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der sprachlichen Merkmale, die das Beten erkennen lässt, wendet sich Casper der zeitlichen Ereignisstruktur dieses Geschehens zu.108 Schon mit Blick auf den einzelnen zeigt sich das betende Geschehen als besondere, aus dem Strom der verstreichenden Zeit (Chronos) ausgegrenzte Zeit: „Beten beginnt damit und wurzelt darin, daß wir inmitten unseres Uns-zeitigens uns den Freiraum eines eigenen Zeithabens-für nehmen, – und sei dies nur der Freiraum eines Augenblicks.“109 Im sozialen Kontext entspricht dem das Fest. „Derart erweisen sich die Festtage als die Tage des von dem unendlichen Sinn, der alle Geschichte in Atem hält, geschenkten Miteinanderzeithabens. Die Festtage erweisen sich als ‚Tage des Eingedenkens‘, die ‚nicht im Verband der übrigen‘ Tage stehen, sondern ‚sich vielmehr aus der Zeit‘ herausheben. Sie erweisen sich als ‚Ausnahmetage‘: als in Verleiblichung des Miteinander gelebte Steigerung jenes geschenkten Sich-überschreitens, das für den einzelnen in jedem Beten geschieht.“110 Im Anschluss werden vom Freiburger Religionsphilosophen Überlegungen zur Gemeinschaftlichkeit111, zum festlichen Charakter des Gebets112 und zu Verfallsformen des religiösen Geschehens113 formuliert.

      In seiner phänomenologischen Deskription versteht Berhard Casper das Geschehen des Gebets als „Gelassenheit“114 in einer „nichtintentionalen Intentionalität“115. Casper versteht das Ereignis des Gebets insgesamt als die verdankte, aus dem Alltäglichen und dem undifferenzierten Fluss der Zeit ausgesonderte ‚Ausnahmezeit‘, die eine neue, nur zu erwartende Zukunft berührt. Mit Blick auf die alltagsprägende Kraft der Gebetszeit hält er fest: „Das ernsthaft vollzogene Beten […] gibt sich in die Ausnahmezeit des Eingedenkens hinein ausdrücklich frei. Dadurch wird das grenzenlose ‚wie gehabt‘ des Alltäglichen als die hoffnungs- weil zukunftslose Zeit aufgebrochen. Es fällt in die Zukunft ein als eine andere Zukunft.“116 Beten ist „das Geschehen des reinen Harrens. Die Aufmerksamkeit gelangt hier in die höchste Weise des Wartens. […] Im Sich-loslösen von jedem erwartbaren intentum geschieht das Gebet […] als Beten ohne zu bitten, d. h. als Beten ohne die Geste des ‚etwas Verlangens‘. Denn das Eingedenken geschieht ja gerade als ein Harren, in welchem ich mich im Verhältnis zu dem mich zuäußerst Angehenwollenden halte, das nie repräsentierbar ist, in keine Gegenwart eingeholt werden kann. Es trägt sich zu als ein Harren, in welchem ich harre ‚mehr als die Wächter auf das Morgenrot‘, d. h. auf das, was mich über alle möglichen endlichen intenta hinaus angeht.“117

      Beten erscheint so als sinnerfülltes, den betenden Menschen tragendes und orientierendes Ereignis: „Nichts weniger geschieht im Zeithaben des Gebets als dies, daß durch das Sich-zutragen des Harrens selbst das Verhältnis zu der ‚Herrlichkeit des Unendlichen‘ sich als das mich in meinem Dasein tragende erweist. Ich erfahre Trost in der Bedrängnis, die mit meiner geschichtlichen Freiheit notwendig gegeben ist. Ich erfahre Zuversicht auf dem Weg, der mein Weg ist. Ich finde mich gestärkt in der Hoffnung. Die ‚Vermehrung der Hoffnung‘ erweist sich denn überhaupt als der Geschehenssinn des Gebets“.118 Casper weist darauf hin, dass auch bei Thomas von Aquin der Zusammenhang von Gebet und Hoffnung begegnet. Er behandelt das Gebet im Compendium theologiae im Rahmen der Frage nach der Hoffnung, während es in der Summa theologiae im Rahmen der Tugend der Gerechtigkeit zum Thema wird.119

      Mit Blick auf die Fragestellung der vorliegenden Studie können die von Bernhard Welte und Bernhard Casper geleisteten Forschungsansätze und methodischen Zugänge zum Gebet wichtige Anregungen liefern. Diese seien nachfolgend zusammenfassend benannt.

      Beten kommt im Verständnis von Berhard Welte und Bernhard Casper als existentieller Grundvollzug menschlicher Freiheit in den Blick, in dem der Mensch seine Transzendenzfähigkeit aktualisiert erfährt. Der Ereignischarakter des Betens und damit dessen zeitliche Verfasstheit erfahren besondere Beachtung. Das ist für die angestrebte Erkundung des Betens der Edith Stein insofern bedeutsam, als eine betonte Sensibilität für die Dimension der Zeitlichkeit des menschlichen Daseinsvollzugs in Denken und Glauben und damit auch im Beten in entsprechender Weise bei Edith Stein aufgewiesen werden kann.120

      Bernhard Welte und Bernhard Casper kommen hinsichtlich des Gebetsgeschehens auch darin überein, dass sie eine phänomenologische Beschreibung des Betens anstreben. Diesen Zugang wählen sie statt einer abschließenden Definition, die dem Ereignischarakter eines prinzipiell uneinholbaren, sich im Vollzugsganzen erstreckenden Geschehens ihres Erachtens nicht gerecht wird.121 Im Fokussieren auf eine deskriptive Explikation des Betens als einem Prozess und Fluss von Ereignismomenten ist eine Konsequenz der Rücksichtnahme auf die Dimension der „Zeit“ zu sehen. Insofern kann man sagen, dass sich in dem Maße, wie die Dimension der zeitlichen Erstreckung und das Moment der fundamentalen Offenheit des als Freiheitsgeschehen sich zeigenden Gebetsverhältnisses zu Gesicht kommen, ein phänomenologisches Herangehen nahelegt. Denn wo ein Geschehen fundamental von Unabschließbarem und immer neu radikal Unvordenklichem geprägt ist, das sich je und je von sich her erscheinend offenbart, dort muss eine vorwegnehmende Definition versagen, die das Geschehen im Vorhinein umfassend einholen und spekulativ eruieren wollte.122

      Sowohl Bernhard Welte als auch Bernhard Casper wählen einen Zugang zum Gebet, bei dem sie es betont im Horizont der Besinnung auf die menschliche Sprache situieren. Durch die Beachtung der sprachlichen Prägung des Betens wird möglich, diesen existentiellen Grundakt von vorne herein als geschichtlichen und sozialen zu verstehen, dessen fundierende Bedingung und zugleich radikale Verdichtung das Geschehen des Schweigens ist. Dem Phänomen des schweigenden Betens geben beide Autoren entsprechend in unterschiedlicher Akzentsetzung Raum, wobei verbindend bleibt, dass Schweigen nicht als Deprivationsform des Sprachgeschehens angesehen wir. Vielmehr sehen beide Autoren das Schweigen als Grenzfall der Sprache an und als Anzeiger für die alle Intentionalität begründende Qualität des religiösen Verhältnisses, das sich im Schweigen nicht verliert, sondern auf grundlegende Weise zu sich kommt.

      Wie in der zwischenmenschlichen Wirklichkeit Sprache als je dialogische und in ihrer Intersubjektivität und geschichtlichen Vorfindlichkeit unhintergehbare Größe beschrieben werden kann, so auch – in analoger Weise, und als Grenzfall – auch im religiösen Verhältnis. Welte und Casper verbindet somit, wo Gebet im Horizont der Sprache situiert wird, die Einschätzung einer grundlegenden Analogizität des zwischenmenschlichen Verhältnisses mit dem religiösen Verhältnis. Diesen Gedanken einer analogia entis findet man auch in nahezu allen Werken der Edith Stein, die dahingehend wesentlich von E. Przywara SJ beeinflusst wurde.123 Edith Stein kommt schon im Vorwort zu ihrem religionsphilosophischen Hauptwerk „Endliches und ewiges Sein“ auf den diesbezüglichen Einfluss des Jesuiten auf die Bedeutung des Analogiedenkens zu sprechen. Mit Blick auf die erste Fassung ihrer Studie schreibt sie von sich als Verfasserin: „Die erste Fassung ihres Buches und die endgültige Fassung der ‚Analogia entis‘ sind etwa gleichzeitig geschrieben, aber sie durfte die früheren Entwürfe der ‚Analogia entis‘ einsehen und hat überhaupt in den Jahren 1925–31 in lebhaftem Gedankenaustausch mit E. Przywara gestanden. Dieser Austausch hat wohl auf seine wie auf ihre Fragestellung bestimmend eingewirkt“.124 Mit Blick auf Überschneidungen zwischen ihrer Studie und dem Werk Przywaras bemerkt sie: „Eine gewisse Überschneidung liegt aber doch vor, da auf der einen Seite die Analogie als das Grundgesetz aufgewiesen wird, das alles Seiende beherrscht und darum auch für das Verfahren maßgebend sein muss, auf der anderen Seite die sachliche Untersuchung des Seienden auf den Sinn des Seins hin zur Aufdeckung desselben Grundgesetzes führt.“125

      Den Jesuiten, durch den sie zum vertieften Studium und zur Aneignung von thomasischen Positionen gelangen wird, lernte Edith Stein Mitte der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhundert in ihrer Speyrer Zeit kennen. Przywara lud sie zu dieser Zeit ein, die quaestiones disputatae de veritate des Thomas von Aquin ins Deutsche zu übertragen. Diese neben ihrer Tätigkeit als Lehrkraft entstandene Studie126 zeigt klar das hohe Maß an sprachlichem und denkerischem Einfühlungsvermögen, mit dem sich Edith Stein einem theologischen Denker nähert, dessen scholastische Begrifflichkeit ihr nicht durch ein akademisches Theologiestudium vertraut war. Sie rezipiert den Aquinaten gleichwohl auf der Basis dieser

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