald. Denkt Gschwind diesen Lepple’schen Satz, steigt augenblicklich nicht nur der Druck in seinen Ohren, sondern es verstärken sich auch die muskulären Spannungen an Armen und Beinen. Eigentlich, so überlegt Gschwind, würde ihm ein Arzt helfen, der ihm nahelegt, mehr und härter zu arbeiten.

      Oder wäre es – um zur Situation im Flugzeug zurückzukehren, – endlich an der Zeit, sich von dieser Abhängigkeit von lokalen WLAN-Netze zu lösen? Gschwind aber hasst Gebühren, und auch wenn er jetzt bei Valnoya so viel verdient wie nie zuvor, auch wenn eine dreistellige Roaming-Gebühr nur wenige Promille seines Monatsgehaltes verschlucken würde – er hasst es, für Dinge zu bezahlen, die in der Regel kostenlos zu haben sind. Weil ihn Geld und Wirtschaft immer fasziniert haben, hat er sich angewöhnt, seine Sparsamkeit als Ausdruck einer gesellschaftlichen, intellektuellen Haltung zu sehen.

      Als Gschwind wieder in seiner gewöhnlichen Unruhe angekommen ist, klickt er 42 Mal auf den Verbindungsbutton – und atmet erleichtert auf, als er seine Mails endlich empfangen kann. Hillers schickt ihm einen Link zu einem Artikel, in dem sich Heinz Glomme, Präsident des Wirtschaftsdachverbandes, ganz euphorisch gibt: Dank des spektakulären Fundes im Beatenberg zähle auch die Schweiz nun zu den rohstoffreichen Ländern. Das Land stehe vor einer historischen Chance, die es klug zu nutzen gelte. Der Bundesrat hingegen gibt sich vorsichtig: Es brauche vorerst ein umsichtiges Konzept für einen nachhaltigen, landschaftsverträglichen Abbau.

      Hillers

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