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gelebte Leben der Edith Stein ihr selbst und dem nachträglichen Betrachter in ganz verschiedener Weise vor Augen tritt, liegt ein bedeutendes Verdienst der genannten Abhandlung. Sie lädt den Leser immer neu ein, in den biographischen Wechselfällen eine vorsehende Fügung am Werke zu sehen. Weil das auf werbende statt auf apodiktische Weise geschieht, vermag der Leser diesem Duktus in der Weise zu folgen, dass die menschliche Verletzbarkeit und zugleich die Fähigkeit zum Gottvertrauen bei Edith Stein Kontur gewinnen. Der geistesgeschichtliche Kontext ihrer Lebensweise als Ordensfrau im Karmel wird umfassend gewürdigt und als hermeneutischer Schlüssel für ihre geistliche Existenz herangezogen. Das findet u. a. darin Ausdruck, dass einige Kapitel der Studie mit Abschnitten der Karmelregel eingeleitet werden154 oder Zitate aus den ordenseigenen Konstitutionen den Ausführungen vorabgestellt sind.155 Dieser Zugang zum betenden Geschehen der Edith Stein ist sehr instruktiv. Denn es wird bei der Lektüre der größere Zusammenhang des gottgeführten Weges sichtbar, auf dem Koeppel zufolge Edith Stein schließlich in den Karmel geführt wurde. Eine retrospektive Sichtung der Biographie Edith Steins, bei der betont und durchgängig von der Warte ihrer späteren Karmelexistenz auf ihre gesamte Biographie geschaut wird, bleibt allerdings vom Ansatz her anfällig für engführende Perspektiven. Denn im Verlauf ihres geistlichen Lebens war keinesfalls schon jederzeit ausgemacht, dass unsere Autorin in den Karmel gelangen sollte. Vielmehr waren immer neu große Offenheit und Unbestimmheit das Signum ihrer Biographie. Durch diese Unbestimmtheit konnte für Edith Stein jedoch auch die Dimension der Freiheit von Entscheidungen und diejenige des radikalen Vertrauens auf Gottes Fügungen an Bedeutung gewinnen, auch und gerade in prekären biographischen Momenten. Eine engführende Perspektive auf das Beten der Edith Stein, das nur noch vom geistlichen Leben der Karmelitin Sr. Teresia Benedicta her in den Blick käme, wird allerdings von Koeppel in allen Teilen ihrer Studie vermieden. Was die Autorin zum Gebet bei Edith Stein ausführt, erlaubt vielmehr tiefen Einblick in das je neue Zusammenwirken von biographischen Fügungen und mutigen Entscheidungen seitens der späteren Ordensfrau, die in der Darstellung Koeppels als geistlicher Mensch prägnante Kontur gewinnt.

      Vierzehn Jahre nach dem Beitrag Koeppels erschien im Jahre 2004 eine Abhandlung von Joanne Mosley aus Großbritannien. Dieser Beitrag führt das Thema Gebet direkt und instruktiv im Titel: „Edith Stein – Woman of Prayer“.156 Bereits im Vorwort kommt die Autorin auf die zentrale Bedeutung des Gebets für das Verständnis von Edith Stein zu sprechen: „But to my mind, there is one label that holds all the others together, that I feel is the essence of Edith Stein: she was, first and foremost, a woman of prayer.“157 Edith Stein als Frau des Gebets kommt bei Mosley auf zweifache Weise in den Blick, was sich im Aufbau ihrer Monographie spiegelt. Der erste Teil „Ideals in Edith’s Life“158 gliedert sich in vier Kapitel, die programmatisch betitelt sind mit „The Search for the truth“, „The Truth of the Cross“, „Blessed by the Cross“ und „The Ultimate Sacrifice“. Ausgehend von der grundlegenden Affinität Edith Steins zu Wahrheit, die sie schließlich zur Wahrheit in Person führt, und zwar zu Jesus Christus, wird die karmelitanische Verbindung von Gebet und hingebender Opferbereitschaft konturiert. Diese vom Gebet orientierte Opferbereitschaft führt Edith Stein schließlich zur Lebenshingabe für andere, und zwar aus der innigen Verbindung mit Jesus Christus. Im zweiten Teil ihrer Studie geht Mosley – stärker als die Darstellung von Josephine Koeppel – von den biblischen Gestalten und Heiligen des Karmelordens aus, die das Beten der Edith Stein als ideale Leitsterne und Vorbilder orientierten und prägten. Dem entsprechend lautet die Überschrift des zweiten Teils „Ideal Figures in Edith’s Prayer“.159 Die biblischen und monastischen Gestalten werden in den vier Kapitel „Jesus: Empathy in Prayer“, „Mary: Our Model and Mother“, „Queen Esther: Intercession and the Jewish People“ sowie „The Saints of Carmel: Sanctity for All“ dargestellt. Ausgehend von der einfühlenden Begegnung Edith Steins mit der Gestalt Jesu Christi, die ihr in der Eucharistiefeier, im stillen Gebet und der Heiligen Schrift widerfährt, erlangt die altbundliche biblische Gestalt der Esther für Edith Stein Bedeutung, bis Maria an der Schnittstelle von Altem und Neuem Testament in den Blick der Untersuchung rückt. Von den Heiligen des Karmel stellt Mosley als für Edith Stein bedeutsam prägende Figuren zunächst Elia vor, dann Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz sowie schließlich Therese von Lisieux. Die Studie von Joanne Mosley ist die bisher einzige ausdrücklich dem Beten gewidmete Abhandlung über Edith Stein. Mosleys Beitrag erhellt in übersichtlicher und eingängiger Form, wie die Personen der alt- und neubundlichen Verheißung sowie Heiligengestalten Edith Stein innerlich nahe kommen und ihr Beten orientieren. In dieser personalen Sicht auf das Gebet der Edith Stein, bei der auch ihr tiefes Leben aus der Begegnung mit der Heiligen Schrift facettenreich aufgewiesen wird, liegt ein wertvoller Verdienst dieses Forschungsbeitrags. Die innige Verbundenheit Edith Steins mit dem in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn und mit der Gestalt Mariens als Gottesmutter und als wegbegleitender Schwester wird in gleichermaßen informativer wie geistlich instruktiver Weise dargestellt. So wird im Beitrag Mosleys insgesamt der Nexus von Wahrheitsliebe und Empathiefähigkeit in Begegnungen als hermeneutlischer Schlüssel erkennbar, der Zugang zu Edith Steins geistlicher Existenz ermöglicht.

      Im Jahre 2008 blickt Dianne Marie Traflet in pastoraltheologischer Perspektive und mit dem Anliegen der Erkundung spiritueller Theologie auf die geistliche Vita Edith Steins. Ihr Beitrag „Edith Stein. A Spiritual Portrait“160 zeichnet das geistliche Leben Edith Steins unter vier wesentlichen Gesichtspunkten nach. Dazu lässt sie eine breite Anzahl von Belegstellen aus Steins Schriften und Briefen sowie Aussagen von Zeitzeugen im klösterlichen Lebenskontext der Karmelitin zu Wort kommen. Die Autorin konturiert zunächst unter Einbezug dieser Quellen, wie die Suche nach Wahrheit für Edith Stein zur geistlichen Frage wird („Searching for the Truth: Edith Stein’s Spiritual Quest“161), bevor die Bedeutung die Eucharistie in den Blick rückt („Loving with His Love: The Importance of the Eucharist“162). Das Vorbild der Gottesmutter Maria („Carrying Divine Life: The Example of Mary“163) und schließlich Steins Berufung zur Kreuzesnachfolge („Carrying the Cross into a World of Flames“164) werden von Traflet als die beständig wirksamen geistlichen Quellen aufgewiesen, die Stein innerlich vitalisieren und ihren Lebensweg ausrichten. Dass die Autorin sich auf wenige Kristallisationspunkte der Spiritualität Edith Steins konzentriert, erlaubt der Lektüre, in kurzer Zeit vier bedeutsame Merkmale der geistlichen Biographie zu erfassen. Vor allem die Innigkeit, mit der Edith Stein die Suche nach Wahrheit, die Nähe zu Jesus Christus in Eucharistie und Kreuzesnachfolge sowie die Bezogenheit auf Maria lebte, gewinnt in der Darstellung Traflets plastische Gestalt. Wie Steins tiefer Glaube beständig ihren Alltag orientiert und wie ihre Frömmigkeit auf andere ausstrahlt, erlangt in Traflets Darstellung ebenfalls große Anschaulichkeit. Ihre Sicht auf Edith Stein wird schließlich von Überlegungen abgerundet, welche Botschaft Edith Stein für heute nahe bringt. Das geistliche Portrait, das dieser Beitrag zeichnet, kann daher als gleichermaßen facettenreich wie prägnant bezeichnet werden. Es ist um aktualisierende Aneignung der geistlichen Gestalt Edith Steins bemüht und verdichtet daher längere Suchprozesse und Entwicklungen in geraffter Darstellung und pointierter Skizzierung. Angesichts der reduzierten Kürze des Beitrags kann nicht erstaunen, dass die philosophische Prägung des Steinschen Betens nicht entfaltet wird und ihr jüdisches Erbe nur en passant Erwähnung findet. Gleiches gilt für die prägenden Einflüsse, die neben Teresa von Ávila von anderen Heiligen des Karmel auf Edith Stein ausgingen. Das Anliegen einer geistlichen Mystagogie, das Edith Stein und ihr Gebetsleben werbend als Modell und Vorbild für eine eucharistisch-marianisch geprägte Frömmigkeit vor Augen stellt, ist der Monographie Traflets anzumerken. Darin darf sich Traflet dem verbunden wissen, was Edith Stein bei ihrer öffentlichen Wirksamkeit stets als Ziel ihrer Ausführungen vor Augen hatte, und zwar wie man es anstellen kann, an der Hand Gottes zu leben.

      Es bleibt trotz der oben erwähnten Studien festzuhalten, dass das Thema Gebet in der Edith-Stein-Forschung mit Blick auf vorliegende Veröffentlichungen keine bedeutende Rolle spielt. Dies kann insofern erstaunen, als doch gerade das gemeinschaftliche und persönliche Gebet für die Frömmigkeit einer Karmelitin zentrale Bedeutung hat: sie soll beständig aus diesem religiösen Vollzug heraus leben.165 Dass Untersuchungen ausgerechnet zu dem Themenkomplex, der im Alltagsleben der Ordensfrau so eminent bedeutsam

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