Скачать книгу

zum damaligen Zeitpunkt über das Forschungsthema Gruppenentwicklung zugänglich waren. Der junge Wissenschaftler arbeitete in einer kleinen Arbeitsgruppe von Sozialpsychologen. Ko-Autorin war Mary Ann Jensen.

image

      Abb. 1: [21] Faksimile des Tuckmann-Modells aus dem Nachdruck von 2001. Quelle: Tuckmann, 1965.

      [22] Auftraggeber dieser „Metastudie“ war die US-Navy, die großes Interesse daran hatte, die Gruppenzusammensetzung für die Besatzung von Schiffen und militärischen Stützpunkten zu optimieren. Tuckmanns und Jensens damalige Literaturauswertung war derart exzellent und erweckte so großes Interesse, dass sie 2001, also 36 Jahre später, in der Zeitschrift „Group Facilitation: A Research and Applications Journal“ wieder abgedruckt wurde. Wegen der grundlegenden Bedeutung dieser Studie soll hier das Tuckmann-Modell im Original aus dem Nachdruck von 2001 wiedergegeben werden.

      Tuckmanns Analyse hat die nachfolgende Forschung maßgeblich beeinflusst und hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt.

      Die folgende Darstellung der Gruppenentwicklung geht auf diese Studie von Tuckmann zurück, modifiziert allerdings Phase 5. Die Phasen verstehen sich als ein zirkuläres Modell. Eberhard Stahl beschreibt sie folgendermaßen:

      1. Forming: Gründungsphase, Einstiegs- und Findungsphase,

      2. Storming: Streitphase, Auseinandersetzung und Konflikte,

      3. Norming: Vertragsphase, Regelungen und Übereinkünfte,

      4. Performing: Arbeitsphase, Leistungsphase, Kooperation,

      5. Re-forming: Orientierungsphase, Bilanzieren, Veränderung (vgl. Stahl, 2007).

      Im Folgenden werden diese Phasen kurz erläutert und v.a. im Hinblick auf Anforderungen an das Leitungsverhalten konkretisiert.

      1. Forming

      In der Anfangsphase herrscht bei den GruppenteilnehmerInnen Unsicherheit vor: Orientierungsversuche und Sich-gegenseitig-Testen zeichnet diese erste Phase ebenso aus wie ambivalente Gefühle bezüglich:

      Neugier, wie bspw.

      ■ selbstbewusstes Auftreten/nicht auffallen wollen,

      ■ unwissend sein/kompetent erscheinen wollen,

      ■ Orientierung suchen/so tun, als wisse man alles.

      Die Leitung sollte im Forming Sicherheit vermitteln und für ein gutes Arbeitsklima Sorge tragen. Sie ist einem Katalysator vergleichbar, der der Gruppenvertragsabwicklung dient und dabei hilft, die offiziellen Ziele zu klären und Gewissheit zu erlangen über

      ■ zwischenmenschliche Grundregeln und

      ■ Zugehörigkeit zur Gruppe.

      Die Gruppenleitung sollte in dieser Phase für einfache Kontaktmöglichkeiten sorgen, Scheu, Verunsicherung und Zurückhaltung akzeptieren, auf klare Arbeitsaufträge und Zeitabsprachen achten und ihre Autorität und Position [23] bewusst wahrnehmen, um für Konventionen, Normen und Strukturen in der Gruppe und damit Sicherheit und Zuverlässigkeit zu sorgen. Da diese Phase von grundlegender Bedeutung für die weitere Entwicklung einer Gruppe ist, sollte eine ausreichende zeitliche Rahmung gewährleistet sein.

      2. Storming

      Im Storming testen die Gruppenmitglieder die Leitungsperson. Es finden zwecks Positions- und Rollenklärung gruppeninterne Rangeleien statt. Die Konflikt- und Konkurrenzlinien werden deutlich und das Spannungspotential der Gruppenziele entfaltet sich. Die individuellen Ziele sind nicht nur verschieden, sondern konkurrieren miteinander. Im Storming sollte die Leitung die Gruppe entlasten, klimatische Hinweise auf Konflikte aufgreifen und öffentlich machen. Ihre Aufgabe besteht u.a. darin, diejenigen zu unterstützen, die sich kommunikativ vorwagen. Gleichwohl bleibt sie allparteilich. Ihre Aufmerksamkeit gilt auch der Belastbarkeit der Gruppenmitglieder – und der eigenen Selbstfürsorge. Diese Phase stellt besonders hohe Anforderungen an die Gruppenleitung, weil sie den Prozess und die individuelle Verfasstheit der Gruppenmitglieder wachsam und aufmerksam begleitet.

      3. Norming

      In dieser Phase geschieht die eigentliche Gruppenentwicklung. Es werden gemeinsame Regeln vereinbart, bspw. Konfliktregeln. Die Leitung hat die Aufgabe, Regelbildungen transparent zu machen und für Verbindlichkeiten zu sorgen. Im Norming übernimmt die Leitung die Moderationsposition. Sie formuliert die Themen, hilft Ideen zu sammeln und zu strukturieren. Sie sollte große Sorgfalt beim Übergang vom Storming ins Norming walten lassen, damit ein prägnanter Wechsel, der auch für die GruppenteilnehmerInnen sichtbar und nachvollziehbar ist, stattfinden kann.

      4. Performing

      Jetzt stehen Thema und Aufgaben im Mittelpunkt der Gruppenaktivitäten. Es ist eine Phase des Sich-Einbringens, Sich-Engagierens. Die Gruppe zeichnet sich durch eine hohe Zuverlässigkeit und Beständigkeit aus. Im Performing sollte sich die Leitung eher zurückhalten und für die Einleitung der Re-forming-Phase Sorge tragen.

      5. Re-forming

      Hier werden die Aufgabe und das Thema abgeschlossen. Die Gruppenmitglieder ziehen Bilanz, bereiten sich auf den Abschied von der Gruppe vor. Auch in dieser Phase kann das Klima – vergleichbar mit dem Forming – von [24] Unsicherheit geprägt sein. Die Gruppenleitung trägt Sorge für einen angemessenen Rück- und Ausblick, trägt zu einem Klima des konstruktiven Austausches bei und begleitet die Gruppe in ihrer Abschlussphase.

      Dieses idealtypische Phasenmodell erfährt im realen Gruppengeschehen auch Einschränkungen. Eberhard Stahl schreibt: „Das Prozessphasenmodell versucht, Erfahrungen in eine schlüssige Form zu bringen und dient der vereinfachenden Beschreibung komplexer Zusammenhänge, ohne deren Komplexität umfassend abbilden zu können (es ist eine Landkarte und nicht die Landschaft selber)“ (Stahl, 2007, 58). So existieren bspw. fließende Phasenübergänge, themenspezifische Ungleichzeitigkeiten von Phasen oder auch unvollständig durchlaufene Phasen. Folgende Darstellung fasst die wesentlichen Merkmale der fünf Phasen zusammen:

image

      Abb. 2: Charakteristik der fünf Phasen der Gruppenentwicklung nach Stahl. Quelle: Stahl, 2007, 50.

      Diese Darstellung illustriert anschaulich, dass eine Gruppe verschiedene, aufeinander aufbauende Entwicklungsstufen durchlaufen muss, „bevor sie das Stadium einer handlungsfähigen und generativen Gruppe erreicht hat“ (Schattenhofer, 2009, 36). In diesem Prozess bilden sich unterschiedliche Verhaltensstile einzelner Gruppenmitglieder aus, die als gruppendynamische oder neurotische Rollen bezeichnet werden.

      In Gruppen bilden sich regelhaft spezifische psychologische und/oder psychodynamische Rollen heraus. Psychologische Rollen sind relativ, können [25] wechseln und weisen eine große Verhaltensoffenheit auf. Gruppendynamische Rollen beschreiben qualitativ das Ausmaß, in dem ein Mitglied die in der Gruppe durchsetzbaren Ziele, Werte, Themen, Umgangsweisen und Argumentationsstile prägt. Sie sind relativ flexibel: FührerIn, MitläuferIn, AußenseiterIn oder Sündenbock sind als gruppendynamische Rollen nicht statisch auf ein einzelnes Gruppenmitglied fixiert.

      Wenn diese Rollen allerdings neurotisch besetzt werden, muss die Gruppenleitung achtsam mit der möglichen Verfestigung dieser Rollen im Gruppenprozess umgehen. Bei der neurotischen Besetzung suchen die Gruppenmitglieder immer wieder das gleiche Beziehungsthema und Beziehungsklima, um ihre zwischenmenschliche Konstellation und ihr eigenes Lebensskript in der Gruppe zu etablieren. Ihr Rollenprofil in der Gruppe reduziert sich auf eine statische Fixierung, die nicht nur den eigenen Handlungsspielraum deutlich einengt, sondern auch für die übrigen Gruppenmitglieder und die Leitung Konsequenzen hat.

      Hier befinden wir uns auf der Ebene

Скачать книгу