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beruhigend. »Wir haben nur von seiner Frau erfahren, dass er Sie häufig besucht, und wir möchten ihm ein paar Fragen stellen.«

      »Mein Neffe ist beim Skifahren. Worum geht es denn?«

      »Das sollten wir am besten mit Ihrem Neffen besprechen. Sie wohnen alleine hier, Frau Frese?«, fragte Pfeffer aus reiner Neugierde und ließ seinen Blick über die gerahmten Fotografien schweifen.

      »Ja«, antwortete die Greisin. »Frau Marwitz hilft mir drei Tage die Woche ein wenig im Haushalt. Aber sonst kann ich mich noch sehr gut selbst versorgen, falls Sie das meinen. So hinfällig bin ich auch noch nicht!« Ihr Ton wurde etwas spitz. »Und falls mal was passieren sollte, ist fast immer jemand im Haus. Ich habe die Wohnung im ersten Stock an ein paar Studenten vermietet.«

      »Und Ihr Großneffe, übernachtet der auch manchmal bei Ihnen?«, hakte Freudensprung nach.

      »Sicher, oben. Er hat sich unter dem Dach ein kleines Refugium ausgebaut. Da trifft er sich oft mit seinen Freunden zum Kartenspielen.« Emmy Frese zwinkerte verschwörerisch. »Seine Frau hat es nämlich gar nicht gern, wenn Georg seine Kartenfreunde bei sich zu Hause empfängt. Die karteln jeden Freitag oben in meinem Dachstübchen.« Sie kicherte mädchenhaft.

      »Sie scheinen ein gutes Verhältnis zu Ihrem Großneffen zu haben«, meinte Pfeffer und heftete seinen Blick erneut auf das große vergilbte Foto, das schon wegen seines Alters aus den anderen Aufnahmen ringsherum herausstach. Das Bild zeigte einen Herrn mit mächtigem Schnauzbart, der einen weißen Tropenanzug trug und selbstzufrieden und lässig im Korbstuhl auf einer Veranda saß. Auf dem Schoß hielt er ein kleines Mädchen, neben ihm stand ein grinsender Bursche. Hinter dem Mann stand eine Frau mit ernstem Blick. Etwas abseits sah eine Schwarze mit Turban dem Betrachter unsicher direkt in die Augen. Sie hatte ihre linke Hand auf die Schulter eines dunkelhäutigen Jungen gelegt, der ungefähr zehn Jahre alt war. Auf einem niedrigen Tisch im Bildvordergrund standen ein paar Limonadengläser sowie eine afrikanische Figur. Auch Paul Freudensprung musterte nun das Foto eingehend.

      »Georg ist mein Liebling«, antwortete Emmy Frese, doch Pfeffer hörte gar nicht richtig hin. Afrika, schoss es ihm durch den Kopf und er zog die Figur aus seiner sportiven Umhängetasche und stellte gleichzeitig die Frage: »Kennen Sie die?«

      Die Alte kniff die Augen zusammen und streckte ihre knotige Hand aus. Pfeffer gab ihr die Figur. Die Alte hielt sich die Holzstatuette so dicht vor die Augen, dass man hören konnte, wie sich ihre Nase am Holz rieb. Helene Marwitz, das hatte Pfeffer beobachtet, war zunächst erstarrt, dann neugierig herangetreten, hatte die Statue ganz unauffällig näher betrachtet und sich wieder entspannt.

      »Sieht ein bisschen aus wie die Sachen, die ich meinem Schorschi gegeben habe«, meinte die Alte. »Aber diese Figur habe ich noch nie gesehen. Nein, Herr Kommissar, das sagt mir gar nichts.«

      »Kriminalrat, aber egal. Und sagt Ihnen der Name Doktor Sönke Westphal etwas?«

      »Nein«, antwortete die Alte unbekümmert. Doch viel mehr interessierte Pfeffer die Reaktion von Helene Marwitz. Sie war zusammengezuckt, als der Name des Toten gefallen war.

      »Und Ihnen, Frau Marwitz?«

      Bevor Helene etwas sagen, lügen konnte, rief Emmy Frese: »Doch, halt.

      Ich glaube, so hieß der junge Mann, der vor etlichen Jahren mal bei mir vorstellig geworden ist. Ein eingebildeter Kerl.«

      »Wann war das?«, erkundigte sich Freudensprung.

      »Das ist bestimmt schon über fünfzehn Jahre her. Irgendwann in den Achtzigern. Sönke Westphal, ja, ich bin mir sicher, auf meine kleinen grauen Zellen ist doch noch Verlass.« Sie machte ein triumphierendes Gesicht und tippte sich an die Stirn. »Er hat Völkerkunde studiert und wollte die Aufzeichnungen meines Vaters einsehen. Wir haben nämlich mal in Kamerun gelebt, wissen Sie? Aber ich habe ihm die Tagebücher meines Vaters nicht gegeben. Dieser Westphal wollte dort hin, wo ich einst aufgewachsen bin, um bei den Negern zu leben und sie zu studieren. Auf was für Ideen die Leute heutzutage kommen! Wir haben da gelebt, und ich kann Ihnen sagen, dass es sich wirklich nicht lohnt, diese Eingeborenen zu studieren!«

       08

      Raubkatzen sind für den Wanderer in der Wildnis nicht gefährlich, das hatte ich bereits geschrieben. Ich sollte aber hinzufügen, daß sie einem sehr wohl gefährlich werden können, wenn sie angeschossen sind und sich in die Enge getrieben fühlen. So wie der Panther, der mich plötzlich wild fauchend ansprang und mir mit seiner mächtigen Pranke einen bösen Schlag gegen die rechte Brust versetzte. Ich hatte mich gerade auf einen umgestürzten Baumstamm setzen wollen, um die Sonne zu genießen, denn der Wald wurde lichter und kündigte schon den Übergang vom Urwald zur Graslandschaft an. Leider hatte sich der Panther ausgerechnet hinter diesen Baumstamm vor den Gewehrsalven unseres Expeditionsleiters geflüchtet. Jener hatte sich schon vor ein paar Stunden von unserem Trupp gelöst, um mit zweien seiner Wute-Krieger das Raubtier zu jagen. Wir Zurückgebliebenen stapften unseren Weg weiter, hörten gelegentlich in der Ferne Schüsse und als wir dann eine Rast einlegten, passierte das Unglück.

      Ich sah nur einen schwarzen Schatten, der auf mich zustürzte, roch den Atem des Todes, als die Bestie ihr Maul mit den messerscharfen Fangzähnen aufriß, spürte einen reißenden Schmerz auf meiner linken Brust und verlor dann kurz das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, lag das Tier von Wute-Speeren durchbohrt neben mir. Die beiden Missionsbrüder knieten an meiner Seite. Mein Boy Robert drängte sie beiseite. »Alles in Ordnung, Massa?« fragte er besorgt.

      »Schon gut«, antwortete ich schwach. »Mir ist nichts passiert.« Dann packte mich Wut. »Wo ist dieser Sonntagsjäger?« schrie ich. »Ich bringe ihn eigenhändig um!« Ich wollte mich aufrichten, doch der stechende Schmerz in meiner Brust ließ mich zurücksinken.

      »Schsch, Massa«, beruhigte mich mein Boy. »Sie sind schwer verletzt. Der Massa Führer ist noch nicht zurück. Ich werde mich jetzt um Ihre Wunde kümmern.« Es bereitete mir ein wohliges Gefühl, daß es jemanden in dieser Wildnis gab, der so besorgt um mein Wohlergehen war. Unserem Trupp blieb nichts anderes übrig, als an dieser Stelle das Nachtlager aufzuschlagen. Mein Boy Robert zerstampfte verschiedene Blätter, etwas Rinde und ein paar Wurzeln in einem Topf zu Brei. Dann spuckte er zweimal kräftig hinein, goß noch ein paar Tropfen Palmöl dazu und ging mit dem Topf nach draußen. Nach ein paar Minuten kehrte er zurück und begann meine Wunde zu säubern. Die Krallen der Bestie hatten mich schwer gezeichnet. Mein Boy wollte die selbstgebraute Paste auftragen.

      »Robert!« Ich packte seine Hand. »Was ist das, was du mir da auf die Wunde schmieren willst? Was hast du draußen noch reingetan?«

      »Das will der Massa gar nicht wissen«, entgegnete Robert bestimmt. »Das ist ein altes Mittel gegen böse Wunden. Es hat schon vielen geholfen.« Er trug die Paste auf. Was hätte ich tun sollen? Weitab vom Krankenhaus von Duala blieb mir keine andere Möglichkeit, als auf die Naturmedizin eines Primitiven zu vertrauen. Kaum war er fertig, betrat der ältere der beiden Missionsbrüder mein Zelt, Alois Kottbauer.

      »Herr Frese«, sagte er und trat näher. »Ich habe da was für Sie, was Ihnen zumindest die Schmerzen erträglicher macht.« Er reichte mir eine Schachtel mit Opiumpastillen. Dankbar schluckte ich zwei. Mir fiel wieder ein, daß ich auch etwas Kokainpulver im Reisegepäck hatte. »Werden Sie nun nach Duala zurückkehren?«, fragte mich Kottbauer.

      »Wozu?« entgegnete ich. »Wieder fünfzehn Tage durch den Dschungel? Wenn ich die Rückreise überleben sollte, kann ich genausogut weiter Richtung Jokó ziehen. Nein, wir müssen nach Jokó.«

      »Sie müssen gar nichts. Wir können auch ohne Sie weiterziehen. Warum wollen Sie unbedingt nach Jokó?«

      »Ich will sogar noch weiter«, erklärte ich und spürte, wie die Schmerzen allmählich nachließen. »Unser Ziel ist Sanseri-Tibati!«

      Kottbauer pfiff

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