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zu verwenden, also den Lamido von Tibati. Vor allem nicht viel Freundliches.« Kottbauer spielte darauf an, daß die Fulbe ihre Könige, die gleichzeitig geistliche Oberhäupter sind, nicht Emir, sondern Lamido nennen.

      »Gerede.« Ich winkte ab. »Sanseri und der Lamido von Tibati sind mein Ziel, und das will ich so schnell wie möglich erreichen.«

      »Wozu diese unchristliche Eile?« Kottbauer gab nicht auf, mich zur Rückkehr nach Duala zu bewegen. Er schwärmte mir vor, welches Elysium der modernen Medizin mich im Krankenhaus von Duala erwarten würde. »Kurieren Sie sich dort aus, und nächstes Jahr können Sie dann gemütlich nach Sanseri.«

      »Nächstes Jahr, mein guter Kottbauer, ist es zu spät«, sagte ich, während ich merkte, daß das Opium seine Wirkung tat. Ich begann angenehm leicht zu schweben. Gott segne die moderne Medizin und ihre Medikamente. »Sie wissen vielleicht nicht, daß sich ein Handelsagent von Gaillard & Fils, einem großen französischen Handelshaus, auch auf dem Weg nach Tibati befindet. Wir wissen mit absoluter Sicherheit, daß er mit einer Expedition den Kongofluß hinaufgefahren ist und nun versucht, vom Landesinneren aus nach Sanseri-Tibati vorzustoßen. Hören Sie!« Ich versuchte mich aufzurichten, doch mein Kopf schwamm immer mehr und ich fiel auf mein Lager zurück. »Wir müssen vor dem Franzmann mit dem Lamido von Tibati handelseinig werden. Nicht auszudenken, wenn er uns zuvorkommt!«

      »Oha!« Kottbauer zwirbelte seinen aschblonden Schnurrbart. »Da haben wir wohl ein Wettrennen durch die Wildnis vor uns.«

      »Wir haben es nicht vor uns, wir stecken mittendrin.«

      Da meine Kräfte nicht mehr für einen Fußmarsch ausreichten, mußte ich fortan in einer Hängematte, die meine Leute aus Bast hergestellt hatten und die an einer Bambusstange befestigt war, getragen werden. Das Schwanken meines Transportgeräts machte mich erst völlig seekrank, doch allmählich gewöhnte ich mich daran, denn es war noch das geringste Übel, mit dem ich zu kämpfen hatte. Fieber und Krämpfe schüttelten mich, nur die Schmerzen waren dank des Opiums und des Kokains halbwegs erträglich.

      Unser teuer erworbener Expeditionsführer hatte es offenbar vorgezogen, im Dschungel verlorenzugehen. Er blieb mit den beiden Wute-Kriegern verschwunden. Nun war ich der Expeditionsleiter wider meinen Willen. Wir zogen durch das Hochland. In meinem Dämmerzustand nahm ich wenig wahr. Es ging bergauf und bergab. Wir wateten durch Flüsse und kleine Sümpfe, kamen in größere und kleinere Dörfer, wo wir von den Eingeborenen Lebensmittel kauften und Führer für die nächste Wegstrecke warben. Haine mit Bananen, Kakao, Öl- oder Weinpalmen zogen an uns vorbei. Tabakfelder, Mais und Hirse – selbst gebeutelt von Fieberanfällen konnte ich die unglaubliche Fruchtbarkeit des Landes wahrnehmen. Was für ein Jammer, daß ich nicht überall mit den Häuptlingen über Handelsbeziehungen verhandeln konnte. Und dann immer wieder schier endlose Flächen mit meterhohem Elefanten- oder Schilfgras, in denen nur mattrot- oder gelbblühende Indigopflanzen farbige Akzente setzten. Natürlich hatte ich längst bemerkt, daß wir nicht in Richtung Balinga zogen. Die Negerstadt mußte weiter südlich liegen, doch unsere Wute-Krieger meinten, sie würden eine Strecke kennen, die uns auch ohne den Umweg nach Balinga auf eine Karawanenstraße bringen würde.

      Ich litt, fieberte und phantasierte, sah Elefanten, wo nur Antilopen weideten, fühlte Regen, wo nur ein Windhauch aufgekommen war, wollte mich vor der stechenden Sonne schützen, obwohl es aus Kübeln goß, dachte, Robert wolle mich ermorden, wenn er mir nur frisches Wasser zur Labung auf die Stirn träufelte. Ach mein herzensguter Boy Robert, wie sehr er mit mir litt!

      Und dann sah ich plötzlich, als wir einen Bananenhain durchquerten, die feine Dame, die in einem eleganten Straßenkostüm, den Kopf mit einem englischen Strohhut bedeckt, am Wegesrand stand. Nun hat mich das Wundfieber endgültig verrückt gemacht, dachte ich bei mir und schloß die Augen für einen Moment. Du bist nicht in Bremen oder München beim Sonntagsspaziergang, rief ich mir ins Bewußtsein, mach die Augen wieder auf und sie wird weg sein. Ich öffnete die Augen, aber die Dame war noch da. Jetzt erst bemerkte ich, daß sie nur wie eine Europäerin gekleidet war, sie war eine schwarze Frau mittleren Alters. Kleid und Hut hatte sie wohl bei einem Haussa-Händler eingetauscht. Sie lächelte mich freundlich an, ihr fehlten fast alle unteren Zähne, die der oberen Zahnreihe waren spitz zugefeilt. Ich bin weder Ethnologe noch Rassekundler, doch aus ihrem langgliedrigen, schlanken Wuchs und dem recht hellen Braunton ihrer Haut schloß ich, daß sie eher zum Volk der Sudan- als der Bantuneger gehörte. Vielleicht hatten sich hier auch schon Haussa oder Fulbe mit den Ureinwohnern vermischt.

      Nach langem Palaver, das unser Wute-Dolmetscher führte, stellte sich heraus, daß die Dame im nächsten Dorf das Amt des Häuptlings ausfüllte. Mir war in Afrika schon viel begegnet, aber noch nie eine Frau als Stammesoberhaupt. Das Dorf Ndjamele, das in einer sanften Hügellandschaft umringt von Feldern lag, war durch nichts befriedet oder gesichert. Es war kaum mehr als ein Häuflein von Gehöften in typischer Rundbauweise, zwischen denen muntere Kinder und Ziegen herumtollten. Eines dieser Gehöfte stand leer, es wurde uns als Nachtlager zugewiesen.

      Vor langer Zeit, so erklärte uns die Frau Häuptling beim üppigen Nachtmahl, das aus Rindfleisch, Kochbananen, kräftigen Saucen mit viel Pfeffer, Hirsebrei und frischen Früchten bestand, sei dies das Gehöft ihres Bruders gewesen, wobei sie offen ließ, was »vor langer Zeit« bedeutete. Der Afrikaner besitzt bekanntlich keinerlei Zeitgefühl – was sich leider auch sehr negativ auf die Erziehung zur Pünktlichkeit niederschlägt. Also konnte »vor langer Zeit« gestern oder vor zwanzig Jahren bedeuten. Ihr Bruder sei Häuptling gewesen. Er hätte drei Frauen, neun Kinder und unzählige Rinder gehabt. Doch dann seien die Häscher des Lamido von Tibati gekommen und hätten viele Frauen und Kinder auf den Feldern oder beim Viehhüten überrascht, gefangengenommen und als Sklaven verschleppt. Auch der Häuptling, der sich heldenhaft gewehrt habe, sei versklavt worden. Daß viele Fulbe-Völker, die weite Regionen Afrikas beherrschen, seit langem regen Sklavenhandel treiben, wobei vor allem die viel dunkelhäutigeren Sudan- und Bantuneger ihre »Ware« sind, ist sattsam bekannt. Leider waren in der Vergangenheit viele europäische Händler Hauptabnehmer dieser »Ware«. Der schändliche Sklavenhandel wird hoffentlich endgültig vorbei sein, wenn die mohammedanischen Fulbe-Königreiche endlich von europäischen Mächten zur Raison gebracht werden.

      Nachdem die Familie der Frau Häuptling also dieses erschütternde Schicksal ereilt hatte, wurde sie als älteste Schwester des Häuptlings zum neuen Sippenvorstand gewählt. Auf mein verwundertes Nachfragen, ob das denn so üblich sei, bekam ich nur die Anwort, man verstehe meine Frage nicht. Die Bewohner des Dorfes, die uns alle beim Mahl umringten und eifrig mitaßen, bekräftigten einzelne Aussagen ihrer Anführerin mit lautem Gemurmel oder Geseufze. Als die Verschleppung das Thema war, fingen einige alte Weiber zu kreischen und wehklagen an. Ich gebe hier nur die Quintessenz des langen Berichts wieder, denn je später der Abend wurde, und vor allem je mehr vergorener Palmwein durch die Kehlen geflossen war, desto dramatischere Einzelheiten flossen in die Erzählung ein. Im Schein des Feuers funkelten die Augen, die bunten Gewänder der Eingeborenen flirrten, die Stimmen überschlugen sich, unser Dolmetscher kam kaum noch mit dem Übersetzen nach. Nun, so schloß die Frau Häuptling endlich ihre Rede, lebten sie nicht nur in der Furcht vor ihren Nachbarn, die bekanntlich Kannibalen seien (was unsere Wute-Männer mit beifälligem Gemurmel bestätigten), sondern auch in der Furcht vor den fernen Fulbe-Fürsten, die immer weiter in ihr Land eindringen würden. Ja, man munkelte gar, die Kannibalen-Nachbarn seien bereits von den Fulbe unterworfen worden, was diesen Wilden, die im Prinzip kaum mehr als räudige Hunde seien, aber nur recht geschehe. Frau Häuptling überlegte sogar, ob man nicht den Schutz des mächtigen Königs von Fumban erflehen solle, denn gegen diesen König aus dem sagenhaften Reich im Norden seien selbst die Fulbe machtlos. Überflüssig zu erwähnen, daß dieser Abend mit dem üblichen Tanz und Gesang ausklang.

      Ich war froh, ein sauberes Lager zu haben. Die Negerhütten im Hochland, das muß an dieser Stelle gesagt sein, sind entgegen unserer allgemeinen Ansicht durchaus sauber. Die Frauen kehren und putzen täglich mehrmals. Die Hochlandneger stehen augenscheinlich auf einer höheren Zivilisationsstufe als die Wald- und Küstenbewohner. Sie begnügen sich nicht mit einfachen Lendenschurzen, sondern legen Wert auf vollständige Bekleidung, meist kunterbunte Gewänder. Ihre Weiber laufen selten so unzüchtig unbekleidet herum, wie es in Duala oder im Wald gang und gäbe

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