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Das Präsidium. Ralf Schwob
Читать онлайн.Название Das Präsidium
Год выпуска 0
isbn 9783955424275
Автор произведения Ralf Schwob
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
***
Zorans Arglosigkeit war wie immer beeindruckend. Er plapperte, scherzte und spielte Maik seine neuen Lieblingssongs auf dem Smartphone vor, als wären sie tatsächlich nur zwei alte Freunde auf dem Weg in ein verlängertes Pfingstwochenende. Das Kokain im Wert von einer guten Viertelmillion Euro im Kofferraum schien ihn nicht im Geringsten zu beunruhigen. Zoran war ein schlichtes Gemüt und manchmal glaubte Maik, dass sein alter Kumpel einfach zu doof war, um Angst zu haben.
Er selbst hingegen war jedes Mal vor allem am Anfang ziemlich nervös. Bei jeder Wagenübernahme sah er sich hektisch um, fest davon überzeugt, dass jeden Moment schwerbewaffnete Polizisten brüllend aus den Büschen springen und sie alle hochnehmen würden. Zorans flache Witzchen, seine Bums-Geschichten und Angebereien brachten Maik aber immer wieder runter. Andere hätte Zoran damit wahrscheinlich genervt und aggressiv gemacht, aber auf ihn hatte er einfach eine beruhigende Wirkung, und das allein rechtfertigte schon, ihn dabeizuhaben.
Sie waren seit knapp zwei Stunden unterwegs. Auf der Autobahn herrschte streckenweise bereits dichter Verkehr, obwohl erst Donnerstag war. Offenbar konnten es sich einige Leute leisten, sehr frühzeitig ins lange Wochenende aufzubrechen. Eine halbe Stunde vor dem Fahrerwechsel nickte Zoran mit dem Kopf am Seitenfenster ein und sabberte die Scheibe voll. Kurz vor dem Rastplatz Lorsch Ost weckte Maik seinen Freund, der auf einmal ungewöhnlich schweigsam war und nur noch verbissen durch die Windschutzscheibe starrte.
Maik nahm die Abfahrt, die zum Rasthof führte, ein überladenes Wohnmobil mit niederländischem Kennzeichen tuckerte behäbig vor ihnen her auf den Parkplatz.
Sie stellten den Wagen in Sichtweite der Tankstelle und des Schnellrestaurants ab, stiegen aus und streckten sich. Zoran klopfte eine Zigarette aus seinem Päckchen, steckte sie sich zwischen die Lippen, zündete sie aber nicht an, sondern blinzelte in die Sonne, als warte er auf eine geheime Botschaft aus dem All. Er trug Jeans und ein braunes Polohemd, an den Füßen nigelnagelneue Nike-Sneakers. Leger, aber gepflegt, so erregte man am wenigsten Aufsehen. Maik hatte sich für beige Chinos und ein schwarzes Kurzarmhemd entschieden. Er sah mit gerunzelter Stirn zu seinem Kumpel rüber, der immer noch mit der Zigarette im Mund dastand und über irgendetwas nachzudenken schien.
»Hey, alles klar?«
Zoran reagierte erst nicht, dann drehte er sich langsam in Maiks Richtung. »Hm? Haste was gesagt?«
»Ich hab dich gefragt, ob alles klar ist?«
»Ja, schon, alles klar. Ich mach mir halt nur auch so meine Gedanken, weißt du ...«
»Ach ja? Und über was machst du dir so ... Gedanken?«
Zoran hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Die Sache gefiel Maik nicht. Wenn einer wie Zoran anfing, sich Gedanken zu machen, konnte das nur in die Hose gehen. Er ging einen Schritt auf seinen alten Kumpel zu, legte ihm eine Hand auf die Schulter, zog sein Zippo aus der Hosentasche und gab ihm Feuer.
»Hör mal, wenn es da was gibt, das ich wissen sollte, dann raus damit, und zwar gleich.«
Zoran sah ihn einen Moment lang mit einem Blick an, den Maik nicht zu deuten wusste, dann zog er an der Zigarette, stieß den Rauch durch Mund und Nase und schüttelte den Kopf.
»Ich geh uns da drüben mal zwei Kaffee holen«, sagte Maik und deutete mit dem Kinn zur Raststätte hinüber. »Tankst du schon mal den Wagen?«
Zoran nickte und nahm die Autoschlüssel entgegen. Auf halbem Weg drehte Maik sich ein weiteres Mal um und sah, dass sein Kumpel die halbgerauchte Zigarette ausgetreten und sich schon hinters Steuer gesetzt hatte.
Obwohl der Parkplatz vor dem Rasthof fast leer war, herrschte im Selbstbedienungsbereich Hochbetrieb. Familien mit quengelnden Kindern und Rentnerpaare, die umständlich ihr Geld abzählten, bevor sie etwas aus der Theke nahmen, belagerten den kleinen Verkaufsraum. Maik fragte sich, woher auf einmal all die Leute kamen, dann sah er durch die Vollverglasung zwei Fernbusse hinter der Raststätte stehen. Einen Moment lang dachte er daran, auf den Kaffee zu verzichten, aber dann stellte er sich doch an. Sie waren gut in der Zeit, alles lief wie am Schnürchen.
Als er eine knappe Viertelstunde später mit zwei Pappbechern in den Händen die Raststätte verließ, hatte Zoran schon getankt, der Wagen stand jedenfalls nicht mehr bei den Zapfsäulen. Maik sah zu den Parkbuchten hinüber, aber auch dort konnte er den BMW nicht entdecken. Er drehte sich einmal um die eigene Achse und sah sich um. Nichts. Wenn das einer von Zorans Späßen sein sollte, so konnte er nicht darüber lachen. Mit großen Schritten überquerte er die Zufahrt. Die schrägen Parkstreifen waren leer bis auf einen VW Passat mit Fahrrädern auf dem Dach und einen alten Golf. Auch die Stelle, an der sie vorhin geparkt hatten, war verwaist. Auf dem Grünstreifen, bei den etwas zurückgesetzten Picknicktischen aus Waschbeton stand eine grüne Mülltonne, über der die Mücken kreisten.
Maik stellte die Kaffeebecher auf dem Deckel ab und ging in die Knie, um den schwarzen Rucksack zu inspizieren, der an der Tonne lehnte. Es war sein Rucksack, den er bei jeder Fahrt dabeihatte. Ein gelbes Post-it-Zettelchen klebte daran.
Tut mir leid, Kumpel stand in Zorans krakeliger Grundschülerschrift auf dem Zettel.
Es dauerte eine Weile, bis Maik kapierte, was passiert war. Dass Zoran mit dem Koks abgehauen war und ihn zurückgelassen hatte. Dass er das schon die ganze Zeit geplant haben musste. Dass er ihn in die Scheiße geritten hatte, um einmal im Leben selbst so richtig abzusahnen. Was das bedeutete, war ihm hingegen sofort klar: Er war so gut wie tot.
Obwohl es keinen Grund gab, Zoran zu schützen, zögerte Maik dennoch, die Nummer zu wählen, die für Notfälle reserviert war. Er holte das Prepaidhandy aus der Hosentasche, sah es einen Moment lang an, dann steckte er es wieder ein und zündete sich stattdessen eine Zigarette an. Für einen Moment hoffte er, dass alles doch nur ein schlechter Witz war und Zoran jeden Moment mit quietschenden Reifen um die Ecke gefahren kam und ihn auslachte: »Was glotzt du so? Schiss gehabt, was?«
Maik sah sich noch einmal um. An der Tankstelle fuhr ein Mercedes vor, ein Typ im grauen Anzug, dessen Bauch über den Hosenbund quoll, stieg aus und tankte. Auf dem eingezäunten Spielplatz vor der Raststätte standen zwei Frauen in Jeans und Sneakers und unterhielten sich, während ihre Kinder auf den im Boden verschraubten Wackelgeräten herumturnten. Einer der Busfahrer lehnte am verglasten Eingangsbereich des Restaurants und las Nachrichten auf seinem Handy. Keine Spur von Zoran und dem BMW.
Maik ging rauchend vor der Mülltonne auf und ab. Als er die zwei vor sich hin dampfenden Kaffeebecher sah, holte er aus und schlug sie vom Deckel herunter, einer fiel unspektakulär ins Gras, aber der andere Becher flog ein Stück durch die Luft, schlug dann auf dem Picknicktisch auf und verspritzte seinen Inhalt über der Platte. Ein alter Mann in beiger Popeline-Jacke und Gesundheitsschuhen, der gerade dabei war, umständlich aus einem Opel Zafira zu steigen, sah entsetzt zu ihm herüber.
Maik holte erneut das Prepaidhandy hervor und tippte die entsprechende Kurzwahltaste. Er berichtete kurz, was passiert war, und legte auf, bevor der Mann am anderen Ende der Leitung etwas sagen konnte, dann machte er sich mit geschultertem Rucksack auf den Weg zum LKW-Parkplatz. Der alte Mann hatte sich wieder in sein Auto zurückgezogen, umklammerte mit beiden Händen das Lenkrad und verfolgte Maiks Abgang mit ängstlichem Blick durch die Windschutzscheibe.
Er hatte gerade einen Trucker gefunden, der bereit war, ihn bis Frankfurt mitzunehmen, da klingelte das Handy. Maik drückte den Anruf weg und schaltete das Gerät aus.
***
Thomas Danzer nahm die spätere S-Bahn, um auf der Heimfahrt nicht schon wieder Steffen in die Arme zu laufen. Er ärgerte sich immer noch über die Einladung zum Grillen. Steffen und Tatjana hatten mit Petra doch schon alles entschieden, bevor man ihn überhaupt gefragt hatte. Seit geraumer Zeit hatte er den Eindruck, von allen nur noch vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Und ihm fehlte die Kraft, sich dagegen zu wehren, weil er jeden Tag damit beschäftigt war, eine Scheinwelt aufrechtzuerhalten, in der er nach wie vor einen Arbeitsplatz hatte und Geld verdiente. Heute Morgen mit Steffen, das war verdammt knapp gewesen. Dabei würde sein Versteckspiel